SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner: Gehen die Wahlen ideal für die Sozialdemokraten aus, dann kann sie zwischen den beiden Herren im Hintergrund – oder deren Nachfolgern – wählen. Eine solche Option lässt sich keine Partei gerne aus der Hand nehmen.

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In grünen Augen ist es ein fieses Spiel. Die SPÖ husst zwar die kleinere Regierungspartei auf, der "im Korruptionssumpf" steckenden ÖVP die Treue aufzukündigen bietet aber nicht die scheinbar logische Alternative an. Stattdessen verkneifen sich die Sozialdemokraten jede Festlegung, nach Neuwahlen eine Ampelkoalition schmieden zu wollen. Am Ende, fürchten manche Grüne, "schauen wir aus der Opposition zu, wie die SPÖ mit der ÖVP in alter Gewohnheit gemeinsame Sache macht".

Ist das der Hintergedanke? Oder gibt es andere Gründe, warum sich die SPÖ nicht auf das Ziel einer Regierung mit den Grünen und Neos versteifen will? Seriöse Politik müsse einen Schritt nach dem anderen setzen, antwortet Vizeklubchef Jörg Leichtfried: Erst solle es Neuwahlen geben – liegt ein Ergebnis vor, sehe man weiter. Es wäre vermessen, bereits jetzt Koalitionsabsprachen zu treffen: "Mir gebietet der Respekt vor den Wählerinnen und Wählern, da nicht vorzugreifen."

Fix sei lediglich, dass ein Pakt mit der FPÖ nicht infrage komme, ergänzt Leichtfried und offenbart sein "Lieblingsszenario": Die SPÖ wird Erster und hat mehrere Optionen einer Regierungsbildung. Die Ampel findet auf diesem Wunschzettel keinen Platz.

Ruf nach Lagerwahlkampf

Nicht alle Genossen sind darüber glücklich. Für eine "klare Ansage" plädiert ein erfahrener, kampagnenerprobter Funktionär: Ein "Lagerwahlkampf" mit den Kernthemen sozialer Ausgleich, Ökologisierung und Transparenz könnte nicht nur vom Kurz-Erbe abgestoßene Bürgerliche ansprechen, sondern sogar blauaffine Wähler: Schließlich sei die FPÖ als Antikorruptionspartei groß geworden.

Skeptiker befürchten das glatte Gegenteil. Eine Ampelansage wäre eine todsichere Methode, um Wählerinnen und Wähler fernab des linksliberalen Milieus zu verschrecken. Genau diese braucht es aber, um auf die nötigen Mandate zu kommen. Schon der sozialdemokratische Überkanzler Bruno Kreisky konnte seine Ära nur deshalb begründen, weil er Konservative überzeugt hatte, "ein Stück des Weges gemeinsam zu gehen".

Wer die Ampel will, muss schweigen

"Eine strukturelle Mehrheit rechts der Mitte" erkennt der Politologe Laurenz Ennser-Jedenastik in Österreich. Die ÖVP habe es sich 2017 ergo leisten können, rechts zu blinken, um dann tatsächlich in eine Koalition mit der FPÖ abzubiegen. Für Architekten eines eher links angesiedelten Paktes hingegen gelte: "Wer mit ein bisschen Hirn nachdenkt, darf das Ziel der Ampel nicht offen aussprechen. Die SPÖ müsste im Wahlkampf etwas anderes signalisieren, als sie in Wahrheit anstrebt."

Auch mit Blick auf die Zeit nach der Wahl hält Ennser-Jedenastik ein Ampelversprechen für gelinde gesagt gewagt. Eine Festlegung würde ein Druckmittel für die Koalitionsverhandlungen rauben: Kann eine Partei mit dem Absprung zu einem anderen Partner drohen, lässt sich das Gegenüber prächtig erpressen. Und was, wenn sich die anvisierte Ampel rechnerisch nicht ausgeht? Dann müsste die SPÖ mühsam erklären, warum die ÖVP nun doch nicht tabu ist – und sich gleich einmal Wortbruch vorwerfen lassen.

Steigender Grant auf Grüne

Doch abseits der Strategie: Spielen inhaltliche Bedenken ebenfalls eine Rolle? Jene roten Kräfte, die zur großen Koalition tendieren, sind in den Oppositionsjahren nicht ausgestorben. Teile der Gewerkschaft zählen dazu, auch Wiens Bürgermeister Michael Ludwig hat einen guten Draht zur "alten" ÖVP – etwa zur Wirtschaftskammer. Überdies steige der Grant auf die Grünen, ist zu hören: Das Sündenregister reiche vom Aus des Lobautunnels bis zum ständigen "Hinpecken" auf die SPÖ.

Entscheidend seien diese Vorbehalte aber nicht, sagt ein Bundespolitiker: Zu viele Genossen teilten die Meinung, dass Österreich "vom konservativen Dunst befreit" werden müsse: "Die ÖVP glaubt ja, ihr gehört das Land." Wenn sich die Ampel ausgeht, dürfte die SPÖ das Experiment wohl wagen – man will es nur nicht allzu laut sagen.

Auch Neos halten sich Varianten offen

Die Partner in spe tun sich ebenso wenig mit Bekenntnissen hervor. Für die Grünen stellt sich die Frage so lange nicht, als sie die Koalition mit der ÖVP ausreizen wollen, und für die Neos gelten ähnliche Bedenken wie für die SPÖ. Als in der Mitte angesiedelte Partei droht jede Koalitionsansage in eine Richtung Wählerinnen und Wähler von der jeweils anderen Seite zu vergrätzen.

Man wisse heute noch nicht einmal, wer bei der nächsten Wahl die handelnden Personen seien, sagt Nikolaus Scherak, Vize-Klubchef der kleinsten Oppositionspartei, Festlegungen seien sinnlos. Die Neos würden beweisen, dass sie mit beiden traditionellen Kanzlerparteien Sinnvolles zustande bringen könnten, mit der ÖVP in Salzburg, mit der SPÖ in Wien – und auch auf Bundesebene könnten beide Varianten "ihren Reiz haben".

Scherak hütet sich davor, eine Präferenz erkennen zu lassen. Die ÖVP müsse sich einer ernsthaften Bewältigung ihrer Vergangenheit stellen, indem sie schärferen Antikorruptionsgesetzen zustimmt, bei der SPÖ sieht er die Hürden in der Wirtschaftspolitik – etwa bei der Verweigerung einer Pensionsreform: "In beiden Konstellationen wird es schwer." (Gerald John, 24.10.2022)