Es sind zu Herzen gehende Geschichten, zu Tränen rührende Bilder, die Jahr für Jahr im ORF Licht ins Dunkel des Lebensalltags von Menschen mit Behinderungen bringen sollen. Prominente, die mit Kindern gefilmt werden, geben in die Kamera betroffen zu Protokoll, wie gut es ihnen eigentlich gehe, dass sie viel lernen könnten vom Schicksal dieser Kinder, die mit Behinderungen leben müssten.

Ja, es gehe um jene, "die es nicht so gut haben wie wir", unterstrich auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen in einer früheren Weihnachtsshow der ORF-Hilfsaktion Licht ins Dunkel. In dieser Charity-Gala klemmt sich alles, was Rang und Namen in Österreich hat, hinter Telefone, um Spenden entgegenzunehmen. Mehrere Millionen Euro stehen dann stets auf einer vom ORF-Chef präsentierten Spendentafel.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei Spendenaktion "Licht ins Dunkel".
Foto: APA/BUNDESHEER/PETER LECHNER

Jetzt hat das Rechercheteam Andererseits, in dem sich Menschen mit und ohne Behinderung zusammengefunden haben, diese Licht-ins-Dunkel-Aktivitäten in einer Online-Doku genauer unter die Lupe genommen. Deren Fazit: Österreich solle endlich lückenlos die Uno-Behindertenrechtskonvention einhalten, statt über Licht ins Dunkel Menschen mit Behinderung jahraus, jahrein als Bittstellende darzustellen.

Die Sendung gehöre in dieser Form eingestellt. Menschen mit Behinderungen würden als Opfer, als "arme Menschen" inszeniert, die es schwerhaben im Leben, weil sie eben "anders" sind – im Grunde "schlechter". Die Spenden werden, so erzählen Betroffene in der Doku, als Almosen empfunden. Ein Akt, der die Würde von Menschen mit Behinderung verletzen kann.

Verpflichtung der Verantwortungsträger

Im Artikel 3 der UN-Behindertenrechtskonvention steht als Grundsatz: "Die Achtung der Unterschiedlichkeit und die Akzeptanz von Menschen mit Behinderungen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit". Dieser Maxime wird ohne Zweifel zu wenig Beachtung geschenkt. Die ORF-Charity lässt keinen kritischen Blick darauf zu, dass die Behinderungen nicht von den Menschen ausgehen, sondern von der sie umgebenden Umwelt. Es sind die nicht abgeschrägten Gehsteige, die Rollstuhlfahrer behindern, die schlechten Ausstattungen an den Universitäten, die Studierende mit Hör- oder Sehbeeinträchtigungen daran hindern, angemessen studieren zu können. Das ist nur ein mikroskopisch kleiner Ausschnitt all der gesellschaftlichen Behinderungen für Menschen mit Behinderungen.

Behinderung ist kein Fall für "Hilfe", für gut gemeinte Spenden, sondern eine Verpflichtung der Verantwortungsträger, einen gesellschaftlichen Zustand herzustellen, der es Menschen mit Beeinträchtigungen ermöglicht, gleichberechtigt und gleichwertig am allgemeinen Leben teilzunehmen.

Stig Langvad, der die Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention 2013 in Österreich überprüfte, kam damals zum Schluss: "Die Regierung hat immer noch eine sehr veraltete Sichtweise von Menschen mit Behinderungen, die den Eindruck erweckt, dass sie nicht gleichwertig sind." Als Beispiel nannte er die Fernsehsendung Licht ins Dunkel.

An diesem Befund hat sich wenig geändert. Das 50-Jahr-Jubiläum von Licht ins Dunkel sollte Anlass sein, sich der Problematik dieser ORF-Hilfsaktion bewusst zu werden und auch diese Weihnachts-Charitygala von Grund auf neu zu denken. (Walter Müller, 29.11.2022)