Der Begriff "Cancel Culture" wird gerne und schnell eingesetzt. Oft aber sehen sich gerade jene von dieser "Cancel Culture" bedroht, die sich über großflächige PR und Medienöffentlichkeit eigentlich nicht beklagen könnten. Wo der Begriff aber möglicherweise doch zutreffen könnte, ist bei einer Plakataktion in Tirol, wo es nicht alle Sujets gleichermaßen in die Öffentlichkeit schafften.

Für die Plakataktion wurden Künsterler:innen beauftragt, Sujets für eine Kampagne gegen Gewalt gegen Frauen zu entwerfen (DER STANDARD berichtete).Die Sujets wurden ziemlich gut. Auf einem steht: "Du hast keine Freundinnen mehr? Wie schade! Aber wenn du welche hattest, bevor du ihn getroffen hast, dann ist es Gewalt", auf einem anderen lesen wir: "Es ist nicht interpretierbar. Es ist Mord." Es sind in der Tat neue Ideen, um auf Gewalt gegen Frauen und den verniedlichenden Umgang damit aufmerksam zu machen.

Diese Idee hatte Stefanie Sargnagel für die Kampagne #EtwasLäuftFalsch.
Foto: Plakataktion #etwasläuftfalsch Stefanie Sargnagel

Die Illustratorin, Autorin und Satirikerin Stefanie Sargnagel lieferte ein Plakat auf dem "Im Märchen tötet der Prinz den Drachen. In Tirol seine Ex" steht, ein anderes der Wienerin lautet so: "Alle töten ihre Frauen, niemand tötet seinen Chef".

Und sie stellte auch diesen Umstand fest, der als Aufforderung zur Gewalt interpretiert wurde.
Foto: Plakataktion #etwasläuftfalsch Stefanie Sargnagel

Vom italienisch-österreichischen Künstler Aldo Giannotti gibt es eines, das einen rudimentär gezeichneten Penis zeigt, dazu die Frage "Rechtfertigt das deine Gewalt?".

Aldo Giannottis Penis-Sujet.
Foto: Plakataktion #etwasläuftfalsch

Anbiederung an das unsäglich Dumme

Doch anstatt Lobs für diese klugen Sujets abseits von stereotypen Darstellungen von Betroffenen und Tätern, die auch noch den Spagat zwischen Schmäh und harter Kritik an einer patriarchalen Gesellschaft schaffen, gab es unsägliche Reaktionen von privaten Firmen und der ÖBB, die Werbeflächen im Außenraum vermieten. "Vorsorglich" wurden von einigen die Sujets über den Tiroler, den Chef und die Penis-Abbildung aussortiert. Die Argumentation dafür sind in ihrer Wehleidigkeit kaum zu ertragen. Das Tiroler-Sujet würde Tiroler "diskriminieren", das Chef-Sujet könnte als Gewaltaufruf verstanden werden, und das Penis-Sujet, nun ja – wegen des Penis halt. Also wegen einer Zeichnung eines Penis, wie man sie auf jedem Schulklo zigfach findet, gleich neben den Sprüchen, wer alles eine "Bitch" oder "Fotze" ist.

Worin lag also die Vorsorge? Dass sich womöglich ein paar Leute echauffieren, sie würden sich "als Tiroler" schlecht behandelt fühlen, weil ja, bitte schön, nicht jeder Tiroler seine "Ex" umbringt? Oder weil sich ein Chef jetzt unbehaglich fühlt, weil sich der Radar von Gewalttätern nun auf ihn verlagern könnte? Klar, es gibt solche absurden Reaktionen. Aber muss man sich ihnen anbiedern? Die andere Möglichkeit wäre, solche Buhrufe von offenbar Zartbesaiteten einfach auszuhalten und auf den Zweck hinzuweisen, der das massive Problem in Österreich mit Gewalt gegen Frauen ist. Dass jedes Jahr dutzende Frauen aufgrund von geschlechtsspezifischer Gewalt sterben, dass erst kürzlich ein Mann seine Lebensgefährtin mit dem Auto überfahren hat und sie sterbend bei der Ausfahrt einer Tankstelle liegen gelassen hat. Dass das der mutmaßlich 28. Femizid in Österreich ist. Dass Frauen getötet werden, weil sie Frauen sind.

Tiroler und Chefs müssen jetzt stark sein

Sie, lieber Tiroler, könnte man antworten, werden "als" Tiroler nicht diskriminiert. Viele Frauen hingegen so sehr, dass sie das ihr Leben kostet. Für "Chefs" gilt das bekanntlich auch nicht. Also: Lassen wir die Kirche im Dorf. Ist es wirklich zu viel verlangt, dass der Tiroler und der Chef das jetzt mal aushalten? Offenbar, denn anstatt sich dummen Pseudoargumenten zu stellen, wollen einige Firmen ihnen "vorsorglich" begegnen. In Osttirol haben Eltern protestiert, nachdem das Sujet neben einer Schule plakatiert wurde, andernorts wurde es wegen "Sittenwidrigkeit" nicht aufgehängt. Das wäre in einer besseren Welt wohl eine perfekte Gelegenheit, um über Scheinheiligkeit zu reden. Darüber, wen Diskriminierung wirklich trifft und was für Kinder traumatisch ist. Ein eh sehr lieb gezeichneter Penis oder wenn die Mutter des Klassenkameraden erstochen wird. Die Plakatkampagne heißt übrigens #EtwasLäuftFalsch – treffender geht wohl kaum.

Eine Plakataktion für mehr Zivilcourage wäre wohl das Nächste, was dringend nötig wäre. (Beate Hausbichler, 18.10.2022)