Sebastian Kurz hat seine erste offizielle Biografie vorgelegt.

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Plötzlich konnte es gar nicht schnell genug gehen: Schon am Freitag, einen Tag früher als zunächst angekündigt, gab der Verlag Edition A Zitierungen aus dem ab Samstag erhältlichen Buch von Ex-Kanzler und Ex-ÖVP-Chef Sebastian Kurz frei. "Reden wir über Politik" lautet der Titel des 240 Seiten umfassenden Werks, dessen Autorin die "Krone"-Journalistin Conny Bischofberger ist. Der STANDARD hat das Buch bereits gelesen und fasst die wichtigsten Passagen zusammen.

Eines vorweg: Wer erwartet, in dem Buch ein Jahr nach dem Abgang von Kurz von der politischen Bühne eine kritische Selbstreflexion über sein Jahrzehnt als Spitzenpolitiker vorzufinden, wird enttäuscht. Im Vorwort von Bischofberger ist zu lesen, dass Kurz "erstmals seine Sicht der Dinge" darlegt – allerdings nicht in Bezug auf die Inseraten-Affäre, die zu seinem Rücktritt geführt hat, oder gar auf den aktuellen Zustand der ÖVP, den er maßgeblich mitzuverantworten hat. Die zahlreichen publik gewordenen Chats, die auch eine Reihe personeller Konsequenzen in den Reihen der ÖVP mit sich brachten, relativiert Kurz. Fehler räumt er bis auf einen keine ein – auch nicht im Zusammenhang mit dem Pandemie-Management. Wer in dem Buch unbekannte Anekdoten oder Details finden will, muss schon mit der Lupe suchen.

Im Vorwort erklärt Bischofberger, dass sie es war, die mit der Idee zum Buchprojekt auf Kurz mit zugegangen ist. Insgesamt hat sie zwischen 6. März und 18. August dieses Jahres 24 Gespräche mit Kurz geführt – so viele, wie das Buch Kapitel hat. Und die Autorin erläutert ihre Rolle: "Meine Rolle war die der Zuhörerin. Meine journalistische Aufgabe war es, seine Positionen zu erfragen und seine Gedanken möglichst präzise festzuhalten." Das Buch sei "natürlich kein Schlussstricht, es ist lediglich eine Zwischenaufnahme. Das Lebensbuch über Sebastian Kurz wird später geschrieben werden."

Inseraten-Affäre kommt nicht vor

Jetzt aber zu den Inhalten. Während die Inseraten-Affäre in keinem Kapitel Niederschlag findet, widmet das Buch der Ibiza-Affäre sehr wohl ein solches. Seit das Video im Mai 2019 publik wurde und die türkis-blaue Regierung zum Platzen gebracht habe, habe Kurz sich "immer wieder die Frage gestellt, ob es die richtige Entscheidung war, die Koalition mit der FPÖ zu beenden". Einzig im Kapitel "Grünes Experiment" kommt Kurz knapp auf die durch die Inseraten-Affäre (das Wort selbst findet sich kein einziges Mal in dem Buch) ausgelösten Ermittlungen zu sprechen. Hierzu sagt er, dass die Ermittlungen für die Grünen "eine taktische Chance" bedeutet hätten und Vizekanzler Werner Kogler diese Chance genutzt habe. "Ob ihm und den Grünen dies parteitaktische Manöver langfristig etwas gebracht hat, wird die Zukunft zeigen." Sein Verhältnis zu Kogler habe sich "dadurch nicht verändert". Er habe ihm "das nicht groß übel genommen und habe ihm das auch gesagt".

Zu in diesem Jahr bekannt gewordenen Sidelettern der türkis-grünen Regierung sagt Kurz, dass er "manchmal schmunzeln" müsse, "wenn der Eindruck erweckt wird, dass solche Vereinbarungen etwas Ungewöhnliches wären". Ob mit SPÖ, FPÖ und Grüne: "In allen diesen Koalitionen sind selbstverständlich Vereinbarungen zur Zusammenarbeit, zu inhaltlichen Fragen, zu Budgetfragen und zu personellen Fragen getroffen worden."

Kurz sieht einen "Fehler"

Dass gegen ihn nebst der Inseraten-Affäre wegen Untreue und Beihilfe zur Bestechlichkeit auch wegen Falschaussage im Ibiza-U-Ausschuss ermittelt werde, erklärt er sich damit, dass er "nicht mit der notwendigen Aufmerksamkeit in diese massive innenpolitische Auseinandersetzung" hineingegangen sei, "sondern mit der Gewissheit, nichts falsch gemacht zu haben". Er konnte sich "ehrlicherweise nicht vorstellen, dass, sobald ich hier das Wort ergreife, jemand versucht, mir eine potenzielle Falschaussage zu unterstellen". Als "Fehler" bezeichnet er rückblickend, sich mit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft angelegt zu haben. Auf der anderen Seite bereue er es aber auch nicht, "gewisse Aussagen getätigt zu haben".

Ein oftmals wiederholter Klassiker fehlt im Buch natürlich auch nicht: Die Ermittlungen gegen ihn sehe er "mittlerweile sehr gelassen", weil er wisse, "was ich in meinem Leben getan habe und was nicht". Und er habe sich "strafrechtlich nie etwas zuschulden kommen lassen".

"Oarsch" Mitterlehner

Nur wenig Selbstreflexion findet sich auch im Kapitel "Chats". Im Zusammenhang mit den publik gewordenen Chats könne man ihm persönlich nur eine einzige Nachricht vorwerfen: "Und zwar, dass ich über meinen Vorgänger Reinhold Mitterlehner bestätigend geschrieben habe, er sei ein 'Oarsch'." Diese Nachricht verteidigt er heute damit, dass Mitterlehner "ein ganzes Buch geschrieben hat, in dem ich sehr negativ dargestellt wurde, und dieses auch veröffentlicht hat". Seine Reaktion hingegen sei nicht für die Öffentlichkeit gedacht gewesen und ein "wesentlich bescheidenerer Ausdruck der eigenen Emotion" gewesen.

Kurz betont auch, mit allen anderen vorherigen Parteichefs ein "exzellentes Verhältnis" zu haben. "Nicht so mit Reinhold Mitterlehner." Es seien hauptsächlich "inhaltliche Differenzen", die die beiden gehabt hätten. "Für mich war das kein großes Thema. Ich wünsche ihm bis heute nicht Schlechtes, sondern alles Gute."

Bedingungen an die ÖVP

Das Kapitel "Machtkämpfe" beschäftigt sich mit seinem Aufstieg zum ÖVP-Chef und Kanzler. Die Bezeichnung "Projekt Ballhausplatz", das war im Jahr 2017 jene Wahlkampfstrategie, die den damaligen Außerminister Kurz zuerst an die Spitze der ÖVP und danach ins Kanzleramt befördern sollte, habe Kurz "das erste Mal in den Medien gelesen", sagt er.

Und er nimmt auch Bezug auf die weitreichenden Befugnisse, die er sich im Vorfeld seiner Kür zum Obmann der Volkspartei hat einräumen lassen: "Ein Maximum an Macht zu haben, war nie das Ziel. Aber die geschwächte Volkspartei zu übernehmen und in eine Wahl zu führen, die volle Verantwortung zu tragen, ohne sicherzustellen, dass Veränderungen auch möglich sind, das wäre mir absurd erschienen." Denn dass er zwar Parteiobmann ist, andere aber entscheiden, mit welchem Team er antritt und welche Inhalte er zu vertreten hat, sei für ihn "keine Option" gewesen, "daher habe ich auch diese Bedingungen an die ÖVP gestellt".

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Ausflüge in Weltgeschichte

Gleich mehrere Kapitel widmen sich Kurz' Ausflüge in die Weltgeschichte und Treffen mit internationalen Politikern. Darunter: Russlands Präsident Wladimir Putin, die deutsche Ex-Kanzlerin Angela Merkel, der einstige Präsident der Vereinigten Staaten Donald Trump und Chinas Präsident Xi Jinping.

Auch Kurz habe es nicht für möglich gehalten, dass Putin "alle Grenzen überschreitet, diesen Angriffskrieg vom Zaun bricht und damit unsägliches Leid verursacht", sagt er. Zur Kritik über seinen Umgang als Kanzler mit Russland sagt er: "Wenn heute beklagt wird, dass Österreich es verabsäumt habe, stärker gegen Russland aufzutreten, dann ist das aus meiner Sicht nicht ganz nachvollziehbar." Darüber hinaus sei er sich "nicht sicher, ob ein härteres Vorgehen gegenüber Russland vor fünf Jahren automatisch zu einem friedlicheren Miteinander heute hätten führen müssen".

Viel Medienschelte

Was sich mehr oder minder durch viele Kapitel des Buches durchzieht, ist Medienschelte. Kurz kritisiert etwa, dass manche Medienschaffende die "besondere Gabe" hätten, sich "auf das Unwesentliche zu fokussieren". Gerade in Österreich erkenne er "eine unglaubliche Liebe, (…), sich dann auch noch ausschweifend mit dem Unwesentlichen zu beschäftigen". Und Kurz nennt auch Beispiele: "Das beginnt bei Äußerlichkeiten wie zum Beispiel, ob jemand eine Krawatte oder Turnschuhe trägt, ob Pressekonferenzen im Sitzen oder im Stehen stattgefunden haben, ob dabei schnell oder langsam gesprochen wurde. Und endet oft bei Geschichten, die ganz einfach nicht den Tatsachen entsprechen."

Auch die Erfindung des Begriffes "Message-Control" schreibt Kurz den Medien zu. "Wenn man so will, ging es uns nicht darum, die Medien zu kontrollieren, sondern vielmehr darum, uns selbst zu kontrollieren. Das, was wir sagten. Und wie wir es sagten." Zum Vorwurf, dass manche Medien von ihm besser behandelt wurden als andere, meint Kurz: "Das fand ich immer lächerlich."

Die Anfänge und das "Geilomobil"

Im allerersten Kapitel "Wie alles begann" erzählt Kurz, dass er in der Vergangenheit immer wieder nach dem Moment gefragt wurde, in dem er beschlossen habe, Politiker zu werden. "Aber diesen Moment gab es nicht." Genauso wenig gab es "ein großes Thema, gegen das ich mich unbedingt engagieren wollte, so wie viele Junge im linken Spektrum damals gegen die schwarz-blaue Regierung auf die Straße gegangen sind". Statt gegen etwas zu sein, sollte er "Konstruktives beitragen". Und er betont einmal mehr, dass er eigentlich nie Politiker werden wollte.

In demselben Kapitel findet auch das "Geilomobil" Niederschlag: Als Obmann der Jungen Volkspartei Wien startete Kurz im Wahlkampf zur Landtags- und Gemeinderatswahl in Wien im Jahr 2010 die Kampagne "Schwarz macht geil" und ließ einen als "Geilomobil" bezeichneten Hummer durch Wien fahren. Dass dies seine größte Jugendsünde gewesen sein soll, kann Kurz nicht verstehen. "So eine große Sünde war es aber nicht", sagt er.

Der "endgültige Rückzug"

Gegen Ende des Buches bekräftigt Kurz einmal mehr, dass seine Zeit auf der politischen Bühne der Vergangenheit angehört. "Ich kann nicht sagen, was ich in zwanzig Jahren genau machen werde. Aber mein Rückzug aus der Politik ist endgültig. Für mich spielt Innenpolitik kaum mehr eine Rolle." (Sandra Schieder, 14.10.2022)