Mit dem missglückten Überfall auf die Ukraine am 24. Februar hat sich Wladimir Putin eine Grube gegraben, aus der er nur schwer herauskommt. Aber statt dies überhaupt zu versuchen, gräbt er sich noch tiefer hinein. Mit der Annexion der vier ukrainischen Provinzen am Freitag hat Putin die Türen zu einem raschen Ende des Krieges fest verschlossen.

Denn indem er die bisher eroberten Gebiete – und noch mehr – zu russischem Staatsgebiet erklärt, lässt er keine Möglichkeit für einen Rückzug oder auch nur einen territorialen Kompromiss zu. Alles oder nichts, ist seine Devise, wobei das "alles" immer noch weniger ist, als Putin anfangs anstrebte.

Alles oder nichts, ist Wladimir Putins Devise.
Foto: AP/Dmitry Astakhov

Auch für die Kriegsführung lässt er damit alle Fesseln fallen. Wenn jede ukrainische Gegenoffensive nun als Angriff auf das Vaterland gilt, dann fühlt sich Putin berechtigt, mit allen Mitteln zurückzuschlagen, sei es mit Raketenterror gegen ukrainische Zivilisten, wie zuletzt in der südukrainischen Stadt Saporischschja, und im äußersten Fall sogar mit dem Einsatz von Atomwaffen.

Dass so gut wie niemand außerhalb von Russland diesem Lügenmärchen folgen wird und er damit sogar Verbündete wie China vor den Kopf zu stoßen droht, scheint Putin nicht zu stören. Auch bei den Referenden hat er sich nicht einmal um einen minimalen Anschein von Legitimität bemüht: Mit den absurden Zustimmungsraten von 98 und 99 Prozent demonstriert er kaltschnäuzig seine Macht.

Zwischenschritt Teilmobilisierung

Das Signal aus Moskau ist klar: Entweder akzeptieren die Ukraine und ihre westlichen Verbündeten die Annexion als Fait accompli, oder der Krieg geht weiter. In diesem Fall ist auch die Teilmobilisierung von 300.000 Soldaten nur ein Zwischenschritt. Dann wird aus der "militärischen Spezialoperation" ein Krieg – laut Putins abenteuerlicher Erzählung ein Verteidigungskrieg gegen brutale ausländische Invasoren.

Sich so fest einzugraben kann auch Verhandlungstaktik sein; vielleicht glaubt Putin tatsächlich, dass die Nato ihm ein Fünftel der Ukraine überlassen wird, statt den Kampf fortzusetzen. Ein kalter Winter in Europa, ein wenig Hilfe seines Freundes Donald Trump in den USA – und schon lässt der Westen den unbequemen Verbündeten fallen und wirbt um Frieden. Und ohne Nato-Waffen werde auch Kiew aufgeben müssen.

Putins Rede anlässlich der Annexion: "Weil dies der Wille von Millionen von Menschen ist"
DER STANDARD

Doch so wie Putin die Stimmung in der Ukraine falsch eingeschätzt hat, irrt er sich nun im Westen. Die USA haben sich ebenso eingegraben wie Russland, Demokraten und die meisten Republikaner stehen fest hinter Kiew – koste es, was es wolle. Und auch in Europa bleiben die Sanktionskritiker in der Minderheit, die Empörung über den Aggressor wiegt stärker als der Ärger über hohe Gaspreise. Putins Erpressungstaktik, zu der auch der – mutmaßlich russische – Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines zählt, stärkt die Widerstandsbereitschaft. Nach seiner paranoiden Annexionsrede, in der er das Bild eines räuberischen Westens zeichnet, kann auch hier niemand mehr ernsthaft an Verhandlungen und Kompromisse glauben.

Auch den Ukrainern ist klar, dass dieser Krieg nur mit einem vollständigen Sieg enden kann – oder einer totalen Niederlage. Sie sind offensichtlich ebenso zum langen Kampf bereit wie der Tyrann im Kreml – und zu allen Opfern, die das fordert. Sie haben das Recht und die Wahrheit auf ihrer Seite – und das Wissen, dass sie für ihre Freiheit kämpfen. (Eric Frey, 30.9.2022)