Wie DER STANDARD mit Rechtsstreitigkeiten umgeht und sie zu vermeiden versucht.

Foto: DER STANDARD/Heribert Corn

Im Transparenzblog "So sind wir" berichtet die STANDARD-Redaktion über die eigene Arbeitsweise. Nach welchen medienethischen Grundregeln handeln wir? Aus welchen Fehlern lernen wir? Wir machen unsere Selbstreflexion öffentlich.

Ein guter Tag beginnt mit einer Inbox ohne Anwaltsbrief. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht versucht wird, gegen den STANDARD vorzugehen. Kritische Medien wie das unsere sind bei aller journalistischen Sorgfalt nicht vor rechtlichen Auseinandersetzungen gefeit. Es wird uns per Mail, in Anrufen, manchmal auch noch über Fax zu den unmöglichsten Zeiten mit juristischen Schritten gedroht, verbunden mit sehr knappen Fristen. Hier gilt es vorzubauen, um von vornherein Fehler zu vermeiden und um uns vor falschen Anschuldigungen zu schützen.

Qualitätssicherung und Rechtsberatung

Zunächst prüfen wir im Rahmen der redaktionellen Qualitätssicherung alle unsere Texte vor dem Erscheinen. Bei möglichen heiklen Themen wie etwa Investigativrecherchen wird vor Veröffentlichung auch eine juristische Prüfung durchgeführt. Dafür gibt es mehrere Instanzen. Intern hat DER STANDARD eine Legal-Abteilung. Mit strenger Disziplin sorgt die Assistenz der Chefredaktion für die Einhaltung der Fristen und für lückenlose Dokumentation.

Für größere medienrechtliche Fälle schalten wir Medienanwältin Maria Windhager ein, die seit vielen Jahren unser Haus erfolgreich vertritt. Oft ist die Abwägung schwierig, aber meistens entscheiden wir uns in Abstimmung mit der Rechtsberatung dafür, den Kampf für die Meinungs- und Pressefreiheit aufzunehmen – wobei uns der Erfolg in den allermeisten Fällen recht gibt, wie Maria Windhager im Interview erklärt:


STANDARD: Liebe Maria, wenn Du an all die Jahre Deiner Tätigkeit für den STANDARD zurückdenkst, an welche Fälle erinnerst Du Dich gerne, weil sie gewonnen werden konnten?

Windhager: Grundsätzlich denke ich sehr gerne an alle Fälle, die wir vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewonnen haben. Das sind mittlerweile sehr viele. Damit hat DER STANDARD eine Vorreiterrolle eingenommen und ganz grundlegend zur Verankerung der Menschenrechtskonvention in der Rechtsprechung beigetragen, die uns allen zugutekommt. Zuletzt haben wir eine sehr wichtige Entscheidung im Umgang mit den Userdaten erwirkt, auf die wir allerdings sehr lange warten mussten. Rauscher gegen Dichand war auch ein Highlight. Wir haben schon in der ersten Instanz so gut argumentiert, dass Dichand nicht einmal gegen das Urteil der ersten Instanz in Berufung gegangen ist.

In der jüngeren Vergangenheit hat mich besonders der Erfolg gegen Fellners vorbeugende Unterlassungsklage gegen die Berichterstattung und die Recherchen zu den Übergriffen gefreut. Auch das jüngste, allerdings nicht rechtskräftige Urteil gegen die strafrechtliche Privatanklage von Andreas Holzer gegen Florian Scheuba und die medienrechtlichen Anträge gegen den STANDARD ist ein sehr erfreulicher Etappensieg.

STANDARD: An welche Fälle, in denen Du den STANDARD vertreten hast, denkst Du nur ungern zurück?

Windhager: Rauscher gegen FPÖ. Hier haben wir erstmals die Änderung der Rechtsprechung des EGMR zu spüren bekommen. Die Hürde, dass die Beschwerde überhaupt inhaltlich behandelt wird, ist sehr hoch geworden. Die Beschwerde wurde zurückgewiesen.

Einige Gegendarstellungen, die uns meines Erachtens zu Unrecht aufgetragen wurden, also Fälle, in denen für mich die gerichtlichen Begründungen überhaupt nicht nachvollziehbar waren. Wir sind aber im Regelfall überdurchschnittlich erfolgreich.

STANDARD: Wie können Medien Fälle von vornherein vermeiden?

Windhager: Check, Recheck, Doublecheck: beinharte Knochenarbeit. Rechtzeitige Beratung zu schwierigen Rechtsfragen, die sich immer wieder stellen.

STANDARD: Was sind die gängigsten Fallen, in die Redakteurinnen und Redakteure tappen?

Windhager: Quellen aller Art ungeprüft übernehmen, von anderen Medien Informationen übernehmen, die aber auch nicht sorgfältig recherchiert wurden. Es gibt einige Klassiker im Umgang mit der Unschuldsvermutung und Schwierigkeiten mit der Kriminal- und Gerichtssaalberichterstattung. Das ist die "Königsdisziplin", die sehr viel Erfahrung erfordert und nur sehr wenige Journalistinnen und Journalisten beherrschen.

STANDARD: Welche wiederkehrenden Muster erkennst Du, mit denen Medien bzw. Journalistinnen und Journalisten auch unter Druck gesetzt werden?

Windhager: Umfangreiche Abmahnschreiben, die sehr viel Aufmerksamkeit beanspruchen, selbst wenn sie nicht berechtigt sind. Einschüchterungsklagen von immer denselben Akteuren und Akteurinnen, die dazu führen, dass sich Journalistinnen und Journalisten dreimal überlegen, ob sie überhaupt über die Person berichten, weil auch das Absichern der Artikel viel Geld kostet.

Versuche, Redakteurinnen und Redakteure durch übergriffige persönliche Kontaktaufnahmen von der Berichterstattung abzuhalten oder zu beeinflussen.

Shitstorms und persönliche Bedrohungen, die zunehmend von Berichterstattung über polarisierende Themen ausgelöst werden.


Regelmäßige Schulungen und nachteilige Fälle

Damit wir die Redaktion mit medienrechtlichem Rüstzeug ausstatten, machen wir laufend Schulungen. Dazu kommt auch Maria Windhager regelmäßig zum STANDARD, um Fragen zu aktuellen Fällen zu diskutieren und Problemstellungen zu beantworten.

Die Chefredaktion hat einen regelmäßigen Jour fixe mit der Legal-Abteilung, und mit der Redaktion besprechen wir auch die Fälle, die für uns nachteilig waren. Etwa wenn wir eine Gegendarstellung bringen mussten, wie aktuell zu einem Bericht über eine "Sturmparty" einer rechtsextremen Burschenschaft, die in Abrede stellte, dass ein beschriebener Flyer, auf dem der neonazistische Kühnengruß zu sehen war, von der Burschenschaft produziert und verbreitet wurde.

Oder als wir auf Begehren des FPÖ-Politikers Harald Stefan eine Gegendarstellung veröffentlichen mussten. Wir hatten einen Bericht mit dem Satz "Man stelle sich statt Alma Zadić den FPÖ-Rechtsaußen Harald Stefan, bekennendes Mitglied der rechtsextremen Burschenschaft Olympia, als Justizminister vor!" gebracht. Das war zum Zeitpunkt der Publizierung 2021 insofern unrichtig, als dass Stefan seit 2018 nicht mehr Mitglied der Burschenschaft war.

Die Auseinandersetzung mit den juristischen Themen kostet viel Zeit, Nerven und vor allem auch Geld. Wir denken trotzdem nicht daran, uns von unangebrachten Einschüchterungsversuchen und Drohungen beeindrucken zu lassen. (Rainer Schüller, 18.11.2022)