Die "Boring Company" sollte das Verkehrschaos mit hunderten unterirdischen Tunneln lösen. Die Kritik: Im Zentrum steht weiterhin das Auto, die Kosten sind horrend, und in Las Vegas kam es gar zu Staus im Tunnel.

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Das Silicon Valley und seine prominentesten Vertreter von Elon Musk abwärts sind nicht zimperlich, wenn es darum geht, Lösungen für die großen Probleme unserer Zeit zu versprechen. Mobilität ist dabei ein Kernthema: Die Taxi-App Uber soll den Personentransport erschwinglicher machen, die Tunnel der "Boring Company" Staus auflösen und E-Autos die Klimaerwärmung aufhalten. Paris Marx, Host des Podcasts "Tech won't save us" (deutsch: Technik wird uns nicht retten), hinterfragt in seinem Buch "Road to Nowhere: What Silicon Valley Gets Wrong about the Future of Transportation" diese Versprechen – und kommt zu einem ernüchternden Resümee. Vor allem weil sich viele Entwürfe nur um eines drehen: das Auto.

STANDARD: In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie das Automobil Städte und Gesellschaften im 20. Jahrhundert radikal verändert hat, weil die Industrie davon profitierte, viele Nachteile aber ignoriert wurden. War die Erfindung des Autos ein Fehler?

Marx: So weit würde ich nicht gehen. Aber ich denke, wie stark wir die Gesellschaft um das Auto herum ausgerichtet haben, war ein Fehler. In vielen nordamerikanischen Städten, insbesondere in den Vorstädten, ist es praktisch unmöglich, sich ohne Auto fortzubewegen. Die Vorteile dieses Verkehrsmittels liegen auf der Hand, und ich glaube nicht, dass wir das Auto jemals ganz abschaffen werden. Aber es hat auch eine Menge Konsequenzen: Die Zersiedelung der Landschaft, Staus, 42.000 Todesopfer durch Autounfälle jedes Jahr allein in den USA, außerdem ist Verkehr dort auch noch der größte Produzent von Treibhausgasen. Wir müssen uns langsam wirklich überlegen, wie wir diese Probleme angehen wollen.

Paris Marx spricht darüber, warum das Auto ursprünglich ein Luxusprodukt war und weshalb es immer noch als solches beworben wird, obwohl das nicht der Realität entspricht.
DER STANDARD

STANDARD: Welche Ideen hat das Silicon Valley zur Lösung dieser Probleme zu bieten?

Marx: In den vergangenen zehn Jahren konnte man bei Technologie-Unternehmen und deren CEOs den Wunsch beobachten, den Nachteilen des Autos zu entkommen. Verkehrsprobleme stehen dabei im Mittelpunkt. Diese Typen wollen nicht mit allen anderen im Stau stehen, sondern schnell ans Ziel kommen. Ich denke, das ist die Motivation, die hinter vielen Lösungen steht, die sie präsentieren, seien es Ride-Hailing-Dienste wie Uber, die Tunnel der Boring Company oder fliegende Autos. Wir haben dabei aber immer wieder gesehen, dass diese Lösungen meistens nicht so funktionieren, wie sie geplant sind. Trotzdem kann man sie der Öffentlichkeit nicht verkaufen, indem man sagt: "Das ist ein Mittel für uns reiche Leute, damit wir uns schneller fortbewegen können." Es wird immer auch als Lösung für alle anderen präsentiert. Nehmen wir zum Beispiel die Boring Company: Die ursprüngliche Idee war, dass es hunderte Schichten von Tunneln unter Los Angeles geben soll und jeder mit seinem Auto in diese Tunnel hineinfahren kann und dann mit Hochgeschwindigkeit an sein Ziel geschossen wird. Das hat aber nicht funktioniert und wird auch nicht funktionieren. Wenn man sich aber die ursprünglichen Pläne für den Tunnel in Los Angeles ansieht, dann sieht man: Er führte von dem Viertel, in dem Elon Musk lebte, zu seinem SpaceX-Büro. Man erkennt als deutlich, dass es darum geht, eine spezielle Lösung für Elon Musk zu schaffen, um dem Verkehr zu entkommen.

STANDARD: Sie schreiben, dass "die Technologie die Ansichten jener Menschen enthält, die sie entwickelt haben". Welche Ansichten haben Menschen wie Musk, CEOs von Unternehmen wie Uber, Google und Lyft?

Marx: Im Silicon Valley entstanden in den 1960er- und 1970er-Jahren im Zusammenhang mit der Hippie-Bewegung Ideen, die darauf abzielten, das Individuum zu stärken, einerseits durch psychedelische Erfahrungen, später aber auch durch persönliche Technologie. Diese Ideen verschmolzen später mit einem starken Vertrauen in den freien Markt, Unternehmertum und Technologie, um die Welt voranzubringen. Außerdem würde ich behaupten, dass viele dieser Menschen im Silicon Valley die Welt auf eine ganz besondere Art erfahren, weil sie ein sehr privilegiertes Leben führen. Und vor diesem Hintergrund suchen sie nach technologischen Ansätzen, um gesellschaftliche Probleme zu lösen, anstatt sich mit dem politischen System auseinanderzusetzen. Wir hören oft große Versprechungen, wie die Probleme im Verkehrssystem gelöst werden sollen, aber oft sehen wir wenig später – falls sie ihre Ideen überhaupt umsetzen können –, dass sie vieles nicht lösen können.

STANDARD: Was ist, abgesehen von Musk, ein Beispiel für solche nicht erfüllten Versprechen?

Marx: Eines gutes Beispiel ist die Taxi-App Uber. Die Gründer versprachen, dass sie die Zahl der Privatpersonen mit Auto reduzieren würden, dass ihre App besser für die Umwelt sein würde und dass es billiger sein würde. Zumindest eine Zeitlang war Uber auch billiger als reguläre Taxi-Anbieter, aber das lag vor allem daran, dass Uber jedes Jahr Milliarden von Dollar verlor.

In seinem Podcast beleuchtet Paris Marx regelmäßig die Heilsversprechen von Tech-Unternehmern.
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STANDARD: Welche Auswirkungen hatte das auf die gesamte Verkehrssituation?

Marx: Tatsächlich haben Forscher herausgefunden, dass Uber in Großstädten in den Vereinigten Staaten die Verkehrssituation verschlimmert hat, weil die App Fahrgäste vom öffentlichen Nahverkehr abgeworben hat und somit auch einen negativen Effekt auf die Umwelt hatte, weil so mehr Emissionen pro Fahrt verursacht wurden. Außerdem haben wir in der Zwischenzeit insbesondere in den USA gesehen, dass Uber einen regelrechten Krieg gegen die Arbeiterrechte geführt haben. Sie haben darum gekämpft, dass diese als Selbstständige und nicht als Arbeiter eingestuft wurden und so nicht die damit verbundenen Rechte genießen.

STANDARD: Sie haben gesagt, dass Uber seit Jahren Geld verliert. Das macht aus betriebswirtschaftlicher Sicht auf den ersten Blick keinen Sinn. Wie kann das Unternehmen noch funktionieren?

Marx: Ein Teil des Wachstumsmodells der Tech-Industrie bestand lange Zeit darin, dass man anfangs viel Geld verliert. Amazon wird oft als Pionier dieser Strategie beschrieben: Man lässt Investoren einige Jahre lang für die Verluste herhalten, damit man auf dem Markt, den man beherrschen will, eine Quasi-Monopolstellung erreichen kann. Und sobald man diese Position hat, kann man Preise erhöhen und seine Investoren dafür belohnen, dass sie dieses Risiko eingegangen sind, egal wie viele Jahre das dauert. Aber Uber hat diese Position nie erreicht. Gleichzeitig wächst jetzt aber die Erwartung neuer Investoren, die sich erst nach dem Börsengang eingekauft haben, dass Uber zeigt, dass es Geld verdienen kann. Und das zwingt das Unternehmen, die Preise zu erhöhen. Langfristig wurde deshalb das Versprechen, dass Uber zumindest billiger sein würde als andere Taxi-Anbieter, gebrochen.

Marx spricht darüber, warum man nicht einfach alle Autos durch E-Autos ersetzen kann.
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STANDARD: Wenn so viele Versprechen gebrochen werden, warum glauben dann immer noch so viele Leute den Erzählungen der Elon Musks der Tech-Branche?

Marx: Nach der 2008 einsetzenden Rezession dachten viele darüber nach, wie die Wirtschaft der Zukunft aussehen wird, wer in Zukunft das Wirtschaftswachstum ankurbeln wird. Und speziell die Tech-Branche wurde als Schlüssel dafür angesehen. Ich denke außerdem, dass die Berichterstattung über das Silicon Valley in den folgenden Jahren sehr unkritisch war, weil die Menschen diesen Geschichten und positiven Visionen der Unternehmen einfach auch glauben wollten: dass man sich nicht auf das politische System verlassen muss, um die Dinge zu verbessern. Dass wir die Technologie immer weiter verbessern werden und so das Leben aller Menschen auch besser machen werden. Das Ergebnis war, dass viele nicht nur ihr Vertrauen in Leute wie Musk setzten, sondern auch Geld in Tesla investierten und damit kein Interesse an seinem Misserfolg haben. Ich glaube aber, dass sich die Ablehnung speziell gegenüber Musk mittlerweile doch verstärkt hat, da er sich zunehmend zu einer streitlustigen Figur entwickelt hat, die etwa wegen Twitter-Posts in Fehden mit der US-amerikanischen Börsenaufsichtsbehörde gerät. Ich denke, er wirkt mittlerweile auf viele wie ein Milliardär, der glaubt, dass er sich jeglicher Kontrolle entziehen kann und für nichts zur Verantwortung gezogen werden kann.

Paris Marx, "Road to Nowhere. What Silicon Valley Gets Wrong about the Future of Transportation". £ 11.99 / 272 Seiten. Verso Books, New York / London 2022.
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STANDARD: Wenn die Tech-Industrie keine echten Lösungen anbietet, wie Sie sagen, wie entkommen wir dann dieser "Straße ins Nirgendwo", von der Sie schreiben?

Marx: Wir werden darüber nachdenken müssen, wie ein besseres, gerechteres Verkehrssystem aussieht, das gleichzeitig die Klimaerwärmung berücksichtigt. Wir müssen in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und der Fahrradinfrastruktur investieren, um sicherzustellen, dass sich Menschen auch ohne Auto fortbewegen können. Aber der Verkehr darf nicht unser einziges Anliegen sein. In vielen Städten, in denen in die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur, Gehwege und Fußgängerzonen investiert wird, steigen in der Folge die Mietpreise, und die Menschen, die am meisten von diesen Veränderungen profitieren würden, werden in Bezirke verdrängt, in denen es weniger Infrastruktur davon gibt. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen es sich leisten können, in Stadtteilen zu leben, in denen sie Zugang zu den Dienstleistungen, auf die sie angewiesen sind, erhalten.

STANDARD: Wie optimistisch sind Sie, was diese Zukunft betrifft?

Marx: In Nordamerika sehe ich einen großen Vorstoß in Richtung Elektrofahrzeuge, insbesondere Elektro-SUVs und große Lastwagen, dass aber die wirklichen Grundprobleme nicht angegangen werden: zunächst einmal, dass diese Fahrzeuge immer größer werden, was nicht nur Auswirkungen auf die Umwelt hat, sondern auch auf die Verkehrssicherheit. Geländewagen sind einer der Gründe, warum die Zahl der Verkehrstoten in Nordamerika in den vergangenen Jahren so stark gestiegen ist. Trotzdem versuche ich hoffnungsvoll zu bleiben, ich habe das Gefühl, dass ich keine andere Wahl habe. (Levin Wotke, 7.10.2022)