Die Fachwelt diskutiert allenfalls über das Ausmaß, weitere Zinsschritte sind aber fix – und auch fix eingepreist. Die meisten gehen davon aus, dass die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag und die US-Notenbank Fed bei ihrer Sitzung Anfang November die Zinsen kräftig nach oben schrauben. Experten rechnen etwa mit einem weiteren großen Zinsschritt um 0,75 Prozentpunkte.

Auch der Internationale Währungsfonds sieht keine andere Option: Die mit der sprunghaft gestiegenen Inflation kämpfenden Notenbanken sollten die Zinsen weiter anheben. Sie müssten in den "neutralen Bereich", der die Konjunktur weder anschiebt noch bremst, so IWF-Chefin Kristalina Georgiewa in Berlin der Nachrichtenagentur Reuters. Die meisten Länder seien davon noch weit entfernt. Für Europa wird an den Finanzmärkten derzeit davon ausgegangen, dass sich das neutrale Niveau beim Einlagensatz – dem Zinssatz auf geparkte Einlagen von Geschäftsbanken bei ihren Notenbanken – in einer Spanne zwischen 1,5 und 2,0 Prozent bewegt. Aktuell liegt der Satz eben erst bei 0,75 Prozent.

Die Europäische Zentralbank in Frankfurt wird die Zinsen weiter nach oben schrauben. Ob das gegen die Inflation hilft, ist umstritten.
Foto: EPA/SASCHA STEINBACH

EZB-Präsidentin Christine Lagarde pflichtet Georgiewa bei. Es sei das erste Ziel der EZB, in den neutralen Bereich zu kommen. Dann müsse man sehen, ob das Zwei-Prozent-Ziel damit erreichbar sei. Manche Währungshüter sind der Auffassung, dass dies nicht genügen werde. Eine Gratwanderung, die nicht einfach ist und auch Donnerstag wieder zu Debatten führen wird.

Georgiewa warnt, die hohe Inflation bremse das Wirtschaftswachstum – und das "trifft die ärmsten Teile der Bevölkerung am härtesten". Deswegen müssten die Notenbanken alles tun, um die Inflation zu drücken. "Es dauert sechs bis neun Monate, um wirkliche Effekte zu sehen." Inwieweit die Notenbanken mit ihrer restriktiveren Geldpolitik die Inflation dämpfen und ab wann die Wirtschaft zu sehr abgebremst wird, ist umstritten.

EZB ist "machtlos"

"Gegen einen großen Teil der aktuellen Inflation ist die Geldpolitik derzeit machtlos" – zu diesem Schluss kommt aktuell das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln). Denn ein Großteil der Preissteigerungen sind auf Energie- und Rohstoffkosten und unterbrochene Lieferketten zurückzuführen. "Gegen diese Bestimmungsfaktoren der Inflation hat es die Geldpolitik schwer, da sie vor allem auf die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen wirkt", zitiert Reuters die IW-Autoren. Neu ist diese Erkenntnis nicht. Vor allem bleibt kein anderer Weg, das sieht auch das IW Köln so. Die EZB müsse die "Inflationserwartung stabilisieren" – dies schon im Interesse der Arbeitgeber, um eine Lohn-Preis-Spirale, also zu hohe Lohnforderungen, zu verhindern. (Regina Bruckner, 27.10.2022)