Im Gastblog schildert Mediator Ulrich Wanderer, wie Fragen um das Kindeswohl in verschiedenen Kontexten verhandelt werden.

"Wenn wir uns auf etwas einigen können, dann sicherlich darauf, dass das Wohl des Kindes außer Streit steht, oder?" Wer würde wohl diese Frage jemals mit einem Nein beantworten? Wer könnte etwa im Scheidungsverfahren oder aber auch im Rahmen eines Nachbarschaftsstreits sowie in der Planung eines Großprojekts bei den Kinderspielplätzen das Wohl des Kindes geringachten? Nun, man sollte es kaum glauben, diese Fragen stellen sich manchmal in der Praxis der Mediation.

Die Unterstützung eines Kindes auf allen Stationen des Erwachsenwerdens steht für Eltern unbestritten im Vordergrund – Doch wie wird das Kindeswohl in Konfliktsituationen am besten bewahrt?
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Im herkömmlichen Setting der Mediation, in dem die Mediatorin oder auch der Mediator – vielleicht auch als Team – den Medianden gegenübersitzt, sind die Kinder, um deren Wohl es unter anderem in der Scheidungsmediation geht, nicht anwesend. Dennoch sollte auch ihr Wohlbefinden mitgedacht werden, zumal die Frage der Obsorgepflicht der Eltern wie auch der Geldunterhaltsanspruch und das Recht des Kindes auf Kontakt zu beiden Eltern wesentlicher Bestandteil der Diskussion sind. Sitzen die Kinder nun zwar nicht höchstpersönlich beim Verhandlungstisch (wobei sicherlich manche Kollegin oder Kollege auch diesen spannenden Weg gehen wird), so gilt es aus mehreren Gründen, ihre Interessen in der Mediation zu berücksichtigen: Der augenscheinlichste ist die moralisch-menschliche Verpflichtung des Mediators oder der Mediatorin, auch das Wohl der Kinder mitzudenken.

Wobei schon hier ein Fragezeichen erscheint. Sind es nicht die Mediandinnen und Medianden, die das Thema definieren? So wäre die Aussage "Das mit den Kindern machen wir uns schon untereinander aus, es sind ja immerhin unsere Kinder" zu respektieren und auch nicht sonderlich zu hinterfragen. Höchstens der Hinweis auf die nach §95 Außerstreitgesetz vorgeschriebene Eltern- und Erziehungsberatung und die Aufgabe des zuständigen Gerichts in der Eigenschaft als Pflegschaftsgericht, den Scheidungsvergleich auch bezüglich der Rechte der betroffenen Kinder zu kontrollieren, wäre angebracht, um den Parteien auch unnötige Extraschleifen und Kosten zu sparen – doch hiermit sind die Möglichkeiten eigentlich auch ausgeschöpft.

Das Beste als persönliche Ansichtssache

Allein der Gedanke, dass ein Vater oder eine Mutter das Wohl des eigenen Kindes nicht im Mittelpunkt des eigenen Denkens und Handels präsent haben könnte, klingt abstrus und absurd. Und doch ist er es in der Praxis nicht. Nicht deswegen, weil den Eltern ihre Kinder tatsächlich weniger wichtig als das Auto, der Kontostand oder das Haus wären, sondern vielmehr weil die Definition des "Besten fürs Kind" von höchstpersönlichen Faktoren abhängt. Hat man mit dem Ehepartner oder der Ehepartnerin schlechte Erfahrungen gemacht, wurde gekränkt, enttäuscht und betrogen, so ist es nur zu verständlich und menschlich, diese Emotion auch in andere Entscheidungen mitzutragen. Menschlich ja, doch hinterfragenswert.

Denn eine solche Konsequenz würde bedeuten, dass die Kränkungen eben nicht auf der Paarebene bleiben, sondern über die Elternebene auf das Kind weitergereicht werden. Man muss nicht einmal Seiler und Speers "Die Kinder kriegst du a ned in nächster Zeit" zitieren, um sich ein Bild von den Diskussionen zu machen, die hier angesprochen sind. Wie könnte man jenem Menschen, der einen so tief enttäuscht hat, das Wertvollste anvertrauen, was einem geblieben ist? Nun, gelegentlich hilft in diesem Fall die Intervention des leeren Stuhls oder auch des Plüschtiers, welches stellvertretend für das betroffene Kind dessen Platz einnimmt. "Was würde denn Michael, Petra, Christine oder Alexander nun sagen? Wie würde das Kind wohl dreinschauen, wenn Sie so miteinander umgehen, wenn es doch um seine Interessen geht?"

Natürlich spielt das Wohl des Kindes auch bei der Regelung der Unterhaltsleistung eine wichtige Rolle. Argumente wie "Wenn's mir schlecht geht, dann hat unser Kind auch nichts davon" sind ebenso legitim und oft gehört wie der Hinweis auf die gesetzlich zustehenden Prozente. Der Grat zwischen emotionaler Forderung nach dem finanziellen Optimum für das eigene Kind und dem Versuch, die eigene Existenz auch weiterhin sichern zu können, ist ein schmaler und wird durch – gerade in der Scheidungssituation hochkochende – Emotionen weiter erschwert. Und doch ist es nahezu alternativlos, hier eine gemeinsame Lösung zu finden. Es ist die Aufgabe der Mediatorinnen und Mediatoren, hier oftmals ungeachtet der scheinbaren Unmöglichkeit die kleinen Schritte wertzuschätzen und mit ihnen den Weg zu gehen.

Ebenso wenig wie es standardisierte Kinder gibt, gibt es auch keine standardisierten Antworten in solchen Prozessen. .Jedes Kind ist ebenso einzigartig wie jede elterliche Scheidung, jeder Streit und jede Kränkung.

Kindeswohl in der Nachbarschaft

Nicht nur in Scheidungskonflikten spielt das Wohl der Kinder eine große Rolle, auch in der Nachbarschaft ist dies ein wiederkehrendes Thema. Dabei müssen es nicht jene Fälle sein, in denen das Jugendamt von besorgten Nachbarn gerufen wird. Vielmehr reicht wohl die Erwähnung des Spruches, demzufolge "typischer" Kinderlärm nicht als Lärm zu qualifizieren ist, um die Richtung anzudeuten. Ohne auf die Feinheiten dieser Formulierung einzugehen, ist es klar, dass weinende Babys, spielende Kleinkinder oder auch pubertierende Jugendliche die Nerven der Nachbarn gelegentlich – gelinde gesagt – trainieren, wenn nicht überstrapazieren.

Der Hinweis auf das abstrakte Wohl der "Kleinen" ist in diesen Fällen selten zielführend. Von besseren Ergebnissen kann berichtet werden, wenn die Kinder für einen kurzen Moment gleich einer paradox anmutenden Intervention in der Diskussion anwesend sind. Schon werden die nervenden Lärmverursacher zu liebenswerten Babys oder herzigen Kindern und die Assoziationen bezüglich der Geräusche wandeln sich ein wenig.

Andere Beispiele, in denen das Wohl und die Bedürfnisse von Kindern in der Mediation eine Rolle spielen, wären unter anderem Arbeitsplatzkonflikte um Elternkarenz oder Konflikte im Schulumfeld. In allen beschriebenen oder auch nur angedeuteten Settings wird klar, dass das Kindeswohl bei all seiner Sonderstellung nicht gänzlich losgelöst von allen anderen Aspekten eines Konflikts gesehen werden kann, sondern – stets in einer Vielzahl von Emotionen eingebettet – mal mehr und mal weniger im Zentrum eines Konflikts steht.

Eine gemeinsame Aufgabe

"Ich will ja nur das Beste für mein Kind": Ja, natürlich will man das, doch gibt es für dieses "Beste" ebenso wenig eine allgemeingültige letztendliche Definition wie für das vielbeschworene Kindeswohl. Es wäre die Aufgabe aller Beteiligten einer Mediation – freilich auch einer jeden anderen Konfliktbeilegungsschiene –, die Motive, Bedürfnisse und Emotionen mitzudenken, um zu einer nachhaltigen Lösung im Sinne der Erwähnten zu kommen. Und damit sind nicht die Erwachsenen gemeint. (Ulrich Wanderer, 27.9.2022)