Johnson sei nicht der Typ, um das Image der Partei wiederherzustellen, sagte ein Tory-Abgeordneter am Freitag.

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London – Nach der Rücktrittserklärung der britischen Premierministerin Liz Truss wird mit Spannung erwartet, wer sich für ihre Nachfolge bewirbt. Dabei zeichnet sich innerhalb der Konservativen vor allem ein Streit über eine Kandidatur des früheren Premierministers Boris Johnson ab. Als Favoriten galten zunächst Ex-Finanzminister Rishi Sunak, Penny Mordaunt, die Ministerin für Parlamentsfragen, und die am Mittwoch zurückgetretene Innenministerin Suella Braverman. Wirtschaftsminister Jacob Rees-Mogg sprach sich am Freitag als erstes aktuelles Kabinettsmitglied für eine Rückkehr Johnsons aus. "I'm backing Boris" ("Ich unterstütze Boris"), twitterte der als exzentrisch geltende Brexit-Hardliner, der seinen Tweet mit dem Hashtag #BORISorBUST versah.

Unterstützung dürfte Johnson auch von Verteidigungsminister Ben Wallace erhalten, der in seiner Partei erhebliches Gewicht hat. Wallace sagte vor der Presse, er werde nicht selbst kandidieren. Er neige aber dazu, Johnson zu unterstützen, unter dem er bereits Verteidigungsminister war. "Ich habe das Gefühl, dass ich den größten Beitrag zur Sicherheit der Menschen in der Verteidigung leisten kann, indem ich Verteidigungsminister bin", sagte Wallace. "Es ist der Job, den ich gemacht habe, und es ist der Job, den ich beabsichtige zu behalten, also werde ich dieses Mal nicht für den Premierminister kandidieren." Auf die Frage, wen er unterstützen würde, antwortete er: "Im Moment würde ich zu Boris Johnson tendieren."

Untersuchung im Parlament

Nach Angaben von Will Walden, der früher für Johnson arbeitete, kehrt der Ex-Regierungschef gerade aus dem Urlaub zurück und sondiert die Lage. "Das Land braucht einen erwachsenen, ernsthaften Regierungschef", unterstrich Walden in der BBC. "Boris hatte seine Chance, lassen Sie uns weitermachen. Ich vermute, dass die Tory-Partei das nicht tun wird, sie werden ihn wohl wieder wählen."

Berichten zufolge soll der erst Anfang September wegen zahlreicher Skandale aus dem Amt ausgeschiedene Ex-Premier Johnson Interesse an einer erneuten Kandidatur haben. Seine Nachfolgerin Truss hatte am Donnerstag nach nur sechs Wochen im Amt ihren Rücktritt angekündigt. Unklar war jedoch zunächst, ob Johnson genug Unterstützung in der Fraktion erhalten würde. Zudem läuft derzeit noch eine Untersuchung im Parlament, die klären soll, ob Johnson im Zusammenhang mit der Partygate-Affäre über verbotene Lockdown-Feiern im Regierungssitz 10 Downing Street gelogen hat.

Labour Party für Neuwahlen

Die oppositionelle Labour Party forderte am Donnerstag zwar Neuwahlen. Allerdings haben Truss' Konservative im Unterhaus eine umfassende Mehrheit und müssen erst in zwei Jahren Wahlen ausrufen. Umfragen zufolge liegen sie etwa 30 Prozentpunkte hinter der stärksten Oppositionskraft Labour. Bei dem Forschungsinstitut YouGov ist Truss die unbeliebteste Regierungschefin seit dem Beginn der Erhebungen.

Nachfolge soll bis Freitag nächster Woche geklärt sein

Der Chef der oppositionellen Liberaldemokraten, Ed Davey, forderte, Truss dürfe nicht die Zulage von 115.000 Pfund (132.000 Euro) pro Jahr erhalten, die für ehemalige Premierminister üblich ist. "45 Tage zu arbeiten sollte einem keine Pension einbringen, die ein Vielfaches dessen ist, was gewöhnliche Menschen da draußen nach einem Leben voller Arbeit bekommen", sagte Davey dem Sender LBC.

Spätestens am Freitag nächster Woche soll ein neuer Regierungschef oder eine -chefin gewählt sein. Um ins Rennen zu gehen, brauchen Kandidaten den Rückhalt von mindestens 100 Abgeordneten, wie die Partei bekannt gab. Bis Montag (15 Uhr MESZ) können Nominierungen eingehen. Nehmen mehr als zwei Kandidaten diese Hürde, soll bei Abstimmungen in der Fraktion noch ausgesiebt werden. Gibt es danach noch zwei Finalisten, kann sich die Parteibasis zwischen diesen Bewerbern im Laufe der Woche in einem Online-Votum entscheiden. Es gilt aber auch als möglich, dass die Entscheidung schon früher fällt, falls sich einer der beiden Finalisten freiwillig zurückzieht.

Johnson in Umfragen vorn

Eine Umfrage vor einigen Tagen zeigte unter den Parteimitgliedern eine Mehrheit für Johnson. Wettbüros sehen dagegen Sunak als Favoriten. Ex-Kulturministerin Nadine Dorries, eine Vertraute Johnsons, bezeichnete den früheren Premier als Siegertypen. Sky News zitierte ein Kabinettsmitglied mit den Worten, dass Johnson in der Lage sei, die für eine Kandidatur nötigen Stimmen zu erreichen. "Ich denke, er hat bewiesen, dass er die Dinge zum Besseren wenden kann", sagte der Tory-Abgeordnete Paul Bristow am Freitag im Radiosender LBC. "Er kann das Ruder noch einmal herumreißen. Und ich bin sicher, dass meine Kollegen diese Botschaft laut und deutlich hören." Johnson könne die nächste Parlamentswahl gewinnen.

Es gibt aber auch entschiedene Gegner einer Johnson-Rückkehr: Der 58-Jährige sei nicht der Typ, um das Image der Partei wiederherzustellen, sagte der Tory-Abgeordnete Crispin Blunt am Freitag dem Sender Sky News. Der Parlamentarier Roger Gale kündigte an, er werde aus der Partei austreten, wenn Johnson wieder in die Downing Street einziehe.

Unruhe am Markt sorgte für Rücktritt

Auslöser für den Rückzug von Truss waren Marktturbulenzen aufgrund ihres radikalen Wirtschaftsprogramms, das auch in den eigenen Reihen auf scharfe Kritik gestoßen war. Sie werde noch so lange im Amt bleiben, bis ein Nachfolger ernannt worden sei, sagte die konservative Politikerin am Donnerstag in der Downing Street. "Ich erkenne an, dass ich in dieser Situation das Mandat, mit dem ich von der Konservativen Partei gewählt wurde, nicht erfüllen kann", so die frühere Außenministerin in einer kurzen Rede vor ihrem Amtssitz. "Ich habe daher mit Seiner Majestät dem König gesprochen, um ihm mitzuteilen, dass ich als Vorsitzende der Konservativen Partei zurücktrete."

Truss übernahm die Amtsgeschäfte am 6. September. Sie wird damit als Regierungschefin mit der kürzesten Amtszeit in die britische Geschichte eingehen. Zuvor hielt George Canning den Rekord, der 1827 nach 119 Tagen im Amt starb.

Umfragen sehen Labour deutlich vorn

Die konservative Tory-Partei in Umfragen erneut deutlich an Zustimmung verloren. In einer am Donnerstag vom Marktforschungsinstitut PeoplePolling für den Sender GB News durchgeführten Umfrage gaben 53 Prozent der Befragten an, sie würden die oppositionelle Labour Party wählen, wenn eine Neuwahl bevorstünde.

Nur 14 Prozent wollten trotz der politischen Turbulenzen in der britischen Regierung in den vergangenen Monaten noch die Tories wählen. Die Liberaldemokraten kamen in der Umfrage auf elf Prozent. (APA, red, 21.10.2022)