Auch die privaten Leidenschaften des jungen Ökonomen werden in der neuen Biografie greifbar. Hier im Bild: Hayek in Lederhosen beim Wandern.

Foto: Genehmigt aus dem Hayek-Nachlass

Sein Name könnte schon bald den Weg der Abgeordneten ins Zentrum der österreichischen Volksvertretung weisen. Zumindest wenn es nach den Wünschen geht, die Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka für die nahende Neueröffnung des sanierten Parlamentsgebäudes an der Ringstraße vorschweben: Jener Gang, der zum Plenarsaal geleitet, soll dann nach Friedrich August von Hayek benannt werden. Geografisch ist das durchaus naheliegend, begann doch die rasante Karriere des weltberühmten liberalen Gelehrten nur ein paar Hundert Meter weiter – an der Universität Wien.

Wie es dazu kam und wohin das führte, lässt sich im soeben erschienenen monumentalen ersten Band einer Hayek-Biografie nachlesen, die der pensionierte WU-Professor Hansjörg Klausinger mit seinem US-amerikanischen Kollegen Bruce Caldwell verfasst hat. Mit Zustimmung von Hayeks Nachfahren konnten die beiden eine Unmenge bisher ungekannter privater Briefe aus seinem Nachlass auswerten. Überdies haben sie die Archive zahlreicher Korrespondenzpartner durchleuchtet, um ein differenziertes Bild von den ersten fünf Jahrzehnten (1899-1950) im Leben des 1992 verstorbenen Ökonomen zu zeichnen. "Ein besonderes Problem war, dass Hayeks Mutter stets auf Kurrent geschrieben hat", berichtet Klausinger über die Herausforderungen der Quellenarbeit. "Zum Glück habe ich einen Bekannten gefunden, der diese Schrift noch lesen kann und sie für das Buchprojekt in seiner Freizeit transkribiert hat."

Der Ökonom Hansjörg Klausinger beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Hayek und lehrte vor seiner Pensionierung an der Wirtschaftsuniversität Wien.
Foto: privat

Von der Italienfront in die Studentenpolitik

Hayek, Rufname "Fritz", wurde 1899 als Sohn einer gutsituierten, konservativen und deutschnational orientierten Familie in Wien geboren. Die Schullaufbahn war durchwachsen, mehrmals musste der intellektuell unterforderte Jugendliche das Gymnasium wechseln. Nach der "Kriegsmatura" 1917 wurde Hayek als Soldat an die italienische Front im Ersten Weltkrieg beordert, reale Kampfhandlungen bleiben ihm aber bis zum Zusammenbruch der k.u.k.-Armee weitgehend erspart. Gleich nach Kriegsende stürzte er sich ins rechtswissenschaftliche und ökonomische Studium – sowie in die Studentenpolitik. Mit seinem besten Freund Herbert Fürth gründete er eine Gruppierung, die allerdings ob ihrer ideologischen Verortung eine Randerscheinung bleiben musste, wie Klausinger analysiert: "Heute würde man die Fraktion wohl ‚linksliberal‘ nennen. Da sie weder deutschnational noch klerikal noch sozialistisch war, gab es im damaligen Österreich jedenfalls keinen Platz für sie."

Antisemitismus in Familie, jüdischer Freundeskreis

An der Universität Wien schritt im Laufe der 1920er-Jahre der Niedergang wissenschaftlicher Exzellenz voran, was nicht bloß an der Finanznot des nunmehrigen Kleinstaats lag. Vor allem sorgten reaktionäre Klüngel für die systematische Blockade jüdischer und linker Forscherinnen und Forscher beim akademischen Fortkommen. Auch in Hayeks Familie war, wie das neue Buch zeigt, eine antisemitische Grundhaltung gang und gäbe. Sein Vater etwa engagierte sich im Verein deutscher Ärzte, in dessen Statuten sich ein Arierparagraf befand.

Dem jungen Hayek waren antisemitische Anwandlungen hingegen fremd: 1921 etablierte er zusammen mit mehrheitlich jüdischen Freunden einen Diskussionszirkel, der sich in Wiens blühende Szene außeruniversitärer Intellektuellenkreise einfügte. Die interdisziplinäre Vielfalt in diesem sogenannten Geistkreis ist symptomatisch dafür, wie weit die Interessen Hayeks – der heute vor allem für seine Sozialphilosophie noch gelesen wird – zeitlebens über ökonomische Fragen hinausreichten. Bezeichnend ist aber wohl ebenso, dass Frauen nicht am Geistkreis teilnehmen durften. Immer wieder schimmert in der minutiös recherchierten Biografie auch später noch die überkommene Einstellung Hayeks durch, nach der er Frauen keine vollwertige Rolle als wissenschaftlichen Peers zuerkannte.

Paradoxe Geschichte führt zu Wifo

1921 lernte Hayek zudem seinen Lehrmeister, den zwei Jahrzehnte älteren Ludwig von Mises kennen. Von dessen aufsehenerregenden Argumenten gegen sozialistische Wirtschaftsplanung zeigte er sich tief beeindruckt, sie prägten fortan sein Denken über die unabdingbare Funktion von Marktpreisen als Informationsträgern. Gemeinsam trieben die beiden die Schaffung eines heimischen Instituts für Konjunkturforschung voran, das heute unter dem Namen Wifo noch besteht. Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass Mises und Hayek als Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie Konjunkturprognosen eigentlich für unseriös hielten, zumal diese schlicht aus den zeitlichen Verlaufsmustern statistischer Variablen abgeleitet wurden. Hinter dem Widerspruch steckten pragmatische Motive: Da die empirische Konjunkturforschung damals international populär wurde, war es relativ leicht, Geld für den Aufbau eines entsprechenden Instituts samt zugehörigen Stellen zu lukrieren – bald war auch die Rockefeller-Stiftung an Bord. Hayek wurde 1927 der erste Direktor, an die wissenschaftliche Fundierung einer an die erstellten "Konjunkturbarometer" anknüpfenden Wirtschaftspolitik glaubte er aber nie, wie aus seinen Briefen deutlich wird.

Fehlschlag gegen Keynes

Daneben forcierte Hayek die Uni-Karriere: Mit gerade einmal 31 und kurz nach seiner Habilitation gelang ihm der Durchbruch zum wirtschaftswissenschaftlichen Star. Die London School of Economics holte den jungen Österreicher für eine Professur nach England, ins seinerzeitige Mekka der Ökonomik. Die Hayek’sche Theorie, die in von expansiver Geldpolitik getriebenen Überinvestitionen die Ursache der 1929 ausgebrochenen Weltwirtschaftskrise festmachte, galt zunächst als interessante Alternative zur Position von John Maynard Keynes. Hayek lehnte die keynesianischen Rezepte zur Krisenüberwindung – sprich: einen unter Inkaufnahme von Budgetdefiziten erzeugten staatlichen Nachfrageschub sowie Niedrigzinsen – ab und plädierte für Austeritätspolitik. Die Kontroverse ist legendär und wurde gar durch millionenfach geklickte "Rap-Battles" auf Youtube nachgespielt. "In der Fachwelt und in der wirtschaftspolitischen Beratung ging Hayek in den 1930er-Jahren allerdings als klarer Verlierer hervor", resümiert Klausinger. Die angestrebte Verfeinerung seiner Krisentheorie blieb trotz intensiver Bemühungen Stückwerk.

Kollegiale Unterstützung bei Flucht aus Österreich

Spannende Einblicke bietet die Biografie in Hayeks Umgang mit dem "Anschluss" 1938. Um vom NS-Regime gefährdeten österreichischen Ökonomen bei der Flucht ins Ausland zu helfen, verfasste er zahlreiche Empfehlungsschreiben an britische Forschungseinrichtungen. Ideologische Barrieren spielten für den heute als Sozialistenfresser geltenden Hayek offenbar keine Rolle – so verbürgte er sich auch für die wissenschaftliche Qualität des linken Volkswirts Josef Steindl, der daraufhin eine Lehrstelle in England bekam und emigrieren konnte. Im selben Jahr nahm Hayek die britische Staatsbürgerschaft an, auf diesem Wege gesellte sich das aus niederem Adelsstand herrührende "von" aus seiner Geburtsurkunde wieder zu seinem Namen, im republikanischen Österreich war das bekanntlich abgeschafft worden. Der Adelstitel wurde dann insbesondere von Hayeks politischen Gegnern in England gerne betont, um seine Herkunft in ein Zwielicht zu rücken.

1938 nahm Hayek die britische Staatsbürgerschaft an. So kam er wieder zu seinem früheren Namen "von Hayek" zurück. Im republikanischen Österreich waren Adelstitel 1919 abgeschafft worden.
Foto: Genehmigt aus dem Hayek-Nachlass

Mit Bestseller zur Reizfigur

Tatsächlich mutierte Hayek Ende des Zweiten Weltkriegs auf der Insel zu einer Reizfigur der öffentlichen Debatte. Anstoß dafür war sein 1944 veröffentlichter Bestseller "The Road to Serfdom" (deutsch: "Der Weg zur Knechtschaft"), eine gut lesbare Polemik gegen die vermeintlichen Gefahren sozialistischer Vorstellungen, das Wirtschaftsleben zentral zu steuern. Bis heute wird Hayeks These, wonach es ohne freie Märkte auch keine politische Freiheit geben kann, von seinen Fans als liberaler Leitsatz propagiert. Zu dessen Verbreitung initiierte das Organisationstalent Hayek Ende der 1940er-Jahre– übrigens zeitgleich mit der hinterlistig eingefädelten Scheidung von seiner ersten Ehefrau – in der Schweiz die berüchtigte Mont Pèlerin Society. Rückblickend wird der Verein oft als Brennpunkt des Neoliberalismus gesehen, was der Biograf zumindest für die Anfangsphase relativiert: "Das war ein verstreutes Häuflein von liberalen Mitstreitern, dem in den ersten zehn Jahren mitunter das Geld für die Treffen gefehlt hat."

Bruce Caldwell, Hansjörg Klausinger, "Hayek. A Life: 1899–1950". € 50,– / 824 Seiten. University of Chicago Press, Chicago 2022

Über Hayeks Beitrag zum mächtigen Fortleben der Mont Pèlerin Society wird hoffentlich bald im zweiten Band der Biografie zu lesen sein, an dem Caldwell und Klausinger derzeit arbeiten. Die zweite Lebensphase führte Hayek zu Glanzlichtern wie der Auszeichnung mit dem Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften und in die dunkle Episode seiner Unterstützung der chilenischen Militärdiktatur. Dass Hayek deren Menschenrechtsverletzungen in medialen Statements unter den Tisch kehrte, sei "nicht zu rechtfertigen", befindet Klausinger. Ist es trotzdem angebracht, einen parlamentarischen Ort nach Hayek zu benennen? "Wenn nur Menschen infrage kommen sollen, deren Lebensgeschichte makellos ist, wird es halt generell schwierig. Dann ist es am besten, man nummeriert die Gänge einfach durch." (Theo Anders, 14.12.2022)