Parlamentspräsidentin Metsola sieht einen Angriff auf die Demokratie in Europa.

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Schon am Montag war der Sitz mit der Nummer 547 bei der Sitzung des EU-Parlaments leer geblieben. Er gehört der griechischen Abgeordneten Eva Kaili, der bisherigen Vizepräsidentin des Europaparlaments. Sie befindet sich seit dem Wochenende nach Bestechungsvorwürfen in Untersuchungshaft im Brüsseler Haren-Gefängnis.

Dienstagmittag stimmte das EU-Parlament dann für ihre sofortige Absetzung: Eine überwältigende Mehrheit – insgesamt 625 Abgeordnete – votierte dafür, sie ihrer Funktion als Vizepräsidentin zu entheben. Es gab nur eine Gegenstimme. Zuvor hatten sich bereits die Fraktionsvorsitzenden im Europaparlament einstimmig dafür ausgesprochen.

VIDEO: Eine überwältigende Mehrheit der Abgeordneten stimmte in Straßburg dafür, dass Kaili den Posten abgeben muss.
DER STANDARD

Kaili ist die prominenteste von mehreren Verdächtigen in einem Korruptionsskandal, der für große Aufregung in Europa sorgt. Ihnen wird vorgeworfen, Bargeld aus Katar angenommen zu haben, um dem Golfstaat in Brüssel Einfluss zu verschaffen. Kaili bestreitet die Vorwürfe.

Kriminelles Netzwerk

Es dürfte damit ein weiterer langer Tag für die Parlamentspräsidentin Roberta Metsola werden. Kaili war eine ihrer 14 Stellvertreterinnen. Erst am Montag, dem nach eigenen Angaben "längsten Tag ihrer Karriere", hatte sie der Weltöffentlichkeit von ihrer geheimen Zusammenarbeit mit den belgischen Justizbehörden berichtet, um den mutmaßlichen Korruptionsskandal aufzudecken. "

Bei ihrer vielbeachteten Rede vor dem Europaparlament sprach sie von einem schweren "Angriff auf die Demokratie". Verantwortlich seien "bösartige Akteure, die mit autokratischen Drittländern in Verbindung stehen". Sie hätten ein kriminelles Netzwerk aus NGOs, Gewerkschaften, Einzelpersonen, Assistenten und Abgeordneten erschaffen und dieses als Waffe gegen das EU-Parlament eingesetzt.

Insgesamt wurden seit Freitag sechs Verdächtige von den belgischen Behörden in dem Korruptionsskandal festgenommen. Vier von ihnen kamen am Sonntag in Untersuchungshaft, darunter die 44-jährige Kaili selbst, ihr Mann und der ehemalige Europaabgeordnete Antonio Panzeri. Sie werden der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, der Geldwäsche und der Korruption beschuldigt.

Schon am Samstag war Kaili von Metsola suspendiert und von ihrer griechischen Pasok-Partei und der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament ausgeschlossen worden. Trotz der schweren Vorwürfe ließ Kaili über ihren Anwalt am Dienstag erneut ihre Unschuld beteuern. Auch Katar wies bisher alle Vorwürfe zurück.

Kaili, die im Zentrum der Korruptionsvorwürfe steht, beteuert weiterhin ihre Unschuld.
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Karas: Korruption ist "tödliches Gift"

Im Raum steht, dass Katar, das derzeit die Fußball-Weltmeisterschaft ausrichtet, mit Bargeldsummen und Geschenken versucht hat, Einfluss auf Entscheidungen im Europaparlament zu nehmen. Derzeit wird etwa auf EU-Ebene in Erwägung gezogen, die Visaregeln für Staatsbürger von Katar zu erleichtern – das Verfahren im Parlament liegt nach den Bestechungsvorwürfen erst einmal auf Eis.

Dass Katar nach eigenen Angaben mit der Sache nichts zu tun habe, kann Othmar Karas (ÖVP), der erste der 14 Vizepräsidenten im Europaparlament, nicht wirklich glauben. "Nach dem, was wir wissen, ist das schwer vorstellbar," sagte er am Montag in der "ZiB 2".

ORF

Korruption sei "ein tödliches Gift" für Politik und Demokratie. Er sei froh, dass die mutmaßlichen Delikte aufgedeckt worden seien. Das zeige aber auch, "dass das System funktioniert".

Österreich fordert Transparenz

Auch Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) zeigte sich "erschüttert" von den Korruptionsvorwürfen. Es sei "wirklich unerträglich, dass hier eine Institution in den Dreck gezogen wird, gerade in einer Zeit, wo Demokratie etwas ganz Wichtiges ist", betonte Edtstadler am Dienstag in Brüssel. Angesprochen auf Konsequenzen für die Beziehungen zwischen Österreich und Katar angesichts der jüngsten Zusammenarbeit im Energiebereich, erklärte die Europaministerin: Zuerst brauche es "Transparenz" und Aufklärung", dann "können wir weitere Schritte setzen".

Ähnlich äußerte sich Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne). "Es gehört rasch aufgeklärt, alles auf den Tisch und dann mit der entsprechenden Konsequenz versehen". Das zentrale Ziel müsse der Ausbau der erneuerbaren Energien sein, um Abhängigkeiten zu reduzieren. Es sei nun einmal so, dass die Lieferländer von unter anderem Erdgas "im Schnitt nicht westliche Demokratien sind, das ist die Realität der Rohstoffversorgung in Europa". (Flora Mory, red, 13.12.2022)