Sieht aus wie ein blasser Regenwurm mit Stacheln. Doch der Erdläufer ist ein Hundertfüßer. (Belichtungszeit 1/800 Sek., Blende f8, Lichtempfindlichkeit ISO 3200, Brennweite 60 mm Makro am APS-C-Sensor entspricht 90 mm umgerechnet aufs Kleinbildformat)

Foto: Michael Simoner

Erdläufer – das klingt nach Wesen aus "Der Herr der Ringe": ein geheimnisvolles Volk, das Tunnel gräbt, erst in der Abenddämmerung an die Oberfläche kommt und dessen schweigsame Jäger sich selbst bei absoluter Finsternis zurechtfinden. Tja, stimmt alles, bis auf die Rolle in J. R. R. Tolkiens Fantasy-Klassiker. Erdläufer (Geophilomorpha) sind weitverbreitete Hundertfüßer (Chilopoda), die wiederum zu den Tausendfüßern (Myriapoda) gehören.

Unterschiedlich viele Haxen

Das Exemplar, das mir vor kurzem im Garten vor die Linse wuselte, war ungefähr sechs Zentimeter lang und hatte 67 Beinpaare. Ja, ich hab sie auf den entstandenen Fotos gezählt (fünf Mal, davon drei Mal verzählt), die letzten Beine bilden eine Art Doppelantenne. Die Gliederfüßer aus dem 100er-Klub können jeweils unterschiedlich viele Haxen haben, kurioserweise aber nie eine gerade Zahl an Beinpaaren.

Spitze Klauen

Unter der Erde hätten sie den Tunnelblick, wenn sie Augen hätten. Haben sie aber gar nicht. Trotzdem können die räuberischen Tiere zielsicher Regenwürmer und Larven aufstöbern. Heroben sind Erdläufer flink und dank ihres flexiblen Exoskeletts überraschend wendig. Irgendwie hatte ich das Bedürfnis, die Beinchen mal auf dem Handrücken zu spüren, aber andererseits wollte ich das Viecherl nicht aus seiner gewohnten Umgebung reißen. Und darüber war ich froh, als ich später die Fotos näher betrachtete. Unten am Kopf sitzen zwei dunkle, spitze Klauen, Erdläufer erlegen ihre Beute mit einem Giftbiss.

Gut erforschte Spezies

Zur Beruhigung: Die Exemplare in unseren Breiten können die menschliche Haut kaum durchdringen. Aber ihre großen Brüder und Schwestern in südlichen Gefilden sollen äußerst herz- und schmerzhaft zubeißen können. Hundertfüßer sind generell eine sehr vielfältige Klasse im noch vielfältigeren Stamm der Tausendfüßer. Und sie werden seit weit mehr als 100 Jahren erforscht. Manche Arten etwa produzieren zur Verteidigung einen Sekundenkleber, mit dem sie Fressfeinden das Maul verpicken.

Im Jahr 2014 wurde das Erbgut eines Tausendfüßers entschlüsselt. Er hat rund 15.000 Gene, ein Mensch 20.000. So groß ist der Unterschied gar nicht, oder? (Michael Simoner, 30.11.2022)

Der Erdläufer windet sich ins Sonnenlicht, bei genauem Hinsehen sind an der Unterseite des Kopfes die beiden dunklen Giftklauen erkennbar. (1/800 Sek., f8, ISO 2200, 60 mm Makro APS-C)
Foto: Michael Simoner
Der Hundertfüßer wuselte erstaunlich schnell durchs Moos. (1/800 Sek., f8, ISO 3200, 60 mm Makro APS-C)
Foto: Michael Simoner
Das Exoskelett ist flexibel, das macht den Erdläufer wendig. (1/800 Sek., f8, ISO 3200, 60 mm Makro APS-C)
Foto: Michael Simoner