Mit Zigarettenspitz am Klavier: Gerhard Bronner prägte das Nachkriegskabarett, u. a. im ORF-Fernsehen und Radio.

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Barpiano: Die Kunstform, die am Beginn von Gerhard Bronners Werk steht und sich als musikalischer Leitfaden durch sein Leben zieht, kommt einem heute nur noch selten zu Ohren und Augen: Das Barpianospiel – die Kunst, unaufdringlich im Hintergrund bleibend, aber galant-souverän mittels JazzStandards und anderer Evergreens in Hotelbars, Cafés und Restaurants für Wohl- und Weltgefühl zu sorgen. Bronner, der das Klavierspiel mit fünf Jahren lernte, verdiente sich als junger Mann im Exil in Palästina als Barpianist und Sänger erste Sporen als Unterhalter.

Conférencier: Aus dem Revuetheater kommt Bronners zweite Paradedisziplin, jene des humorbegabten Ansagers. Karl Farkas und Fritz Grünbaum kultivierten die Doppelconférence im Wiener Kabarett der 1920er-Jahre, Bronner konnte ab den 1950ern vor allem gemeinsam mit Peter Wehle daran anschließen: "Der Wehle war der depperte Schusslige, ich der unangenehme G’scheite", sagte Bronner dazu und bekannte: "Einige der bösesten Sätze, die ich in einer Doppelconférence über den Wehle sagte, stammen eigentlich von ihm. Zum Beispiel der Schüttelreim ‚Es tut mir in der Seele weh, wenn ich den Peter Wehle seh.‘" Wortspielereien gehörten zu Bronner-Auftritten wie sein Spitz zur Zigarette.

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Eleganz: Anzug und Krawatte, Stil und Eleganz – die Zoten konnten noch so tief sein, Bronner und die meisten seiner Mitstreiter (zur Ausnahme kommen wir noch) bewahrten auf der Bühne stets die kultivierte Optik. Die Sprache aber durfte in allen Farben schillern: vom geschliffensten Theaterdeutsch bis zum lebensnahen Altwiener Beislspruch wurde allen Varianten der österreichischen Ausdrucksweise eine Bühne bereitet.

Flucht: Gerhard Bronner wurde am 23. Oktober 1922 in eine jüdische Arbeiterfamilie aus Wien-Favoriten hineingeboren. Die Familie war sozialdemokratisch aktiv, ein Bruder starb im Austrofaschismus, die Eltern und ein weiterer Bruder wurden in der NS-Zeit im KZ ermordet. Gerhard Bronner gelang 1938 als 15-Jährigem unter Lebensgefahr die Flucht über Tschechien und die Türkei nach Palästina. 1948 kehrte er nach Wien zurück – der Literaturkritiker Hans Weigel überzeugte ihn, seiner Heimat noch einmal eine Chance zu geben: "Ja, ich hatte hier Wurzeln", sagte Bronner später, "aber die wurden mit roher Gewalt herausgerissen, und sie sind nie wieder nachgewachsen."

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G’schupfter Ferdl: Bronner arbeitete sich dennoch unablässig bis zu seinem Tod im Jahr 2007 an Wien und der österreichischen Identität ab. Er schrieb hunderte Lieder im Coupletstil mit Klavier, die meisten davon inspiriert von realen Alltags- und Politbeobachtungen. Zu Klassikern wurden Der g’schupfte Ferdl (1952),ein Lied über das Wiener Strizzitum, Der Bundesbahnblues (1956), Die alte Engelmacherin (1957)oder Der Papa wird‘s scho richten (1958), das zum Rücktritt des ÖVP-Nationalratspräsidenten Felix Hurdes beitrug, der einen schweren Autounfall seines Sohnes vertuscht hatte. Obwohl Bronner mit der Populärkultur fremdelte, hatte er auch Anteil an der Initialzündung des Austropop, indem er für Marianne Mendt den einschlägigen Hit Wie a Glock’n (1970) schrieb. Weniger bekannt, aber auch heute noch hörenswert sind Nummern wie Zyankali (über den Gattenmord), Von was leben die Leut’ (über die Wohlstandsgesellschaft), Er trinkt kan Wein, Der Tachinierer, Das Lied vom Herrn Ober (Sperrstund’ is), Jonah saß im Wal (musikalischer Ausreißer), Schach-WM (Kalter Krieg), Old McDonalds’ Esskultur, Masken (sehr heutig) oder Die Hausmeister von Österreich (die das Land wirklich regieren).

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Guglhupf: Ab den 1970er-Jahren avancierte Bronner zum umtriebigen Programmgestalter in Funk und Fernsehen. 1978 erfand er die sonntägliche Ö1-Satiresendung Der Guglhupf, das Willkommen Österreich der damaligen ORF-Landschaft, das er gemeinsam mit Peter Wehle moderierte. Das Format hatte bis 2009 Bestand. Über die Rundfunkarbeit, sagte Bronner einmal, habe er im Gegensatz zu den Bühnenkabaretts, die mehr "predigen zu den Bekehrten" waren, auch regelmäßig politisch Andersdenkende erreichen können. Im Ausland ist Bronner laut Eigenaussage vor allem als Übersetzer von Musicals und Operetten, darunter My Fair Lady, bekannt gewesen.

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Kinder: Bronner wurde Vater von vier Kindern. Mit Sohn Oscar schrieb er 1965 einen auf Gesprächsmitschnitten basierenden TV-Sketch, der den damals Studentenproteste hervorrufenden Nazi-Professor Taras Borodajkewycz kritisierte. Oscar Bronner gründete 1988 den STANDARD und ist bis heute dessen Herausgeber.

Mariettabar: In dem Kellerlokal in der Wiener Innenstadt hatte Bronner seine ersten Nachkriegsauftritte. Später pachtete und kaufte er die Bar, führte sie bis 1988 als Cabaret Fledermaus weiter, womit er an die Tradition des gleichnamigen Revuetheaters der Jahrhundertwende anschloss. 1959 übernahm Bronner zudem das Neue Theater am Kärntnertor. Bronners Bühnen waren neben dem Simpl die Zentren der Satirekunst und Sprungbrett für viele Karrieren, darunter jene von Dolores Schmidinger oder Georg Kreisler.

Namenloses Ensemble: 1950 fand sich eine Gruppe zusammen, die das Kabarett die nächsten dreißig Jahre prägen sollte: Bronner traf auf die Satiriker Carl Merz und Helmut Qualtinger sowie den Regisseur Michael Kehlmann (der bald ausstieg). Später kamen u. a. Georg Kreisler, Louise Martini und Peter Wehle hinzu. Gemeinsam schuf man legendäre Kabarettprogramme wie Brettl vor’m Kopf (1952), Blattl vor’m Mund (1956), Brettl vor‘m Klavier (1957) oder Glasl vor’m Aug (1957), deren Aufzeichnungen Fernsehgeschichte schrieben. Gerade Helmut Qualtinger stach mit seiner betont ungustiösen Widerspiegelung des trink- und essfreudigen Paradeösterreichers darstellerisch aus dem Ensemble heraus. Zum Publikumsliebling wurde Qualtinger endgültig ab 1961 mit dem gemeinsam mit Merz geschriebenen Monolog des Wendehalses Herr Karl.

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Rivalen: Leicht war es nicht, die geballte Ego- und Kreativkraft in der Runde unter einen Hut zu bekommen. In einem STANDARD-Interview zu seinem Achtziger sagte Bronner: "Ich bin als Sozialdemokrat aufgewachsen. Der Carl Merz war ein Kohlraben-schwarzer. Der Georg Kreisler eigentlich ein Kommunist, der Peter Wehle ein katholischer Monarchist. Und der Qualtinger ein Nihilist. Eine politische Nummer zu schreiben war also nicht ganz einfach." In späteren Jahren rächte sich außerdem die Angewohnheit, dass Nummern vielfach im Kollektiv geschrieben wurden. Bronner litt zudem darunter, dass Lieder, die aus seiner Feder stammten, in der Öffentlichkeit meist Qualtinger zugeschrieben wurden. Der Streit um die Autorenschaft führte zu einer Dauerfehde mit Bronners Hauptrivalen und Altersgenossen Georg Kreisler, der im Juli 100. Geburtstag hatte.

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Steuern: Als 1986 der NS-belastete Kurt Waldheim zum Bundespräsidenten gewählt wurde, gehörte Gerhard Bronner zu dessen schärfsten Kritikern und wurde dafür antisemitisch angefeindet. 1988 übersiedelte Bronner nach Florida (USA), in Österreich wurde er der Steuerflucht beschuldigt. Bronner weigerte sich, die aus seiner Sicht ungerechtfertigte Schuld zu bezahlen. 1993 konnte sie von Unterstützern beglichen werden, woraufhin er nach Wien zurückkehrte.

Versöhnung: Das Verhältnis Bronners zu Wien und Österreich, zum Land der Täter, blieb zeitlebens ambivalent. Im Lied Ein kleines Land sang er: "Das eigene Nest beschmutzen ist beinahe obligat / und doch frisst man die Krot, paniert und mit Salat." In National bekannte Bronner allerdings, dass Österreich für ihn immer schon eine eigene Nation gewesen sei, und in A g’sunder Schmäh besang er ebenjenen als die zugehörige "Weltanschauung". Was von Bronner, dessen umfangreicher Nachlass heute in der Nationalbibliothek lagert, bleibt, ist denn auch genau das: der Glaube an die Wiedergeburt des anderen Österreich, jenes der Kunst und intellektuellen Leistung, aus dem Geiste des Witzes. Bronner und seine Generation schufen Unterhaltung mit Haltung. Sie sprangen über ihren eigenen Schatten, das erlittene Unrecht, und wählten als Heilmittel den Humor. Ausgelacht hat es sich zum Glück bis heute nicht. (Stefan Weiss, 23.10.2022)