Das Publikum bleibt aus, Intendant Slagmuylder geht vorzeitig. Brigitte Fürle, künstlerische Beraterin des Festival Internacional Teatro A Mil in Santiago de Chile, erinnert sich im Gastkommentar an ihre Zeit bei den Wiener Festwochen.

Die Eröffnung der Wiener Festwochen lässt alljährlich das Rathaus erstrahlen. Weniger begeisterte zuletzt die Programmierung des Festivals. Die Kartenverkäufe gingen zurück.
Foto: Hand mit Auge

Die Wiener Festwochen sind schon länger in der Krise, nicht erst, seitdem sie aktuell auf 30.000 verkaufte Karten geschrumpft sind, also mehr als die Hälfte ihres Publikums verloren haben. Lautstarke Abgänge von Schauspieldirektorinnen sorgten für Unmut: "Die Festwochen sind eine Intrigenmaschine" (Stefanie Carp im Profil 2013 am Ende der überlangen Ära von Luc Bondy). In der kurzen Ära von Markus Hinterhäuser ging Frie Leysen 2014 nach nur einer Festivaledition. Die Intendanz von Tomas Zierhofer-Kin endete bekanntlich nach zwei Ausgaben, und Noch-Intendant Christophe Slagmuylder geht jetzt frühzeitig, obwohl seine bereits zweite Vertragsverlängerung ebenso abgesichert schien wie seine erste. Gab es überhaupt ernstzunehmende Bewerberinnen und Bewerber für diese Ausschreibung, die nun wieder hinfällig ist? Im Team setzte seit Slagmuylders Amtsantritt eine unerfreulich hohe Fluktuation ein, das Publikum wünscht sich Festwochen wie früher – die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt.

Legendäre Feste

Früher, da gab es innovative Schauspielprogramme, programmiert von Marie Zimmermann, von Stefanie Carp, von Stefan Schmidtke, und noch früher, in den 1990er-Jahren, der Ära von Intendant Klaus Bachler, haben zwei Dramaturgiekollegen, Klaus Peter Kehr für das Musiktheater sowie Elisabeth Wäger für die "Zeitschnitte", und ich für "Big Motion" in der Halle G das Festwochen-Programm mitgestaltet, das auch den Beginn neuer Theaterformen bei den Wiener Festwochen einleitete.

Die Festwochen waren damals und bis vor wenigen Jahren ein Theater der Welt, ein Entdeckerfestival. Premierenfeiern waren legendäre Künstlerfeste und keine Eiszeit-Veranstaltungen. Man ging zu den Wiener Festwochen, um Robert Wilsons Black Rider zu sehen, Henry VI, inszeniert von der damals noch unbekannten Kathie Mitchell, "Big Motion" in der Halle G mit neuen Namen wie Robert Lepage (The Seven Streams of The River Ota), Socìetas Raffaello Sanzio (La Discesa di Inanna), die erste queere Show bei den Festwochen, Penny Arcades Bitch Dyke Faghag Whore!, und Spektakel der französischen Straßentheaterkompanie Royal de Luxe, die allein schon für 10.000 Zuschauerinnen und Zuschauer sorgte und entsprechenden Furor, bei freiem Eintritt auf dem Rathausplatz.

"Die Wiener Festwochen waren für mich ein Theatertreffen der Welt, das uns mit berührenden, radikalen, eindringlichen und unvergesslichen Theaterereignissen beglückt hat."

Das Programm war ein Mix, von großformatigen Theater- und Musiktheaterereignissen bis zu neuen und radikalen Theaterformen, ein theatralischer Spannungsbogen, um nur einen Ausschnitt aus meinen Jahren zu beschreiben. Die Wiener Festwochen waren für mich ein Theatertreffen der Welt, das uns mit berührenden, radikalen, eindringlichen und unvergesslichen Theaterereignissen beglückt hat. Davon ist wenig übriggeblieben. Die Festwochen sind in der Krise – unsere Festwochen!

Neue Theaterformen haben nun längst auch in den Repertoirehäusern Einzug gefunden, die Veranstaltungsdichte in Wien heutzutage widerspricht dem Ausnahmezustand, den Festivals allgemein beanspruchen. Aber die Krise der Festwochen hat nicht nur mit Publikumszahlen zu tun, sondern auch schon sehr lange mit ihren Strukturen, die zu meiner Zeit noch überschaubar und klar waren in Bezug auf Budget- und Personalverantwortung. Immerhin, eine Krise ist auch ein Moment, in dem Neues entstehen kann, Inhalte und Strukturen evaluiert werden können gemeinsam mit dem Team, das viele Konflikte der wechselnden Schauspieldirektorinnen und Intendanten in den letzten zehn Jahren durchgestanden hat.

Festwochen wie früher gibt es nicht mehr, was sind die Festwochen der Zukunft?

Festwochen-Haus

Erfreulicherweise spielt zurzeit im Museumsquartier das Musiktheater an der Wien unter der neuen Leitung von Stefan Herheim, und Publikum wie schon seit langem nicht strömt wieder in die Halle E. Diese künstlerisch hochkarätige Bespielung ist ein Glücksfall für diese Halle, die in ihrer derzeitigen finanziellen Ausrichtung außerhalb der Festwochen-Zeit an B-Musicals vermietet wird. Wenn das Musiktheater an der Wien 2024 zurück an den Naschmarkt zieht, könnte die Fortsetzung einer künstlerischen Nutzung der Halle E auch außerhalb der Festwochen neue Visionen gerade für diese eröffnen:

Festivals von Avignon bis Manchester bauen zusätzliche multifunktionale Räume, schlicht "La Fabrique" und "The Factory" benannt, um auch über Produktionsräume für Kreation und interdisziplinäre Kunstformate für ihre Festivals zu verfügen. Auch die Festwochen könnten mit der Halle E Zeit und Raum für Kreation für internationale und heimische Künstlerinnen und Künstler schaffen.

Theatertreffen der Welt

Baut eine Zukunft für die Halle E als offenes Festwochen-Haus für Theater, Tanz und interdisziplinäre Kunstformen, für Residencies und vieles mehr! Und bitte lasst die Festwochen wieder ein Theatertreffen der Welt von heute sein! (Brigitte Fürle, 27.10.2022)