Was die Bürgerinnen und Bürger gerne hätten: sichere Arbeitsplätze, wachsende Einkommen, verlässliche Leistungen des Sozial- und Gesundheitssystems, keine Scherereien mit Zuwanderern und nach Möglichkeit wenig Dreinreden der Politik in den persönlichen Lebensbereich.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen wurde am Sonntag wiedergewählt.
Foto: Heribert CORN

In den letzten Jahren haben viele anderes erlebt. Und es gab niemanden, der "denen da oben" einmal gründlich die Meinung – also die vermeintliche Meinung des frustrierten Wahlvolks – gesagt hätte. Das erklärt die teilweise beachtlichen Erfolge der Herausforderer bei dieser Präsidentschaftswahl. Irgendwie hätten viele Wahlberechtigte gerne einen "aktiven Bundespräsidenten" – eine Formel, die Thomas Klestil in seinem ersten Wahlkampf 1992 geprägt hat, von der aber bis heute niemand genau weiß, wie sie konkret zu handhaben wäre.

Denn in einer zur Zersplitterung neigenden Parteienlandschaft hat jede politische Kraft immer eine große Mehrheit gegen sich. Dem kann man mit entschlossenem Führungswillen begegnen – was Bundespräsident Alexander Van der Bellen in der Regierungskrise nach dem Ibiza-Skandal und Bundeskanzler Sebastian Kurz im ersten Corona-Lockdown getan haben. Aber die Zustimmung dazu ist in einem gut entwickelten demokratischen Rechtsstaat nichts, was auf Dauer anhält.

Auf Dauer hilft nur das Eingeständnis, dass man es nicht allen, nicht einmal einer Mehrheit, recht machen kann. Und dass man dennoch bereit ist, Orientierung zu geben. (Conrad Seidl, 10.10.2022)