Will man es bildlich formulieren – und dabei auch auf die vielen Bootsflüchtlinge anspielen –, so ist die Asyl- und Migrationspolitik der EU ein in die Jahre gekommener Schiffskutter, in dessen Rumpf sich regelmäßig Löcher bilden. Einige der 27 Crewmitglieder haben diese Dauernot satt und fordern eine Generalsanierung des Schiffes – oder gleich ein neues Gefährt, mit einem Kapitän, der sich um alles kümmert. Andere hingegen hängen an dem Wrack, weil sie da zumindest ein kleines bisschen ihre Hände auf dem Steuerrad haben dürfen. Und weil sich alle uneinig sind, bleiben sie auf dem Kutter und versuchen, die Löcher mit Taschentüchern zu stopfen. Wenig überraschend kommt es immer wieder zum Aufschrei über das viele Wasser an Bord. Dann packt man neue Taschentücher aus.

Der Aufschrei dieser Tage kommt aus Wien, das den Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens verhindert hat – mit der Begründung, dass eine Erweiterung des grenzkontrollfreien Raums in einer Zeit rasant steigender Asylanträge nicht sinnvoll wäre. Nahezu gleichzeitig erfolgte die Enthüllung, dass Bulgarien an seiner EU-Außengrenze Asylsuchende einsperrt und misshandelt – und dass Frontex darüber Bescheid wusste.

Die EU-Grenzschutzagentur soll eigentlich mithelfen, eine Grundbedingung für Schengen zu erfüllen, nämlich einen effizienten Schutz der EU-Außengrenzen zu gewährleisten. Das fordern europäische Politiker gefühlt täglich und sorgten in diesem Zusammenhang auch dafür, dass Frontex finanziell und personell massiv aufgemotzt wurde. Doch – das ist einer der größeren Widersprüche der EU-Asylpolitik – die Grenzschutzagentur kann ihrem Namen gar nicht gerecht werden, so wie es viele europäische Regierungen einfordern.

Frontex kann die ankommenden Menschen an den EU-Außengrenzen nicht einfach abweisen und wieder zurückschicken
Foto: Via REUTERS/SEA-WATCH/NORA BORDING

Illegale Aktionen

Frontex kann nicht einfach die ankommenden Menschen an den EU-Außengrenzen abweisen und wieder zurückschicken. Als EU-Behörde ist sie noch stärker an Unionsrecht gebunden und darf sich offiziell nicht an illegalen Aktionen wie Pushbacks oder Gefängnissen für Asylwerber beteiligen. Sie darf nicht einmal davon wissen, ansonsten müsste sie sich sofort aus diesem Gebiet zurückziehen.

In der Realität, und das ist seit diversen Skandalen bekannt, pfeifen Frontex und mehrere EU-Länder verstärkt auf die geltenden Rechte der Ankommenden. Doch selbst so ist Frontex, sind die EU-Mitglieder nicht in der Lage, einen effektiven Grenzschutz sicherzustellen. Es sind, um zur Metapher zurückzukehren, einfach zu viele Löcher im Rumpf.

Wer weiß, vielleicht gibt es gar keine Lösung für dieses Dauerproblem. Das sagen selbst ausgewiesene Kenner der Materie. Doch der Versuch mit der besten Aussicht auf Erfolg wird gar nicht erst in Angriff genommen: ein gemeinsames EU-Asylsystem, in dem die Union zusammen einen effizienten und menschenrechtskonformen Grenzschutz ermöglicht – etwa durch Aufnahmezentren an den Außengrenzen, in denen rasche Asylverfahren durchgeführt werden und bei negativen Bescheiden rasch rückgeführt wird.

Der Weg dorthin ist voller Hürden, die unüberwindbar erscheinen. Doch es zu versuchen ist allemal besser als der aktuelle Zustand. Dafür müssten die EU-Länder aber ihre Asylkompetenzen an Brüssel abtreten. Oder anders gesagt, sie müssten ihre Taschentücher weglegen und dem neuen Schiff namens EU voll und ganz vertrauen. (Kim Son Hoang, 12.12.2022)