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Immer mehr Betriebe bieten ihren Lehrlingen die Möglichkeit, die Matura zusätzlich zu ihrer Berufsausbildung zu absolvieren.

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"Ich habe schnell gemerkt, dass mir die Praxis fehlt, wenn ich nur studiere", sagt Laura Nurit Davidowicz. Seit letztem Herbst macht die 20-Jährige neben ihrem Physikstudium eine Lehre bei Siemens. Die triale Ausbildung, wie Davidowicz sie absolviert, ist zwar nicht die Regel, zusätzliche Bildungsangebote von Lehrbetrieben gibt es nun aber immer öfter.

Denn Lehrlinge sind branchenübergreifend begehrt. Ausbildungsbetriebe locken mit unterschiedlichen Angeboten, allen voran der Lehre mit Matura. Auch bei Siemens wird die Vorbereitung auf die Reifeprüfung "inhouse", also direkt im Unternehmen, angeboten. Ein Lehrling, der diese Möglichkeit nutzt, ist Marco Obritzberger. "Man muss nur einen Nachmittag länger bleiben und kann dann nach und nach die Prüfungen ablegen", sagt er. Deutsch und Mathematik hat der 18-Jährige bereits hinter sich. Englisch und sein Fachbereich fehlen ihm noch.

Die Lehre mit Matura gibt es bei Siemens seit 2013. Vor fünf Jahren wurde das "ausbildungsintegrierte Studium" in das Bildungsangebot aufgenommen. "Zusätzlich zum Lehrabschluss hat man dann nach drei Jahren die Matura oder einen Bachelor", erklärt Ausbildnerin Sabine Piry. Das Angebot werde gut angenommen, berichtet sie, und helfe bei der Suche nach neuen Lehrlingen. Mittlerweile setze man gezielt auf unterschiedliche Gruppen und möchte sowohl Schüler, Maturantinnen als auch Studierende ansprechen.

Fehlender Nachwuchs

Mit Ende September befanden sich österreichweit rund 108.000 Lehrlinge in Ausbildung. Mit einem Plus von 6,8 Prozent verzeichnete die Zahl der Lehranfängerinnen und Lehranfänger laut Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) heuer deutlich höhere Zuwachsraten als in den vergangenen Jahren. Ein Grund aufzuatmen, ist das für viele Betriebe dennoch nicht: Auf zwei offene Lehrstellen kommt in Österreich nur eine Bewerberin oder ein Bewerber.

In der Bundeshauptstadt habe man zwar grundsätzlich weniger Probleme, offene Lehrstellen zu besetzen. Im Gegensatz zu den anderen Bundesländern gibt es in Wien mit vier Lehrstellensuchenden pro offenen Ausbildungsplatz sogar einen Überhang. Schwierigkeiten, geeignete Kandidatinnen und Bewerber für die Ausbildungsplätze zu finden, gebe es in vielen Bereichen dennoch.

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Für die Gründung der Ländergruppe Zukunft Lehre Wien kamen Unternehmensvertreter und Lehrlinge aus unterschiedlichen Branchen zusammen.
Foto: Zukunft Lehre Österreich / APA-Fotoservice / Schedl

Schlechtes Image

Ein großes Hindernis bei der Suche nach Nachwuchs sei vor allem das schlechte Image der Lehre in Österreich. Nicht nur unter den Jungen, sondern vor allem in der Elterngeneration sei die duale Ausbildung verschrien, sagt Piry. Wer etwas aus sich machen möchte, müsse studieren, heiße es oft. Diese Wahrnehmung zu wandeln ist auch das Ziel der branchenübergreifenden Initiative Zukunft Lehre Österreich, die nun auch eine eigene Einheit in der Bundeshauptstadt gegründet hat.

Neben der Aufwertung der Lehre stehe vor allem der Austausch für die unterschiedlichen Ausbildungsbetriebe im Fokus. Gerade in Hinblick auf die Herausforderungen am heimischen Arbeitsmarkt sei eine stärkere Vernetzung vielen Firmen ein Bedürfnis. Ein weiterer Betrieb, der an der Initiative teilnimmt und erst seit letztem Jahr Lehrlinge ausbildet, ist das Wohnungsunternehmen Buwog. Weil sie sonst nicht an die fehlenden Fachkräfte in der Immobilienverwaltung kommen würden, erklärt Lehrlingsbeauftragte Evelyn Simetsberger. Ähnlich sei die Situation auch bei dem Gebäudeausstatter IGO Industries. "Wir spüren den Fachkräftemangel durch die hohe Spezialisierung in unserem Unternehmen stark", sagt Christian Eberherr, Leiter des Kompetenzbereichs Personal. "Wenn wir die Leute nicht selbst ausbilden, können wir auch nicht arbeiten."

Die Lehre mit Matura werde zwar auch in dem Betrieb gefördert, der Andrang halte sich jedoch in Grenzen. "Was wir bieten, ist eine dritte Säule in der Ausbildung, neben Betrieb und Berufsschule, unsere eigene IGO-Academy", sagt Eberherr. Im Rahmen dieses Angebots könnten sich Lehrlinge zu "lebensnahen Themen" wie Konflikten am Arbeitsplatz, Finanzen oder Motivationstechniken weiterbilden.

Viele Möglichkeiten

Dass sich der Arbeitsmarkt gewandelt habe, sei auch dem Familienbetrieb Querfeld, der den Lehrlingsbrunch zur Gründung der Ländergruppe im Café Museum veranstaltet, mehr als bewusst. "Wir haben sogar eine eigene Bewerbungsmappe erstellt, mit der wir uns bei den Lehrlingen bewerben", erzählt Ausbilderin Elisabeth Querfeld.

Auch die Wiener-Stadtwerke-Gruppe und die Stadt Wien nehmen an der Initiative teil. Für den Ausbildungsstart im September 2023 suchen die Stadtwerke 215 Lehrlinge in 19 Lehrberufen – ein Plus von mehr als 20 Prozent im Vergleich zu heuer. In einer aktuellen Aussendung hebt der Betrieb die Möglichkeit zur Lehre mit Matura während der Dienstzeit besonders hervor. Nach der Ausbildung wolle man den Lehrabsolventen vor allem Jobsicherheit und Karrierechancen bieten, sagen die anwesenden Unternehmensvertreter.

Vorurteile gegenüber der Lehre habe sie früher selbst gehabt, räumt Laura Nurit Davidowicz ein. Mittlerweile könne sie für sich sagen, dass die triale Ausbildung die richtige Entscheidung war. "Dieses Wissen aus Theorie und Praxis haben nur die wenigsten", sagt sie. "Meine Eltern waren anfangs skeptisch, jetzt sagen sie, ich werde mir nie Sorgen um einen guten Job machen müssen." (Anika Dang, 5.10.2022)