Augen und Mund zu und durch: Nach eineinhalb Jahren trat ein schweigsamer Thomas Schmid vor dem U-Ausschuss auf.

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Die Erwartungshaltung war groß, die Enttäuschung ebenso. Am Donnerstag ist Thomas Schmid doch noch vor dem parlamentarischen U-Ausschuss zu mutmaßlicher ÖVP-Korruption erschienen – freilich nur, um zu schweigen. Ungefähr 110 Medienvertreter waren ins Camineum gekommen, zum Teil sogar aus dem Ausland. So viele Interessierte hatte es bislang nur bei den Befragungen von Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gegeben.

Doch die Spannung fiel nach wenigen Minuten in sich zusammen. In seinem Eingangsstatement entschuldigte sich der frühere Generalsekretär im Finanzministerium dafür, dass er erst jetzt gekommen sei, und kündigte gleich an, "keinerlei Fragen" zu beantworten. Er wolle zwar "reinen Tisch machen", allerdings nur gegenüber den Ermittlern der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA).

Stunden des Schweigens

Mit Verweis auf sein Recht, sich zu laufenden Ermittlungen entschlagen zu dürfen, ließ Schmid letztlich alle Fragen an sich abprallen. Das galt etwa für Fragen nach einer etwaigen ÖVP-Mitgliedschaft, aber sogar für jene, ob er wisse, wessen Unterschrift auf dem Protokoll seiner Einvernahmen vor der WKStA stehe. Zur Erklärung: Jede Seite trägt seine Paraphe. Doch Schmid schwieg.

Die offenbar von Schmids Rechtsanwalt Roland Kier gewählte Taktik sorgte zunehmend für Unruhe im Sitzungssaal, in dem sich dieses Mal besonders viele Medienvertreter eingefunden hatten. Immer wieder beriet sich die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ; sie führte statt des von Schmid belasteten Wolfgang Sobotka von der ÖVP den Vorsitz) mit Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl. Und rund 20- bis 25-mal kamen beide zur Rechtsansicht, Schmid habe seine Entschlagungsgründe nicht glaubhaft gemacht. Die Folge: Der U-Ausschuss wird für etliche Entschlagungen Beugestrafen beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) beantragen. Zu Unrecht nicht beantwortete Fragen können Strafen von bis zu tausend Euro nach sich ziehen. Ob dieser Betrag für jede einzelne allenfalls zu Unrecht nicht beantwortete Frage schlagend wird, ist noch nicht ausjudiziert.

Geht es nach seinem Auftreten und seiner Mimik, hat sich Schmid in seiner Rolle vor den Abgeordneten nicht rasend wohlgefühlt. Nervös spielte er mit seinen Fingern oder einem Kugelschreiber, seine stets gleichlautende Entschlagung las er vom Blatt. Erklärungen seines neben ihm sitzenden Anwalts notierte er auf einem Block. Eines war klar: Keine Silbe wollte Schmid dem Zufall überlassen.

Schmid musste erscheinen

Spontan mögen einst seine Chatnachrichten entstanden sein, sein Auftritt vor dem U-Ausschuss war ein exakt vorbereiteter Pflichttermin, mit dem Ziel, sich nicht zu schaden. Kier erklärte später per Aussendung so: "Die Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse gewährt jedem Beschuldigten – auch einem geständigen Beschuldigten – das Recht, keine Angaben zu machen." Schmid werde trotz "unredlicher Anwürfe gegen seine Person den eingeschlagenen Weg der Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden konsequent fortsetzen". Soll heißen: keine Antworten für die Parlamentarier, aber für die Ermittler.

Wäre Schmid nicht gekommen, hätte ihm die Vorführung gedroht: Der U-Ausschuss hatte das Innenministerium beauftragt, Schmid bei seinem nächsten Aufenthalt in Österreich wenn nötig mit Zwangsgewalt ins Parlament zu bringen. Immer wieder nach Österreich reisen musste der zu Jahresbeginn in die Niederlande übersiedelte Ex-Öbag-Chef aber, um seine Chance auf Zuerkennung des Kronzeugenstatus zu wahren. Seit Juni wurde er an fünfzehn Tagen einvernommen, die letzten beiden geplanten Termine im September hatte die WKStA bereits vorsichtshalber abgesagt. Davor hatte sie mehrfach urgiert, Schmid solle sich beim U-Ausschuss melden.

Der Ladungstermin kam aber erst zustande, nachdem die WKStA selbst Schmids Wunsch nach dem Kronzeugenstatus Mitte Oktober publik gemacht hatte. Womit das nächste Problem auf dem Tisch lag: Die WKStA wollte sicherstellen, dass durch Schmids Aussagen vor dem U-Ausschuss die von ihr immer noch geführten Ermittlungen nicht beeinträchtigt werden. Also übermittelte sie den Fraktionen einen Themenkatalog für erlaubte Fragen. Man werde sich in seinen parlamentarischen Kontrollrechten sicher nicht beschneiden lassen, reagierte die ÖVP.

Lange Gesichter

Das wiederum brachte das Justizministerium auf den Plan. Ministerin Alma Zadić (Grüne) wandte sich an den Verfassungsgerichtshof, der nun entscheiden soll, ob der von der WKStA eingebrachte Fragenkatalog für die Abgeordneten bindend sein kann.

Nach Schmids Abgang zeigten sich die Fraktionen durch die Bank enttäuscht, empört und frustriert. ÖVP-Fraktionschef Andreas Hanger will dem Justizministerium schreiben, dass man Schmid unter diesen Umständen den Kronzeugenstatus nicht gewähren könne; in dieselbe Kerbe schlug sein blaues Pendant Christian Hafenecker. Bei den Grünen herrschte Unverständnis über Schmids Strategie, und die SPÖ hat noch während der Sitzung einen Antrag auf neuerliche Ladung von Schmid eingebracht.

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Der wurde am Ende des Tages von allen Fraktionen angenommen – auch von den Neos. Sie hatten sich bislang gegen eine Verlängerung des U-Ausschusses ausgesprochen, der somit am 7. Dezember seine letzte Befragung durchgeführt hätte. Am Donnerstag schwenkten die Neos jedoch um: Sollte die Gerichtsentscheidung zur Beugestrafe bis dahin nicht da sein – was zu erwarten ist –, werden die Neos eine weitere Befragung von Schmid ermöglichen. Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl geht da noch weiter: Er meinte gegenüber Ö1, dass dann wohl mehr Befragungen stattfinden sollten, die sich mit den von Schmid gegenüber der WKStA offengelegten Themen beschäftigen würden. Für dessen Befragung hatte Pöschl eine recht einprägsame Beschreibung: "Gräuliche, um nicht zu sagen gräusliche Stunden" seien das gewesen.

Offiziell wollte sie es nicht zeigen, aber eines war am Donnerstag rasch klar: Die ÖVP freut sich einen Hax’n aus. Sie kann mantraartig ihre Interpretation verbreiten. Aus dem Umfeld von Kurz hieß es zum STANDARD etwa: "Seine totale Aussageverweigerung im U-Ausschuss zeigt einmal mehr, dass er Angst vor der Wahrheit hat. Nach Tonbandbeleg und Auftritt im U-Ausschuss weiß nun das ganze Land, dass Thomas Schmid mit Unwahrheiten und falschen Aussagen versucht, den Kronzeugenstatus zu erlangen."

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Unter Juristen ist die Strategie von Schmids Rechtsanwalt nicht unumstritten. Zumindest zu den simplen Fragen wie jener nach seiner Unterschrift auf dem Einvernahmeprotokoll hätte er antworten können, um wenigstens den Hauch einer Kooperationsbereitschaft mit dem U-Ausschuss zu signalisieren, meinen die meisten. Auch in der öffentlichen Wahrnehmung dürfte diese Sicht der Dinge dominieren. Andere argumentieren, dass Schmids Schweigen nicht zuletzt angesichts seiner Anspannung und Nervosität der richtige Weg gewesen sei. So hat er sich nicht in Gefahr gebracht, sich in riskante Diskussionen verwickeln zu lassen.

Heikle Kronzeugenentscheidung

Und hat Schmids Verhalten nun Auswirkungen auf seine Chance, Kronzeuge zu werden? Geht man nach dem Gesetz, nicht: Demnach muss er vor den Strafbehörden ein reumütiges Geständnis ablegen und die Ermittlern auf neue Sachverhalte bringen; Kooperation mit dem Parlament ist keine Voraussetzung. Entschieden wird über die Zuerkennung des Kronzeugenstatus allerdings von der Justizministerin, die der Empfehlung ihres Weisungsrates folgt. Und Ministerin Zadić ist eine Politikerin, die ihre Entscheidungen letztlich auch der Öffentlichkeit erklären muss. Zu vermarkten, dass jemand Kronzeuge wird, der das Parlament in seiner Kontrollarbeit derartig düpiert hat, ist allerdings eine schwierige Sache.

Nur eines scheint derzeit gewiss: Den Heldenstatus, den Schmid in Teilen der Öffentlichkeit durch sein Auspacken vor der WKStA gewonnen hat, den ist er nun wieder los. (Renate Graber, Fabian Schmid, 5.11.2022)