Eine Sprachförderin übt mit Kindern in einer städtischen Einrichtung in Simmering spielerisch deren Wortschatz.

Foto: Heribert Corn

Es waren durchaus eindrucksvolle Zahlen über Wiener Volksschulkinder mit mangelnden Deutschkenntnissen, auf die die hiesige ÖVP im Frühling hingewiesen hatte. Diese Kinder werden aufgrund ihres Sprachdefizits als "außerordentlich" klassifiziert und in den vieldiskutierten Deutschförderklassen unterrichtet. Allerdings: In den Deutschförderklassen an Wiener Volksschulen sind 60 Prozent der Kinder in Österreich geboren und waren zuvor im Schnitt zwei Jahre im Kindergarten, machten die Stadttürkisen aufmerksam.

Die Erklärung lag für die ÖVP auf der Hand: Es hapere an der Sprachförderung in den Kindergärten, kritisierte sie – und begann, das Tun der Stadt in diesem Bereich mit Anfragen an den zuständigen Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) weiter zu durchleuchten. Die Resultate dieser Ursachenforschung wurden am Mittwoch Journalistinnen und Journalisten vorgestellt.

Sprachförderkräfte fehlen

Erstes Ergebnis: Ein erheblicher Anteil der Wiener Kindergartenkinder mit nachgewiesenem Bedarf an Sprachförderung bekommt diese nicht. In den Kindergartenjahren 2019/2020, 2020/2021 und 2021/2022 betrug der Wert laut den Anfragebeantwortungen, die dem STANDARD vorliegen, zwischen 41 und 43 Prozent. Das sind rund 5.500 bis 6.000 Kinder

Eine Erklärung dafür ist die personelle Ausstattung der Kindergärten mit Sprachförderkräften. Diese haben eine eigene Ausbildung und sollen die pädagogische Arbeit unterstützen, indem sie die Kinder in ihrer sprachlichen Entwicklung begleiten. Derzeit ist in 225 der der 352 städtischen Kindergärten der Bedarf nach Sprachforderung so hoch, dass ihnen eine solche Förderkraft zustünde. Tatsächlich ausgestattet sind damit allerdings nur 184 Standorte – 41 gehen also leer aus.

In Personen ausgedrückt, verfügte Wien Stand September über exakt 291 Sprachförderkräfte. Das heißt: Das 2020 im rot-pinken Koalitionsprogramm fixierte Ziel, bis 2025 von rund 300 auf 500 Sprachförderkräfte aufzustocken, ist noch in weiter Ferne. Zwar hat die Stadt, wie Wiederkehr bekanntgab, im Herbst 2021 rund 50 neue Förderkräfte aufgenommen. An der Gesamtzahl hat das aber offenbar nichts geändert. Ein möglicher Grund: Fluktuation. Mittel für das Personal bekommt Wien vom Bund zur Verfügung zugestellt: Seit 2008 erhalten die Länder im Rahmen von 15a-Vereinbarungen Zweckzuschüsse für die Sprachförderung in Kindergärten.

Fragliche Wirkung

Abgesehen von der mangelnden Versorgung mit Deutschförderung ergaben die türkisen Nachforschungen eine weitere Erkenntnis: Die Sprachförderung an den Wiener Kindergärten ist offenbar nicht sehr wirkungsvoll. Erhoben werden die Deutschkenntnisse aller Kindergartenkinder in Österreich einmal pro Jahr mit einer verpflichtenden, bundesweit einheitlichen Beobachtung. Auf dieser Basis wird die Wirkung der Sprachförderung ermittelt – mit einem gesetzlich festgelegten Indikator. Dazu wird errechnet, um wie viel sich der Förderbedarf gemessen an der Zahl der Kinder von der einen bis zur anderen Erhebung verringert hat.

In Wien betrug die Verringerung im Kindergartenjahr 2019/2020 bei Vierjährigen 9,8 Prozent, rechnet die ÖVP vor. Das bedeutet: Nur rund eines von zehn Kindern benötigte nach einem Jahr keine Deutschförderung mehr. Bei den Fünfjährigen war der Effekt im selben Zeitraum etwas besser: Der Indikator lag bei rund 24 Prozent.

Aussagekräftiger wären diese Zahlen im Vergleich mit jenen aus anderen Bundesländern. Diese Daten sind allerdings nicht zentral erfragbar. Im Bildungsministerium verweist man auf den Integrationsbericht des Bundeskanzleramts, wo zumindest ein österreichweiter Wert für alle vier- und fünfjährigen Kindergartenkinder zu finden ist: Demnach konnte der Förderbedarf im Kindergartenjahr 2019/2020 um 22 Prozent gesenkt werden.

ÖVP sieht "totales Desaster"

ÖVP-Landesparteichef Karl Mahrer übte angesichts der Wiener Zahlen harsche Kritik an der Stadtregierung. Die ineffektive Sprachförderung von Rot-Pink in den Kindergärten sei dafür verantwortlich, dass Kinder zu wenig Deutsch beherrschten, um später in der Schule dem Regelunterricht folgen zu können. Bildungssprecher Harald Zierfuß bezeichnete die Deutschförderung in Wiens Kindergärten als "totales Desaster".

An den Deutschklassen, im Jahr 2018 unter Türkis-Blau eingeführt und jüngst ebenfalls wegen fraglicher Wirkung in der Kritik, will die Wiener ÖVP aber festhalten. Eine Evaluierungsstudie hat ergeben, dass 21 bis 55 Prozent der Schulkinder in Deutschförderklassen die sprachbezogenen Ziele nicht erreichen. Auf Nachfrage konterte Zierfuß mit Zahlen der Statistik Austria: Vergleiche man die Schuljahre 2018/2019 und 2019/2020, hätten österreichweit nur rund 16 Prozent der Schülerinnen und Schüler aus Deutschförderklassen erneut eine solche besucht. In Wien lag der Wert bei rund 17 Prozent.

Wiederkehr verweist auf geplanten Ausbau

Die Stadt müsse jedenfalls "schleunigst" in die Sprachförderung investieren, fordert Zierfuß. Vizebürgermeister Wiederkehr verteidigt sich damit, dies ohnehin bereits zu tun. Nach den Kritikpunkten der ÖVP gefragt, heißt es aus seinem Büro zum STANDARD: "Um Kinder von Anfang an bestmöglich in ihrer sprachlichen Entwicklung zu begleiten und zu fördern, setzen wir in Wien auf das gegenseitige Ergänzen von pädagogischen Fachkräften und Sprachförderkräften. Allein in diesem Jahr wurden 77 neue Sprachförderkräfte angestellt, diese Zahl werden wir sukzessive erhöhen, um bereits im Kindergarten den Grundstein für die weitere Bildungslaufbahn zu legen."

Der Förderungskatalog der ÖVP ist noch um einiges länger: Mahrer und Zierfuß verlangen zudem kleinere Kindergartengruppen, Sprachförderungsschulungen für Pädagoginnen und Pädagoginnen, die diese noch nicht in der Grundausbildung hatten, sowie verpflichtende Deutschkurse für Eltern mit Sprachförderbedarf. Denn Sprachförderung beginne im Elternhaus und gehe im Kindergarten weiter, betonte Mahrer. "Es muss muss letztlich von allen Verantwortlichen das Miteinander gelebt werden." (Stefanie Rachbauer, 14.12.2022)