Es war eine Zäsur. Das wurde klar, als ab dem 15. Oktober 2017 durch den Hashtag #MeToo die Flut von Berichten über sexuelle Gewalt nicht mehr abriss. Dabei lagen die Fakten längst auf dem Tisch und waren schon lange vor den Enthüllungen über den Filmtycoon Harvey Weinstein bekannt. So zeigte bereits eine repräsentative Umfrage 2011 für Österreich, dass drei von vier Frauen sexuelle Belästigung erlebt haben, fast jede dritte Frau, 29 Prozent, sexualisierte Gewalt erlitten hat und sieben Prozent vergewaltigt wurden.

Was war also das Neue? Es waren die Schilderungen von Betroffenen, der konkreten Situationen, die viele wiedererkannten. Die Erzählungen über erlebte Traumata, über große Scham und das daraus entstandene Schweigen. In all dem fanden sich zahllose Menschen wieder. Es war diese Stimmung von "Ja, wir wissen, wovon du redest" und die Empörung genau darüber: dass einerseits die Lage schon lange klar war, es aber im Grunde kaum jemanden interessierte. Jetzt, nachdem sich die größte und weltweit zeitgleich stattfindende feministische Kampagne zum fünften Mal jährt, ist die Frage aufgelegt: Was hat es gebracht? Eine Antwort ist: sehr viel. Eine andere lautet, und die ist ebenso wahr: frustrierend wenig.

Jede und jeder ist zuständig, dass Schweigen kein fruchtbarer Nährboden für sexuelle Gewalt mehr ist.
Foto: AP/Ted S. Warren

Sehr viel dahingehend, dass zumindest von offiziellen Stellen, von Firmen, Institutionen oder prominenten Personen mehr erwartet wird. Es ist inzwischen eine Frage des Images, wie man mit Vorwürfen von sexualisierten Übergriffen umgeht. Deshalb sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Initiativen, Vereine und Anlaufstellen eingerichtet worden.

Große Erfolg

Der andere große Erfolg von #MeToo ist so einfach wie wirksam: Wenn darüber geredet wird, können Übergriffe verhindert werden, so formuliert es Ex-Skirennläuferin und Aktivistin Nicola Werdenigg. Sie selbst hat ihre persönliche Geschichte vor fünf Jahren erzählt. Sexuelle Gewalt lebt vom Tabu, davon, dass Betroffene schweigen, weil sie Angst vor den Konsequenzen für sie selbst haben, vor einer Banalisierung dessen, was sie erlebt haben, davor, als zu empfindlich, als irgendwie selbst schuld hingestellt zu werden. Damit wären wir bei "frustrierend wenig": #MeToo-Debatten changieren bis heute zwischen großer Betroffenheit und ebenso großer Genervtheit – dass es jetzt einmal gut sein müsse.

Es werden zwar konkrete Fälle von Vergewaltigungen und Grapschereien gesellschaftlich und – seltener – gerichtlich verurteilt, gleichzeitig werden die größeren Zusammenhänge weiter ausgeblendet: wie sehr unsere Gesellschaft noch immer von Misogynie durchzogen ist, wie rasch Frauen, die sich wehren, misstraut wird. Aus all dem haben viele trotz #MeToo erstaunlich wenig gelernt. Doch wir sind alle dafür zuständig, dass Betroffene ohne Angst und Scham über sexualisierte Gewalt reden können. Dass sie gar nicht auf die Idee kommen, dass das für sie selbst peinlich wäre, dass sie Schwierigkeiten bekommen könnten, ihre Abteilung oder gleich ihren Job wechseln müssten – und nicht die Täter.

Diverse Anlaufstellen können nicht allein ein gesellschaftliches Klima schaffen, in dem diese Sorgen für Betroffene nicht mehr so groß werden, dass sie sich fürs Schweigen entscheiden. Dass Schweigen kein fruchtbarer Nährboden für sexuelle Gewalt mehr ist, dafür ist jede und jeder zuständig. (Beate Hausbichler, 15.10.2022)