Eva Kaili steht im Zentrum eines Bestechungsskandals.

Foto: EPA / Chalal Morchini

Der Schock ist Othmar Karas und Evelyne Regner anzumerken, auch noch 48 Stunden nach der Festnahme ihrer Abgeordnetenkollegin Eva Kaili. So wie die aus Griechenland stammende Sozialdemokratin gehören auch die beiden dem Präsidium des Europäischen Parlaments (EP) an.

Alle kennen einander gut, als Stellvertreterinnen und Stellvertreter von Präsidentin Roberta Metsola. Eine Volksvertretung von 705 Abgeordneten aus 27 Ländern von der Spitze aus zu repräsentieren ist für Europapolitiker eine Auszeichnung. Man erlangt sie nur, wenn eine breite Mehrheit über Partei- und Ländergrenzen hinweg zustimmt.

VIDEO: In der Korruptionsaffäre im EU-Parlament sind die griechische Vize-Parlamentspräsidentin Eva Kaili und drei weitere Verdächtige am Sonntag in Untersuchungshaft genommen worden
DER STANDARD

Nun ist die SP-Abgeordnete entsetzt: "Das übersteigt mein Vorstellungsvermögen", sagt sie dem STANDARD am Sonntag, "dass die Eva zu so was fähig ist." Karas, der als Erster Vizepräsident neben Metsola formal eine kleine Sonderrolle hat, geht es nicht anders: "Eine Katastrophe", sinniert er, "politisch, moralisch und vor allem was das Vertrauen in politische Institutionen betrifft." Dieses Vertrauen der Bürger in ihre Vertreter scheint seit Freitag mutmaßlich durch einen der größten Korruptionsfälle, die es im Herzen einer EU-Institution je gegeben hat, erschüttert.

Große Geldbeträge und Geschenke

Belgische Medien berichteten, dass Justiz und Polizei des Landes seit langem gegen eine Gruppe rund um Kaili wegen des Verdachts der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche und Korruption ermittelten. Sie steht im Verdacht, vom Emirat Katar im Zuge politischer Landschaftspflege mit großen Geldbeträgen und Geschenken bestochen worden zu sein. Bei sechzehn Hausdurchsuchungen wurden zunächst sechs Personen festgenommen, angeblich 600.000 Euro Bargeld und Wertgegenstände beschlagnahmt.

Dass unter ihnen neben der EP-Vizepräsidentin Kaili und ihrem im Parlament als Berater arbeitenden Lebensgefährten der Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes sowie ein früherer Abgeordneter waren, alle aus Italien und dem Umfeld der S&D-Fraktion, schlug in politischen Kreisen wie eine Bombe ein.

Am Sonntag bestätigte die Staatsanwaltschaft, dass sie und drei weitere Personen in U-Haft bleiben müssen. Ihnen wird unter anderem Bestechung, Bestechlichkeit, Teilnahme an einer kriminellen Organisation, Geldwäsche und Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse vorgehalten. Mit weiteren Details hielten sich die Behörden zurück, aber die Affäre führte unmittelbar zu politischen Konsequenzen: Die Fraktion der Sozialdemokraten und ihre griechische Mutterpartei Pasok schlossen Kaili aus. EP-Präsidentin Metsola entzog der Vizepräsidentin alle Aufgaben. Formal bleibt die 44-Jährige im Amt und behält ihr Mandat, außer sie legt es von sich aus zurück. Im Präsidium und den Fraktionen wurden alle Vorbereitungen getroffen, sie diese Woche zumindest als Vizepräsidentin abzuwählen.

Abwahl wahrscheinlich

Dazu muss das Präsidium mit den Fraktionschefs einen Beschluss fassen, über den im Plenum abgestimmt wird. Nur wenn zwei Drittel aller Abgeordneten einem Antrag zustimmen, verliert Kaili ihre Funktion. Karas wie Regner sprachen sich für diesen Schritt aus. Abgeordnete wollen aber auch noch detaillierte gesicherte Informationen sehen. Montagabend soll es eine Vorentscheidung geben. Anders ist es mit dem Abgeordnetenmandat. Darüber müsste in Griechenland befunden werden.

Und sonst? Das Parlament hat eine anstehende Reise von EU-Abgeordneten nach Katar abgesagt. Diese Woche hätte im Plenum ein Visumsabkommen mit dem Emirat behandelt werden sollen. Auch das wurde aufgeschoben.

Keine Hinweise auf Diplomatenbeteiligung

Hinweise, dass auch EU-Diplomaten in den Korruptionsskandal verwickelt sind, gibt es nach Angaben des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell bisher nicht. "Wir sind davon nicht betroffen", sagte der Spanier am Montag am Rande eines Treffens der Außenminister der Mitgliedsstaaten in Brüssel.

Niemand aus dem auswärtigen Dienst oder den EU-Vertretungen im Ausland werde im Zusammenhang mit den Geschehnissen genannt, so Borrell. Auf die Frage, ob der Skandal Auswirkungen auf die Beziehungen der EU zu Katar haben werde, sagte Borrell, er müsse auf Grundlage eindeutiger Beweise handeln. Derzeit laufe ein Verfahren, und er könne nicht weiter gehen als die Justizbehörden. Über die Vorwürfe an sich zeigte sich Borrell allerdings bestürzt. "Die Nachrichten sind sehr, sehr besorgniserregend", sagte er. (Thomas Mayer aus Brüssel, red, 11.12.2022)