Im Gastblog geht der Jurist und Mediator Ulrich Wanderer der Frage nach, was es mit der Freiwilligkeit im Mediationsprozess auf sich hat.

Völlig zu Recht sprechen manche Posterinnen und Poster zu den veröffentlichten Beiträgen im Blog die Freiwilligkeit in der Mediation an. Diese ist ein hohes Gut und auch gleich im ersten Paragraphen des Zivilrechts-Mediations-Gesetzes verankert. Ja, man will doch Mediation in Anspruch nehmen und tut dies freiwillig. Will man dies wirklich? Ist jede Mediation von Beginn an wirklich nur vom Geiste der gemeinsamen Kooperation geprägt?

Gut, alleine die suggestiv gestellte Frage zeigt, dass dem eben nicht so ist. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn immer beide Parteien gleichzeitig und aus eigenem Antrieb die Möglichkeiten der Mediation nutzen wollten, doch dies zu behaupten wäre nicht nur naiv, es wäre schlicht falsch.

Mediation lebt von der Freiwilligkeit der Beteiligten.
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Einige Grenzfälle, in denen die Freiwilligkeit gelinde gesagt ausgereizt wird, seien in diesem Beitrag angesprochen, ohne Anspruch auf Endgültigkeit, doch als Anregung für eine sicherlich interessante Diskussion im Forum.

Abgehen vom Freiwilligkeitsprinzip

In der Mediation in Familienangelegenheiten bietet die Praxis ein Kaleidoskop von Möglichkeiten, die Freiwilligkeit durch – nennen wir es einmal – Interpretation zu erweitern.
Beginnend mit dem bereits einmal adressierten §107 Außerstreitgesetz, welches bei Obsorge und Kontaktrechtsstreitigkeiten ein Erstgespräch über Mediation vorsieht, welches vom Gericht auch verpflichtend angeordnet werden kann. Es handelt sich dabei nicht automatisch um eine Mediation im klassischen Sinne, doch ergeben sich erfahrungsgemäß aus so manchen Erstkontakten doch auch formelle Mediationssettings. Hier könnte man aber von einem möglichen Abgehen vom Freiwilligkeitsprinzip sprechen, wenngleich freilich eben nur von einem "Erstgespräch über ..." und nicht von einer formellen Mediation die Rede ist.

Mediation als Taktik

Anders kann es sein, wenn Mediation als Taktik seitens eines Medianden angewandt wird. Wenn also beispielsweise im Rahmen eines Obsorgeverfahrens ein Elternteil vor Gericht demonstrativ zur Mediation neigt, um seine oder ihre Konsenswilligkeit zu zeigen, so steht der anderen Partei eine Weigerung, sich auf dieses Setting einzulassen, nicht gut zu Gesicht und würde möglicherweise als destruktives Verhalten ausgelegt werden. Hier obliegt es sowohl dem Gericht als auch dem Mediator oder der Mediatorin, mit der nötigen Sensibilität an das Thema heranzugehen. Kommt es tatsächlich zu einem Ersttermin, so sollte beim ersten Verdacht auf eine zweifelhafte Freiwilligkeit dieses Thema offen angesprochen werden. In der Praxis bieten sich dann zwei Möglichkeiten. Die Mediatorin oder der Mediator belassen es bei einem Vorgespräch, oder alle Beteiligten einigen sich gemeinsam, trotz der anfänglichen Zweifel, der Mediation eine Chance zu geben, und behalten sich einen Abbruch weiterhin vor.

Grundsätzlich vergleichbar kann auch Mediation in Nachbarschaftsstreitigkeiten gesehen werden. So ist es denkbar, dass einer Partei, welcher seitens der Hausverwaltung "unleidliches Verhalten" vorgeworfen wurde, als letzten Ausweg eine Mediation mit den Nachbarn in Aussicht gestellt wird. Verweigert diese Partei dann auch die Mediation, welche von der Hausverwaltung (welche hier nicht unter Verschwiegenheitspflicht steht) angeboten wurde, so kann diese Weigerung der Partei negativ ausgelegt werden.

Wie auch in den Kommentaren zum Mobbingbeitrag zu Recht angesprochen, so ist auch die Teilnahme an einem Mediationssetting für die Mobbingbeteiligten wohl nur in engen Grenzen als freiwillig zu sehen. Keine der Parteien wird sich gerne mit dem Gegenüber zusammensetzen, gleichzeitig stehen beide aber unter gewissem Druck, sich der Weisung, der Aufforderung oder zumindest dem Wunsch der Chefetage nach einer gütlichen Einigung nicht zu widersetzen.

Einzelgespräche

Wie aber kann die jeweilige Partei, die Mediandin oder der Mediand mit dieser doch etwas befremdlichen Lage umgehen, wie der Mediator, die Mediatorin? Es ist nachvollziehbar, dass man den Vorgesetzten gegenüber konstruktives Konfliktverhalten zeigen möchte. Doch bedeutet dies auch, dass in der Gegenwart des Mobbinggegners, des Kontrahenten um den Arbeitsplatz, in Anwesenheit des beleidigenden Nachbarn die Kommunikation von Wertschätzung und Empathie geprägt ist? Nein, natürlich kann nicht von den Parteien gefordert werden, sich von einem Moment auf den anderen in die Arme zu fallen.

Vor einem allfälligen gemeinsamen Termin haben sich daher Einzelgespräche als probates Mittel gezeigt. So kann der Mediator oder die Mediatorin mit jeder einzelnen Partei über deren Bereitschaft und Erwartungen sprechen und sich ein Bild von den Aussichten eines Treffens mit allen Beteiligten machen. Nachdem auch die Inhalte der Einzelgespräche mit den Parteien der Verschwiegenheit unterliegen, kann in diesem Rahmen bereits gut sondiert werden. Stellt sich heraus, dass es zu keiner Einigung hinsichtlich der Einlassung auf eine Mediation kommt, so liegt es am diplomatischen Geschick der Mediationsperson dem Auftraggeber (Hausverwaltung oder Arbeitgeber) in neutralen Worten zu vermitteln, dass im konkreten Fall keine Mediation zustande kommen werde. Es ist Aufgabe des Mediators oder der Mediatorin zu vermeiden, dass aus einer Nichteinlassung in den Mediationsprozess einer der beiden Parteien ein Schaden entsteht, welcher auf Aussagen im Rahmen der Einzelgespräche zurückgehen könnte.

Mediation lebt von der Freiwilligkeit

In den meisten Gesprächen lässt der ursprüngliche Widerwille nach und die Parteien geben dem mediativen Gespräch eine Chance. Schaffen es die Mediatorinnen oder Mediatoren zu vermitteln, dass es sich hier um einen geschützten Rahmen handelt in welchem es möglich ist, dem Gegenüber klar vor Augen zu führen, was die diversen Aussagen und Handlungen bewirken, so ist der Weg bereitet. Dabei ist es die Aufgabe der Mediation und ihrer Professionisten darauf zu achten, dass die Aussagen, die dahinterstehenden Bedürfnisse, wie auch die Apelle an das Vis-à-vis gehört und angenommen werden. Dies gilt grosso modo für alle im bisherigen Text genannten Konfliktfelder, wobei die Tatsache, mit der bisherigen Konfliktpartei weiterhin interagieren zu müssen oftmals unterstützend wirken kann. Natürlich gelingt auch das nicht immer, doch spricht die Quote von 80 Prozent nachhaltig geklärten Nachbarschaftskonflikten laut Statistik der Wiener Sozialbau AG1 eine deutliche Sprache. Trennen sich die Wege der Parteien endgültig, ist nachvollziehbarerweise nur in den seltensten Fällen ein Engagement an einer konsensualen Konfliktlösung zu finden.

Die Medianden in eine Mediation zu zwingen ist nicht nur sinnbefreit, sondern auch gegen das Wesen der Mediation an sich. Dass so mancher Drittbeteiligte an einem Konflikt, sei es die Hausverwaltung oder der Arbeitgeber, versucht das Angebot einer konsensorientierten Streitbeilegung den Konfliktparteien nahezulegen, ist zwar nachvollziehbar, doch gilt es, die Grenze zwischen "Ich glaube, das wäre eine gute Idee" und "ich denke, ihr wollt das doch auch, oder?" scharf zu ziehen.

Mediation lebt von der Freiwilligkeit der Beteiligten, nachdem nur diese auch ein persönliches Kommittent der Parteien hinsichtlich des erarbeiteten Ergebnisses sicherstellt. Doch selbst ein, wie oben beschriebenes, Setting, in welchem die Parteien nicht von sich die Mediation angestrebt haben, sondern viel mehr durch beispielsweise die Hausverwaltung angehalten wurden, sich mit dem Mediator oder der Mediatorin zu unterhalten, zeigt dann oftmals Erfolge, wenn im Rahmen des Gespräches die Barrieren aufgebrochen werden können und ein erstmaliges Gespräch zwischen den Nachbarn initiiert werden konnte. (Ulrich Wanderer, 13.10.2022)