Die Oma wartet schon freudig im Backstudio auf uns. Die dortige Einrichtung ist nicht altmodisch, sondern trutschig-verspielt mit vielen Blümchen und Spitzen. Das soll wohl das Leben unserer Großeltern nostalgisch verklären. Bei meinen Omas war das anders. Sie kochten in dunkelbraunen Rustikalküchen mit abgewohnten Laminatböden, das Geschirr war in erster Linie praktikabel statt schön. Auf Stil wurde wenig Wert gelegt. Oder es war zu wenig Geld dafür da. Im Backstudio der Vollpension hingegen dominieren grelles Pink und Babyblau die telegene Küchenkulisse, immerhin wurden hier bereits Kochsendungen für Servus TV produziert.

Seit dem Sommer bietet das Seniorencafé Vollpension Backkurse mit Pensionistinnen und Pensionisten an. Unser Autor hat sich an die Buchteln gewagt.
Foto: Heribert Corn

Das Seniorencafé Vollpension, in dem Pensionistinnen und Pensionisten backen und kellnern, bietet seit dem Sommer Kurse für Kuchen, Mehlspeisen und Kekse an. So richtig in die Gänge kommt das Angebot jetzt in der Vorweihnachtszeit. Frau Renate heißt die "Back-Oma", die unseren heutigen Buchtelbackkurs leitet. Das soll offenbar wohlige Familiarität suggerieren, Nachnamen wären wohl zu distanziert.

Sechs Teilnehmende sind wir heute. Die Schürzen werden übergeworfen, blau für die Männer, weiß mit Rüschen für die Frauen. Traditionell wie anno dazumal. Wir nippen an unserem Apfelsaft trüb und stellen uns mit unseren Backvorlieben vor: Die Mutter eines Mutter-Tochter-Duos schwört auf ihre Geburtstagstorte nach Familienrezept; das Bruder-Schwester-Doppel kreiert lieber Schichtdesserts als Kuchen – und die junge Frau mit deutschem Idiom sinniert über das Kochtalent ihrer Mama, das sie in die Wiege gelegt bekommen habe.

Und ich? Cheesecake glückt immer, doch der Germteig, aus dem die Buchteln gemacht werden, ist mein Angstgegner. Zu trocken wird er mir immer. Frau Renate will Abhilfe schaffen. "Zwei Dinge sind beim Germteig wichtig: Die Germ muss richtig frisch sein und nicht seit einer oder zwei Wochen im Kühlschrank liegen. Und man darf den Teig nicht zu warm machen. Bei über 40 Grad sterben die Hefepilze ab."

Ran an den Teig

Zweieinhalb Stunden soll der Kurs dauern, so lange lässt man Germteig normalerweise gehen. Mehrere Tische hat man als Arbeitsfläche zusammengeschoben, die Backzutaten stehen schon abgewogen bereit, Schüsseln, Mixer und Teigspachtel sind penibel angeordnet. Wir geben ein halbes Kilo glattes Mehl in eine Schüssel. Das reicht für zwölf Buchteln.

Zweieinhalb Stunden dauert der Kurs.
Foto: Heribert Corn

Für das Dampfl, den Vorteig, wird ein ganzer Würfel Germ in eine Rührschüssel gebröselt – das Stückige sei ein Zeichen für die Frische, so Backchefin Renate. Dann rieselt man einen Esslöffel Zucker darüber. Die Milch wird erwärmt. Frau Renate taucht den Finger hinein, um die Temperatur zu kontrollieren. Mit "Erfahrungswerten" beschreibt sie ihre Fähigkeiten als menschliches Thermometer. Die lauwarme Milch zur Germ geben, kräftig verrühren und dann im warmen Ofen ziehen lassen. Durch die Dampflmethode verteilt sich die Germ besser im Teig. Ob es die oder der Germ heißt, fragt jemand aus der Runde. Der Duden sagt, es geht beides, Frau Renate sagt, es heißt "die". Sie ist die Backinstanz, nicht der Duden. Wir bleiben bei "die". 15 Minuten warten wir auf das Aufgehen der Hefepilze.

So einfach von der Hand wie Frau Renate gehen die Buchteln nicht jedem.
Foto: Heribert Corn

Harte Arbeit

Bis zu acht Torten bäckt Frau Renate in einer regulären Schicht im Seniorencafé. Sie ist wie alle anderen Rentnerinnen und Rentner unter der Geringfügigkeitsgrenze angestellt, damit sie zu ihrer Pension noch etwas dazuverdienen kann. 2022 lag diese bei 485,85 Euro pro Monat. 45 Pensionistinnen und Pensionisten arbeiten mittlerweile für die Vollpension. Seit 2019 ist Frau Renate in Pension, kurz danach ist sie zur Vollpension gestoßen.

Dass sie ihrem Hobby Backen nun mehr Zeit widmen kann, ist für sie aber mehr erzwungenes Glück als freiwillige Entscheidung: "Ich hätte ruhig bis 65 arbeiten können. Aber wenn du über 60 bist, braucht dich der Arbeitsmarkt nicht mehr." Die ehemalige Nachhaltigkeitsmanagerin werkelt heute zweimal die Woche je fünf Stunden im Café, eine fordernde Arbeit: "Es ist nicht so, dass man einfach hingeht und Kuchen bäckt. Es ist schon harte Arbeit. Die Wochenenddienste sind sehr intensiv. Danach schleppen wir uns immer hinaus", lacht die Oma.

Nostalgiemaschinerie

Sie nimmt es mit Galgenhumor. Seit zehn Jahren gibt es die Vollpension, die Backkurse gehören zum jüngsten Projekt einer regelrechten Nostalgiemaschinerie, die sich dank des Oma-Charmes gut vermarkten lässt. Vor dem Café in der Schleifmühlgasse stehen Gäste am Wochenende teilweise Schlange. Jede und jeder will die süßen alten Omas sehen und unterstützen, es ist eine Touri-Attraktion.

Die Backkurse gehören zum jüngsten Projekt einer regelrechten Nostalgiemaschinerie, die sich dank des Oma-Charmes gut vermarkten lässt.
Foto: Heribert Corn

Das aufgegangene Dampfl wird zur Seite gestellt, Butter in warmer Milch aufgelöst, Eidotter und Zucker hinzugefügt, zum Mehl reiben wir die Schale einer Zitrone. Abwechselnd rühren wir mit einem Knethaken Milchmischung und Mehlmix in den Vorteig, bis ein weicher, aber kein pickiger Teig entsteht. Dieser muss im Ofen nochmal 30 Minuten gehen.

Manche lassen den Germteig über Nacht im Kühlschrank gehen. Für Frau Renate ist das nichts, sie experimentiert nicht gerne. Langsam füllt sich der Raum mit dem wohlig-malzigen Geruch der Germteige. Die konzentrierte Stille des Abwiegens und Rührens weicht einem Stimmengeschwirr. Beim Teigverarbeiten lässt es sich einfacher tratschen und aushelfen. Jeder lugt zum anderen, wie dort der Teig aussieht. Beim Bruder ist er nur halb aufgegangen, bei der Mutter pickt er in der Schüssel fest. Selbst die Farbpalette reicht von weißlich-hell bis goldig-gelb. Die Germ, das ist schon eine tricky Sache.

Heiß gefüllte Buchteln

Das Ergebnis: Die Buchteln sind fluffig, keine Spur trocken.
Foto: Heribert Corn

Gleichmäßige Teigvierecke werden zu Schiffchen gezogen und am besten mit Powidl gefüllt, Marillenmarmelade ist fast zu flüssig, warnt Frau Renate die Buchtelbeginner. Ich löffle zu viel Zwetschkenmarmelade hinein, es quillt aus der geschlossenen Öffnung, aber kann es je genug Fülle geben? Mit Butter bestrichen und übergossen lege ich die Buchteln geordnet in die bunte Emailform zum Backen. Es duftet immer intensiver, das Warten auf die warmen Buchteln wird unerträglich vor Hunger und Spannung. Die frisch aus dem Ofen geholten Teiglinge werden von Frau Renate mit Staubzucker bestreut und auf Vanillesauce gebettet. Meine Buchteln sind fluffig, keine Spur trocken. Frau Renate hat mir die Angst vor Germteig genommen. Nur dass ich mich am heißen Powidl verbrenne, davor hat sie mich nicht gewarnt. (Kevin Recher, 8.11.2022)