Bitte nicht böse sein, wenn hier und jetzt nicht gleich inbrünstig in den Chor vom ach so bösen Fußball-Weltverband eingestimmt wird. Ja, der Fisch stinkt vom Kopf weg, doch die Probleme des Fußballs und der oft zitierten "Fußballfamilie" sind nicht allein der Fifa zuzuschreiben. Gleichwohl traten sie zutage, als zu Beginn der umstrittenen WM-Endrunde in Katar ein heftiger Streit darum entbrannte, welcher Spruch auf der Armschleife der Teamkapitäne stehen sollte.

Acht europäische WM-Teilnehmer hatten vor Wochen vereinbart, ein Regenbogenfarbenherz und die Worte "One Love" sollten die Oberarme der Kapitäne zieren – und klarerweise als Botschaft ans Gastgeberland verstanden werden. Daraufhin verwies die Fifa aufs Reglement, demzufolge sie selbst die Kapitäne mit Armbinden ausstattet, und drohte den Spielführern gelbe Karten an, sollten sie "One Love" nicht abstreifen. Dass das europäische Oktett zurückzipfelte, war aus sportlicher Sicht verständlich. Eine gelbe Karte klingt nicht nach viel, kann aber im Turnierverlauf entscheidend ins Gewicht fallen.

Acht europäische WM-Teilnehmer hatten vor Wochen vereinbart, ein Regenbogenfarbenherz und die Worte "One Love" sollten die Oberarme der Kapitäne zieren.
Foto: IMAGO/Matthias Koch

Unter den Möchtegernrevoluzzern waren große Fußballnationen wie England, Deutschland und Frankreich. Doch wir reden von einem Viertel des Teilnehmerfelds. Und wir reden bei insgesamt 13 WM-Ländern vom ältesten Fußballkontinent auch nicht von europäischer Geschlossenheit. So oder so war die Aufregung vor allem in Deutschland riesig. Ein Sponsor (Rewe) kehrte dem Deutschen Fußballbund etwas früher als geplant den Rücken. Und die Bild-Zeitung rief den Kickern zu: "Ihr seid nichts anderes als FEIGLINGE." Da wünscht man sich, auch wenn er nach dem sensationellen 1:2 im Auftaktspiel gegen Japan nicht nähergerückt ist, fast einen deutschen Finalsieg samt Bild-Spagat.

Ober sticht Unter

Der Streit um die Kapitänsschleife erinnert an den um des Kaisers Bart. Auf den Schleifen, die den Kapitänen zum Auftakt von der Fifa ausgehändigt wurden, stand "No Discrimination". Reine Geschmackssache, ob man diese oder jene zwei Worte als klarere Botschaft auch an Katar verstehen will, wo ausländische Arbeitskräfte ausgebeutet werden und Homosexualität verboten ist. Der Unterschied ist der Absender: Die eine Botschaft kam von acht europäischen Verbänden, die andere vom Katar-Partner Fifa.

Der Ober, das gilt nicht nur im Kartenspiel, sticht den Unter. Freilich muckt der Unter gerne auf. Die Deutschen hielten sich vor dem Japan-Spiel die Hände vor den Mund, den ihnen Fifa-Präsident Gianni Infantino quasi verboten hatte. Aber wieso haben sie sich in Sachen Armbinde nicht rechtzeitig mit der Fifa verständigt? Man weiß es nicht, man versteht es nicht. Im DFB ist Feuer am Dach, der Führung werden übles Krisenmanagement und noch üblere Kommunikation vorgeworfen.

Um bei der Familie zu bleiben: Streit zwischen Impfgegnern und -befürwortern hat zu vielen Zerwürfnissen geführt. Manches ist nicht mehr zu kitten. Doch einige Familien schaffen es, sich trotz aller Differenzen wieder an einen Tisch zu setzen. Ihr Geschichte und ihre Gemeinsamkeiten sind ihnen wichtig genug, auch wenn sie nun vielleicht einige Themen ausklammern müssen. Nur so kann auch die Fußballfamilie wieder zusammenfinden. Aufeinander zugehen, miteinander reden. Dass es gelingt, ist bei all der herrschenden Aufregung freilich zu bezweifeln. (Fritz Neumann, 24.11.2022)