Die pädagogische Einrichtung Philo Kids im 15. Bezirk in Wien möchte einen hochwertigen Bildungsraum anbieten.

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Wien – Man stelle sich einen diversen Kindergarten vor: Das pädagogische Konzept ist religions- und genderneutral und so auch das gewählte Spielzeug. Die Puppen haben Geschlechtsteile und verschiedene Hautfarben. Gekocht wird vegetarisch.

Das ist das Leitbild des 2019 gegründeten Wiener Kindergartens Philo Kids. Die Gründerin und Grüne Bezirksrätin Mahsa Abdolzadeh möchte nach ihren Angaben Kindern einen Raum geben, sich frei zu entwickeln und selbst Fragen zu stellen.

Gleichzeitig steht die elementarpädagogische Einrichtung wegen ihrer "genderneutralen Haltung" unter Kritik: In direkten Mails oder Facebook-Postings wird ihr die Sexualisierung von Kindern vorgeworfen. Die Vorwürfe stammten immer vom gleichen Publikum, sagt Abdolzadeh. Solche Gruppen würden gerne "rechte Hetze" betreiben, daran sei man gewöhnt. Problematisch wird die Situation, wenn solche Postings Eltern erreichen würden, die schließlich falsche Vorstellungen von Philo Kids hätten, so die Gründerin.

Erziehung auf Augenhöhe

Dabei basiere das Konzept von Philo Kids darauf, mit Kindern zu philosophieren. "Das bedeutet nicht, dass wir mit den Kindern Nietzsche oder Kant lesen", sagt Abdolzadeh. Es ginge darum, nicht autoritär zu erziehen, sondern dem Kind auf Augenhöhe zu begegnen. Die wichtigen Themen sind: Umwelt sowie eine gender- und religionsneutrale Erziehung.

Seit der Gründung im Jahr 2019 habe sich jedoch einiges verändert. "Wir waren viel zu idealistisch damals", sagt Abdolzadeh. Ideale müssten auch an die Praxis angepasst werden. Sie nennt ein Beispiel: "Wir wollten komplett plastikfrei sein. Das funktioniert aber nicht ganz, und manchmal ist es wichtiger, auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen. Dinosaurierspielzeuge aus Holz sind nämlich schwer zu finden."

Die meisten Spielzeuge sind von Kindern und Pädagoginnen und Pädagogen selbst gemacht.
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Kaufladen statt Kaufmannsladen

Wie gestaltet sich aber die für manche erschreckende genderneutrale Erziehung im Alltag? Es fängt bei der Raumplanung an: Die Bauecke steht direkt neben der Spielküche, damit die Kinder nach Lust und Laune den Spielort wechseln können. Verkleiden kann man sich, wie man will, Feuerwehrkleidung gibt's auch in Rosa. Die musste selbst gebastelt werden, zu kaufen gibt es so etwas nicht. Auch bei der Sprache ist man achtsam: Gespielt wird im Kaufladen, nicht im Kaufmannsladen. Mit Geld umgehen zu können, das sei nicht Männersache, sondern menschlich, sagt Abdolzadeh.

Und warum wird hauptsächlich vegetarisch gekocht? Eltern hätten zu Hause sowieso zu wenig Zeit, um immer auf gesunde Ernährung achten zu können. So möchte die Bildungseinrichtung gegensteuern.

Außerdem können dadurch Kinder von allen Familien mitessen, egal ob es am Esstisch zu Hause religiöse Einschränkungen gebe. Die Kultur von zu Hause wird respektiert, sagt Abdolzadeh, man sei nicht "religionsfrei". "Kinder haben aber weder eine Religion noch eine Weltanschauung, sie lernen erst, die Welt anzuschauen", so die Gründerin. Dafür möchte man einen neutralen Raum bieten, um zu lernen und sich auszuprobieren.

Die Puppen bei Philo Kids haben Geschlechtsteile.
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Körperteile benennen

Zum Spielzeug in der pädagogischen Einrichtung zählen auch Puppen, die Geschlechtsteile besitzen. Über die wahrheitsgetreue Abbildung des Intimbereichs findet sich viel Kritik im Netz: Kinder würden zu früh sexualisiert werden, so die Auffassung. Wo liegt der pädagogische Sinn hinter solchem Spielzeug? Ein Kind muss lernen, dass es ein Geschlechtsorgan hat, damit es seine eigenen Entscheidungen darüber treffen kann, sagt Abdolzadeh.

"Ob ich jetzt einen Penis oder eine Vulva habe, ist wichtig zu wissen", so die Gründerin. Das seien Organe, die weder missachtet noch bevorzugt werden sollten, wie es leider oft passiere. "Man sieht, dass Kinder, die in frühem Alter sexuelle Übergriffe erfahren, Opfer davon sind, nicht darüber reden zu können. Wenn man seine eigenen Körperteile nicht benennen und Grenzen nicht äußern kann, fällt es Kindern auch schwer zu erzählen, wenn diese überschritten werden", sagt Abdolzadeh.

"In der Prävention und Begleitung der psychosexuellen Entwicklung ist es natürlich wichtig, dass Kinder lernen sollten, Körperteile zu benennen", sagt auch Johanna Zimmerl, Gesundheitspsychologin und Leiterin des Kinderschutzzentrums Die Möwe. Die Neugier nach dem Wissen über den eigenen Körper sei im Vorschulalter völlig natürlich.

Weitverbreitet in Skandinavien

In skandinavischen Ländern ist genderneutrale Erziehung weitverbreitet, beliebt und staatlich gefördert. Hierzulande steht sie am Anfang und wird teilweise kritisch betrachtet. Laut dem Amt für Jugend und Familie, das jährlich Kontrollen bei allen elementaren Bildungseinrichtungen durchführt, gäbe es mehrere Kindergärten in Wien, die "geschlechtersensible Pädagogik" hervorheben würden. Abdolzadehs Ziel ist es jedenfalls, das Konzept weiter auszubauen. Bald möchte man auch Assistentinnen und Assistenten ausbilden, die das Konzept dann in andere Kindergärten tragen.

Bisheriger Betreiberverein musste Insolvenz anmelden

Der Verein Philo Kids geriet zuletzt in finanzielle Schieflage. Er konnte laut dem alpenländischen Kreditorenverband (AKV) den "laufenden Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen" und musste Ende Oktober Insolvenz anmelden. Ein Konkursverfahren wurde vom zuständigen Handelsgericht Wien eröffnet. Mit Beschluss vom 28. Oktober 2022 wurde die Schließung des Unternehmens angeordnet.

Das Konzept und der Kindergarten würden aber von neuen Betreibern weitergeführt werden, sagte Gründerin Abdolzadeh. Der neue Verein Care Bears Kinderbetreuung wurde laut Vereinsregisterauszug am 17. Oktober 2022 gegründet. Die neuen Betreiber wären für die Finanzierung verantwortlich, sagt Abdolzadeh. Die Gründerin selbst sei nach Eigenangaben für die Qualitätssicherung und Kontrolle der Einhaltung des Konzepts zuständig. (Alara Yılmaz, 16.11.2022)