Rapamycin wirkt bei Mäusen auch in fortgeschrittenem Alter lebensverlängernd. Der stärkste Effekt ließe sich bei Menschen aber unmittelbar nach dem Wachstum erzielen.
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Rapamycin kann gut und gern als der sonderbarste medizinische Wirkstoff überhaupt gelten. Entdeckt wurde er in den Siebzigern in Bodenproben von der Osterinsel, die einige Jahre zuvor genommen worden waren. Es zeigte sich, dass er gegen Pilze wirkte. Durchsetzen konnte sich das Mittel, das auch unter dem Namen Sirolimus bekannt ist, als Immunsuppressivum, das in den USA 1999 zugelassen wurde und bei Transplantationen verwendet wird, um Abstoßungsreaktionen zu vermeiden.

2009 folgte die große Überraschung: Bei Mäusen wurde eine lebensverlängernde Wirkung nachgewiesen. Erwachsene, gesunde Mäuse bekamen Rapamycin ab dem Alter von 600 Tagen verabreicht. Das ist verhältnismäßig alt und entspricht bei Menschen einem Alter von etwa 60 Jahren. Die Männchen lebten im Durchschnitt um neun, die Weibchen um 14 Prozent länger als die Tiere der Kontrollgruppe. Es war das erste Medikament, für das eine solche Wirkung belegt werden konnte.

Der Mechanismus macht Gebrauch von einem Enzym namens mTOR. Es gehört zu einem Proteinkomplex, der an unterschiedlichen Signalwegen von Wachstumsfaktoren, Energiehaushalt und Sauerstoffkonzentration der Zelle beteiligt ist und zudem Zellwachstum und Zellzyklus steuert.

Die Wirkungen von Rapamycin sind dabei vielfältig. 2020 konnte gezeigt werden, dass eine Langzeitbehandlung mit dem Wirkstoff sich positiv auf die Alterung der Skelettmuskulatur bei Mäusen auswirkte. Sowohl auf Muskelmasse als auch Muskelkraft gab es positive Effekte. Dabei ist wichtig, dass mTOR in allen Wirbeltieren existiert. Das macht die Mausstudien auch relevant für Menschen.

Späte oder frühe Behandlung?

Doch es gab Studienergebnisse, die für Verwirrung sorgten. So gab es bislang eine Diskrepanz zwischen unterschiedlichen Studien, die einerseits eine Effektivität einer Behandlung in fortgeschrittenem Alter zeigten, während andere eine langandauernde Behandlung empfahlen. Bereits eine verhältnismäßig kurze Behandlung zeige dieselben Effekte wie eine langfristige, legten neue Ergebnisse nahe, während andere Daten auf eine ideale Wirkung bei möglichst frühem Beginn der Einnahme hindeuteten.

Nun versuchte eine am Krebszentrum Roswell Park im US-amerikanischen Buffalo durchgeführte und im Fachjournal "Ageing" erschienene Studie, die Unklarheiten auszuräumen. In Versuchen mit Fruchtfliegen und Mäusen konnte die optimale Wirkung einer frühen Anwendung von Rapamycin belegt werden – allerdings einer nicht zu frühen.

Es stellte sich heraus, dass ein Beginn der Behandlung nach abgeschlossenem Wachstum die besten Ergebnisse bringt. Bei früherem Beginn der Behandlung seien die Effekte auf das Wachstum zu stark. Bei Mäusen sei die Methode außerdem sicher gewesen: Die lebensverlängernde Wirkung habe sich ohne eine Zunahme der Mortalität realisieren lassen.

Entdeckt wurde Rapamycin in Bodenproben der Osterinsel. Einen Zusammenhang mit den berühmten Steingesichtern oder der dort lebenden Urbevölkerung gibt es allerdings (nach heutigem Wissen) nicht.
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Was die prophylaktische Einnahme bei Menschen angeht, so ist dennoch Skepsis angebracht. Rapamycin dämpft das Immunsystem und macht anfällig für Krankheiten. In der Studie ist deshalb auch von geringen Dosen die Rede, die in fortgeschrittenem Alter ihren Höhepunkt erreichen sollen.

Das Streben nach Unsterblichkeit mit medizinischen Mitteln wird zunehmend zu einem realen gesellschaftlichen Phänomen, das von einer Bewegung namens Transhumanismus getragen wird, die sich im Spannungsfeld zwischen kuriosen und teils gefährlichen Experimenten mit dem eigenen Körper und Technologien auf dem Sprung zur Alltäglichkeit bewegt. Die Diskussion, ob eine Behandlung gesunder Menschen zur Verlängerung des Lebens erstrebenswert ist, hat gerade erst begonnen.

Noch ist die Anwendung von Wirkstoffen wie Rapamycin zur Lebensverlängerung ohnehin zu wenig erforscht. Eine vergleichbare Wirkung lässt sich übrigens auch durch Fasten erzielen. Die Effekte auf die Aktivität von mTOR sind ähnlich. Beim beliebten Intervallfasten beruhen die Erwartungen an eine lebensverlängernde Wirkung bislang allerdings auch auf Studien an Mäusen. (Reinhard Kleindl, 3.11.2022)