Der US-Präsident Joe Biden verglich die aktuelle Situation zwischen der Ukraine und Russland mit der Kubakrise im Jahr 1962.

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"Dann hörte ich, wie eine laute Stimme aus dem Tempel den sieben Engeln zurief: Geht und gießt die sieben Schalen mit dem Zorn Gottes über die Erde!" – Aus der Offenbarung ("Apokalypse") des Johannes.

US-Präsident Joe Biden sagte dieser Tage vor Spendern der Demokratischen Partei: "Seit Kennedy und der kubanischen Raketenkrise sind wir nicht der Möglichkeit eines Armageddon gegenübergestanden."

Armageddon? In der Apokalypse ("Offenbarung") des Johannes, einer wüsten Weltuntergangsfantasie aus der Zeit rund um 100 nach Christus, die aber im Neuen Testament steht, wird Armageddon als Ort der finalen Auseinandersetzung zwischen Gott und seinen Feinden angeführt. Diese endzeitliche Auseinandersetzung gilt im angelsächsischen Raum als Synonym für den Atomkrieg.

US-Präsident Joe Biden warnt vor einer Katastrophe, sollte Russland Atomwaffen einsetzen.
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Was wollte Biden damit sagen? Hält der US-Präsident die Gefahr eines verheerenden Atomkrieges zwischen Russland und dem Westen tatsächlich für so groß?

Der Bezug auf Kennedy und die Kubakrise scheint darauf hinzudeuten. In Kürze: Vor genau 60 Jahren, im Oktober 1962, gerieten die USA und die UdSSR tatsächlich an den Rand eines Atomkriegs. Die UdSSR unter Nikita Chruschtschow hatte auf Fidel Castros Kuba Atomraketen stationiert, die die USA in kürzester Zeit hätten erreichen können. US-Präsident John F. Kennedy verhängte daraufhin eine Seeblockade über Kuba. Jahrzehnte später wurde erst bekannt, dass ein sowjetischer U-Boot-Kommandant schon einen Atomtorpedo abfeuern wollte. Ein Dritter Weltkrieg wurde nur durch das Veto des lokalen sowjetischen Flottenkommandanten verhindert. Die Kubakrise endete mit einem Kompromiss: Chruschtschow zog die Raketen aus Kuba ab, die USA ihre Atomraketen aus der Türkei.

Biden sagte auch noch, man versuche nun einzuschätzen, wie Wladimir Putin ohne Gesichts-und Machtverlust aus der Sache herauskommen wolle: "Ich kenne den Kerl ganz gut. Er macht keine Witze, wenn er über den potenziellen Einsatz von taktischen nuklearen Waffen redet."

Gefährliche Ecke

Tatsächlich hat Putin mehrfach solche Andeutungen gemacht, wenn die "heilige russische Erde", nämlich die neu annektierten Territorien in der Ukraine, verteidigt werden muss, wozu seine Armee immer weniger in der Lage scheint.

Derzeit weist allerdings nichts darauf hin, dass die russische Armee taktische Atomwaffen aus ihren Lagern herausgeholt und in die Nähe der Ukraine gebracht hat. Rein militärisch hätte ein Einsatz gegen die ziemlich weit verteilten und relativ kleinen Einheiten der Ukrainer wenig Sinn. Es gäbe allerdings noch die Möglichkeit, eine solche Waffe hoch über der Ukraine oder dem Schwarzen Meer explodieren zu lassen und damit einerseits eine Demonstration ohne große Opfer durchzuführen und andererseits durch den elektromagnetischen Puls die ukrainischen Kommandonetze zu (zer)stören.

Angesichts der Tatsache, dass sich Putin in eine gefährliche Ecke manövriert hat, kann man derlei nicht ausschließen. Am ehesten ist daher Joe Bidens Aussage als eine weitere dringende Warnung an Putin zu verstehen, sich ja nicht zu einer Wahnsinnstat verleiten zu lassen. Höchste amerikanische Militärs und Mitglieder der Biden-Regierung haben ja bereits klar gesagt, der Einsatz von taktischen Nuklearwaffen würde "katastrophale Folgen" haben. Die USA bzw. die Nato würden nicht nuklear antworten, sondern mit modernsten Präzisionswaffen entweder die russische Schwarzmeerflotte oder wichtige russische Armeeeinheiten zerstören.

Der Unterschied zur Kubakrise besteht allerdings darin, dass Putin bereits eine inakzeptable kriegerische Handlung gesetzt hat. Kann man ihm einen Kompromiss auf Kosten der Ukraine anbieten? Wohl kaum. Deswegen hat wohl die höchste Instanz der USA, der Präsident, diese Warnung ausgesprochen; Putin soll wissen, dass er nicht ohne schwerste Folgen weiter eskalieren kann. Das entspricht der Strategie, keinen Zweifel an der Festigkeit des Westens zuzulassen. (Hans Rauscher, 7.10.2022)