Seit Wochen kann den Menschen in Österreich angst und bange werden. Immer schneller kommen Krisen und Bedrohungen auf sie zu.

Russlands Präsident Wladimir Putin setzt im Krieg in der Ukraine auf Eskalation. Er lässt Infrastrukturen systematisch zerstören. Wenn es so weitergeht, könnten im Winter weitere Millionen Flüchtlinge in die EU kommen.

Seit Wochen kann den Menschen in Österreich angst und bange werden. Immer schneller kommen Krisen und Bedrohungen auf sie zu.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Die starke Inflation belastet Haushalte und Unternehmen. Nun steigen auch noch die Zinsen: ein Horror für junge Leute mit Wohnungen auf Kredit. Die hohen Energiepreise haben sich zwar etwas stabilisiert, aber nicht nachhaltig. Der Wirtschaft droht eine Rezession.

Und das gilt für viele EU-Staaten, die sich als Gemeinschaft relativ hilflos zeigen. Das ist das gefährliche Umfeld, in dem Österreich sich zu bewähren hat, ein kleines zentraleuropäisches Land, mit vielen Nachbarn, offenen Grenzen.

Keine Woche ohne Skandal

Man sollte annehmen, alle vernünftigen Kräfte in Staat und Gesellschaft, die Parteien auch, richteten den Blick auf all die Megaaufgaben der nächsten Jahre. Weit gefehlt. Der Skandal regiert.

Es vergeht keine Woche, in der wir nicht mit ungustiösen Affären, Korruptionsverdacht bei Politikern und Günstlingen, Machtmissbrauch konfrontiert werden. Stets dabei: die ÖVP. Sie brachte eine jahrzehntelange schlechte Tradition von Vetternwirtschaft und politischem Druck unter Sebastian Kurz zu zweifelhafter Meisterschaft. Er war 2017 ein Hoffnungsträger – umso größer ist die Ernüchterung nach seinem Scheitern.

Ob das Treiben strafrechtlich relevant ist, mögen Gerichte klären. Das Sittenbild, das Kurz und Co geliefert haben – von Thomas Schmid in tausenden Chats verewigt –, ist unerträglich. Kurz und die Seinen mögen jammern, ihnen geschehe Unrecht; dass die Oppositionsparteien übers Ziel schießen, vorverurteilen würden.

Einen Schlussstrich ziehen

Das mag im einen oder anderen Fall so sein. Aber es hilft nichts. Die ÖVP, mit Kanzler Karl Nehammer, sollte in Gesamtverantwortung für das ganze Land einen Schlussstrich ziehen, auch personell, so wie die SPÖ das nach den Skandalen zu Lucona und Noricum Ende der 1980er-Jahre getan hat. SPÖ-Nationalratspräsident Leopold Gratz musste gehen. Ein politischer Neuanfang gelingt nur, wenn das totale Misstrauen bis hin zur Verachtung von Andersdenkenden gestoppt wird. Und wenn Respekt, Vernunft und Wille zur Zusammenarbeit gestärkt werden. So wie es läuft, kann es nicht mehr weitergehen. Der Vertrauensverlust in der Bevölkerung hat dramatische Ausmaße angenommen.

Glaubwürdigkeit und Vertrauen sind Säulen der Demokratie, wie auch der Grundsatz der Transparenz. Dort müssen wir als Gesellschaft, die sich weiter differenzieren wird, hin. So wie 1955 nach dem Staatsvertrag und 1995 nach dem EU-Beitritt steht Österreich vor epochalen Umbrüchen. Das "nächste Österreich" entsteht gerade. Eine besondere Rolle wird dabei der Zivilgesellschaft jenseits der Parteien zukommen, Vereinen, Initiativen, den Universitäten, den Thinktanks, den freien Bürgerinnen und Bürgern. (Thomas Mayer, 29.10.2022)