Elon Musk will die lebenslange Sperre von Donald Trump auf Twitter aufheben.

Foto: DADO RUVIC, REUTERS

Der Vogel ist frei, schreibt Elon Musk auf seinem jüngst erworbenen Spielplatz namens Twitter. 44 Milliarden US-Dollar hat der reichste Mensch der Welt für die Plattform ausgegeben, an Nebenkosten kommen noch einmal 2,5 Milliarden Dollar dazu. Am Freitag war es endlich so weit, und der Twitter-Deal wurde besiegelt. Ganz freiwillig hat Musk den Termin freilich nicht gewählt, er wurde ihm von einer Richterin vorgeschrieben – ansonsten wäre es zu einem Verfahren gekommen.

Der Witzbold mit dem eisernen Besen

An dessen Ende hätte Musk das soziale Netzwerk wahrscheinlich ohnehin kaufen müssen, also tat Musk, was er immer tut: Er inszenierte sich. Diesmal wählte er die Rollen als Witzbold und kam mit einem Waschbecken in die Twitter-Zentrale in San Francisco. "Let that sink in", war sein Kommentar dazu. Anschließend gab es noch Fotos, wie Musk und die Mitarbeiter zur Feier des Tages einen Kuchen verspeisen, die Bilder waren in der Welt, das Gericht wohl von den ernsthaften Kaufabsichten Musks überzeugt, und Musk schaffte es, doch noch irgendwie aus einer für ihn zunehmend peinlichen Situation herauszukommen.

Dieser, laut Musk, Dienst an der Zivilisation kostet ihn und seine Investoren 44 Milliarden Dollar, 46,5 Milliarden mit Nebenkosten – aus seiner Sicht zu viel. In dieser Darstellung hat sich Musk die Realität ein wenig zurechtgebogen. Als der Milliardär Anfang des Jahres begann, heimlich Twitter-Aktien zu horten, unterließ er die eigentlich verpflichtende Meldung an die US-Börsenaufsicht. Ein Trick, der ihm 143 Millionen Dollar erspart hat. Der Kaufpreis von 54,20 Dollar pro Twitter-Aktie ist zwar hoch, aber nicht außerhalb des Rahmens. So stand die Twitter-Aktie im Februar kurzfristig auf über 70 Dollar.

Musks erste Amtshandlung war unter Beobachtern schon erwartet worden: Der Milliardär fegte die Chefetage von Twitter hinweg. Parag Agrawal, der Jack Dorsey als Twitter-CEO nachfolgte, und Chief Financial Officer Ned Segal wurden von Sicherheitskräften hinauseskortiert. Auch Vijaya Gadde, die von Musk öffentlich kritisierte Policy-Chefin des Unternehmens, wurde abgesetzt. Sean Edgett, der General Counsel, musste genauso seinen Hut nehmen wie Chief Customer Officer Sarah Personette.

Für diese Schmach erhielten die Führungskräfte stattliche Auszahlungen: Agrawal bekam 38,7 Millionen Dollar, Segal 25,4 Millionen, Gadde 12,5 Millionen, und Personette, die zuvor noch twitterte, wie aufgeregt sie über Musks Übernahme sei, bekam 11,2 Millionen Dollar. Überraschend kamen die Entlassungen nicht, hatte Musk doch viele der Genannten wochenlang öffentlich kritisiert – auf Twitter natürlich.

Zwei Tests für Musk stehen bevor

Doch was heißt das alles für die User? Twitter gilt als die relevanteste Plattform einer digitalen Öffentlichkeit, aber eines ist es mit Sicherheit nicht: ein digitaler Streichelzoo. Tatsächlich gibt es auf Twitter ein unter der Oberfläche brodelndes Problem mit Falschinformationen, Hass und irrlichternden Gestalten der extremen politischen Ränder. Das bisherige Twitter-Management hat zwar Maßnahmen ergriffen, aber nur, wenn es wirklich nicht mehr anders ging. Als Donald Trump den versuchten Staatsstreich vom 6. Jänner 2021 anfeuerte, tat er das mit einem Tweet. Erst 48 Stunden nach dem Sturm auf das Kapitol reagierte die Plattform und sprach einen lebenslangen Bann über den nunmehrigen Ex-Präsidenten aus.

Dieser zeigte sich erfreut über die Twitter-Übernahme durch Elon Musk: "Ich bin sehr froh, dass Twitter jetzt in vernünftigen Händen ist und nicht mehr von linksradikalen Spinnern und Verrückten geführt wird, die unser Land wirklich hassen", schrieb Trump auf der von ihm mitgegründeten Social-Media-Plattfrom "Truth Social" am Freitag. Twitter müsse nun hart daran arbeiten, sich von all den Bots und gefälschten Konten zu befreien, die dem Online-Dienst geschadet hätten. "Es wird viel kleiner sein, aber besser", schrieb Trump.

Userinnen und User werden sich also auf ein noch toxischeres Umfeld einstellen müssen. Der erste Test für Musks neuen Kurs wird die Präsidentenwahl in Brasilien am 30. Oktober sein. Jair Bolsonaro hat seine Anhänger bereits auf Widerstand eingeschworen, sollte die Stichwahl nicht zu seinen Gunsten ausgehen – ganz wie sein großes Vorbild aus den USA. Welche Rolle Twitter dabei spielen wird, liegt nun in Musks Händen. Am 8. November finden in den USA die Midterm-Elections statt, das Twitter-Management hatte im Vorfeld angekündigt, die zu erwartenden Falschinformationen über den Wahlausgang zu unterbinden – nur gibt es dieses Management nun nicht mehr.

Auch in Österreich wähnen sich Vertreter der äußeren Ränder des politischen Spektrums bereits auf der Siegerstraße. Johann Gudenus, Ex-FPÖ-Politiker und Ibiza-Partner von Heinz-Christian Strache, sieht in Musk einen Verbündeten im "Kampf gegen das linke Meinungsdiktat".

Ernste politische Konsequenzen befürchtet auch David Kaye, Jurist, UN-Berater in Sachen Redefreiheit und Professor an der Universität von Kalifornien. Seiner Ansicht nach könnten Staatenlenker auf Plattform wie einem unmoderierten Twitter ausprobieren, wie weit sie gehen können.

Der Wilde Westen braucht einen Sheriff

Bedenken, die natürlich auch den Werbekunden von Twitter Kopfschmerzen bereiten. Musk, der selbsternannten "Absolutist der Meinungsäußerung", versucht einmal mehr die Wogen zu glätten: Er werde dafür sorgen, dass Twitter ein digitaler öffentlicher Platz werde, auf dem es zu konstruktiven Debatten ohne Gewalt komme. Das sei für die Zukunft der gesamten Zivilisation wichtig – und deshalb habe er Twitter gekauft: "Um der Menschheit zu helfen." Er werde nicht zulassen, dass sich Twitter in eine digitale Hölle verwandle, kündigte der Milliardär gegenüber der verunsicherten Kundschaft an.

Dem gegenüber steht allerdings Musks Plan, lebenslange Sperren von Twitter-Usern wie Trump aufzuheben. Eine Zeitreise in die Vergangenheit ortet der ehemalige Twitter-Manager Colin Crowell. Musks Pläne würden die Spielregeln von Twitter in das Jahr 2010 zurückwerfen und die Erfahrung aus einer Dekade der Inhaltsmoderation verwerfen. Auch wenn sich Twitter nicht zur Hölle der Hassrede entwickelt, so werden sich die Userinnen und User zumindest auf den Wilden Westen einstellen müssen. Crowell: "Und irgendwann werden die Menschen begreifen, dass der Wilde Westen einen Sheriff braucht." (Peter Zellinger, 28.10.2022)