Seit das Beinschab-Österreich-Tool für Meinungsdesign und Umfragen-Fiktionalität außer Betrieb ist, bereiten der ÖVP Umfragen keine rechte Freude mehr. Das dürfte auch für eine medial erstaunlich wenig gewürdigte Studie des Integral-Instituts gelten, laut der sich die Österreicherinnen und Österreicher über "Korruption" mehr Sorgen machen als über "Zuwanderung nach Österreich". Für die ÖVP ist das ungefähr so kränkend wie für einen Opernsänger, der erfährt, dass das Publikum weniger ergriffen seiner Arie lauscht, sondern sich vielmehr über sein offenes Hosentürl amüsiert.

Denkbar, dass dieses Ergebnis einen Kreativitätsschub bei der Volkspartei auslöst, der neue Ablenkungsmanöver abseits von Zeltlagern hervorbringt. Besser wäre es freilich, die türkise Korruptionsvergangenheit glaubhaft aufzuarbeiten und die bisherige Blockadehaltung beim Recht auf Informationsfreiheit und der Reform des Korruptionsstrafrechts aufzugeben. Um beim Bild des Opernsängers zu bleiben: Endlich das Hosentürl zumachen wäre bestimmt kein Fehler.

Immobilienunternehmer René Benkos Platz im Straflandesgericht Wien.
Foto: Christian Fischer

Wobei ich einräumen muss, dass sich die Einschätzung "Ablenkungsmanöver" manchmal als vorschnell erweisen kann. Vor zwei Jahren habe ich mich in dieser Kolumne über vermeintliche Ablenkungsmanöver der ÖVP bei der Befragung René Benkos im parlamentarischen Untersuchungsausschuss lustig gemacht, indem ich eine dort vorgebrachte, besonders grotesk wirkende Scheinfrage eines ÖVP-Abgeordneten an den kreativen Immobilien-Bewerter zitiert habe. Doch im Licht der jüngsten Erkenntnisse könnte sich herausstellen, dass dies in Wahrheit eine raffiniert getarnte Ermittlerfrage war, mit der Benko zu einem Geständnis verlockt werden sollte. "Warum ist es aus Ihrer Sicht auch wichtig, dass man als Unternehmer Kontakt zur Politik hat?", wollte der Abgeordnete Ernst Gödl von Benko wissen, der angesichts der im U-Ausschuss geltenden Wahrheitspflicht hätte antworten müssen: "Weil man sonst auch dann Steuern zahlen muss, wenn man das nicht will."

Inflation ist real

Offenbar erkannte Benko aber, dass es sich um eine Fangfrage handelte, und antwortete: "Ist das jetzt eine Interpretationsfrage von Ihnen, oder wie soll ich das jetzt verstehen?" Just an dieser Stelle wurde die Befragung unterbrochen, ob Benko in diese vernehmungstechnische Falle getappt wäre, können wir also nur spekulieren.

Was wir aber mittlerweile wissen könnten, ist, warum Benko stets versucht hat, Medien zu verbieten, über seine (bereits getilgte) Vorstrafe zu berichten. Diese stammt aus 2012, die Richterin sprach damals von einem "Musterfall für Korruption", und das Delikt wirkt aus heutiger Sicht doppelt spannend. Benko bekam ein Jahr bedingte Haft, weil er für den raschen und wunschgemäßen Abschluss eines italienischen Steuerverfahrens 150.000 Euro zahlen wollte.

Das beweist: Inflation ist real. Bei Thomas Schmid war schließlich von einem 300.000-Euro-Job plus Dienstwagen die Rede, den ihm Benko für den raschen und wunschgemäßen Abschluss eines Steuerverfahrens geboten haben soll. Benko bleibt also möglicherweise seinen Geschäftsstrategien über Jahre hinweg treu. Ob sich die Justiz bei ihrer Bewertung dieser Strategien auch treu bleibt, wird sich weisen. (Florian Scheuba, 10.11.2022)