Martin Kusej zog seine Bewerbung für eine zweite Amtszeit am Burgtheater überraschend zurück.

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Direktionswechsel an großen Theaterhäusern sind für alle Beteiligten eine delikate Angelegenheit. Neben den betroffenen Akteurinnen und Akteuren sieht sich jeweils auch das Publikum mit wechselnden Ensembles und veränderten künstlerischen Handschriften konfrontiert – eine emotionale Angelegenheit. Auch die mit einem Amtswechsel einhergehenden bürokratischen und rechtlichen Herausforderungen sind beträchtlich.

Üblicherweise wird einem Direktor bzw. einer Direktorin deshalb eine zweite Amtsperiode ohne große Hürden zugesprochen. Das spart auch Geld, wie Martin Kušej kurz vor seiner Nichtverlängerung ins Treffen führte und damit der Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) in die Parade fuhr.

Sie hatte im Verlauf der gesetzlich vorgeschriebenen Ausschreibung zu Bewerbungen ermutigt und damit signalisiert, dass ihr an der Vertragsverlängerung Kušejs nicht viel gelegen sei. Dieser hatte seinerseits bereits im Frühsommer entschlossen angekündigt, am Burgtheater "noch lange nicht fertig" zu sein. Heute Dienstag hat der Direktor seine Bewerbung nun überraschend zurückgezogen.

Echtes Pech

Viele Pläne des seit 2019 amtierenden Direktors haben die Zwänge der Pandemie zunichtegemacht. Damit waren allerdings alle vergleichbaren Häuser konfrontiert. Schwerer als Absagen und Verschiebungen wiegt, dass das Burgtheater die Corona-Zeit nicht für das Publikum zu nutzen wusste. Die Möglichkeit des Streamings hat er mehrfach als inadäquat bewertet, über kleine Onlineformate hinaus blieb das Haus mit seinen Inszenierungen in Deckung. Obendrein fiel dann ausgerechnet die Phase der Wiedereröffnung mit der großen, sanierungsbedingten Schließzeit zusammen. Echtes Pech.

Kušej ist 2019 mit der Ankündigung angetreten, aus dem Burgtheater ein europäisches Nationaltheater machen zu wollen. Vielsprachigkeit war ihm ein Anliegen, ebenso ein Ensemble mit internationaler Ausrichtung. Das wurde nur bedingt eingelöst, dennoch sind ihm einige Neuerungen geglückt. Das Ensemble war zumindest in der vergangenen Spielzeit so divers wie noch nie in der Geschichte des Hauses.

Keine Zusammengehörigkeit

Zudem darf sich die Direktion Kušej die Wiederentdeckung von Autorinnen auf die Fahnen heften. Die Erweiterung der Spielpläne ist Aufgabe eines zeitgenössischen Theaterbetriebs und kulturpolitisch verankert. Wenig bekannte oder unbekannte Namen wie Maria Lazar, Anna Gmeyner oder Marieluise Fleißer durchzusetzen ist keine einfache Sache. In diesem Punkt hat der amtierende Direktor sich nichts vorzuwerfen. Besonders gespannt sein darf man auf das Familienepos "Drei Winter" der kroatischen Autorin Tena Štivičić, das der Hausherr gegen Ende der laufenden Spielzeit inszenieren wird. Dennoch sind die guten Vorhaben ins Stocken geraten. Das Ensemble schien sich, betrachtet man allein die Abgänge am Ende der letzten Spielzeit, nie richtig zusammengehörig zu fühlen.

Auch in der Direktion vollzog sich mit Katrin Hiller (sie folgte als stellvertretende künstlerische Direktorin auf Susanne Althoff) ein überraschender Wechsel. Zudem wurden anonyme Beschwerden über einen inadäquaten Führungsstil des Direktors laut. Diese tat Kušej lapidar ab mit dem bemerkenswerten Satz, er "höre das seit zehn Jahren". Hat sich also auch die Belegschaft am Residenztheater München bereits schlecht behandelt gefühlt? Der Direktor sieht das offenbar anders, er nahm die Lage nicht ernst genug.

Kein Vertrauen

Kušej wird seinen Vertrag jedenfalls bis Sommer 2024 einhalten, wie er auf Anfrage bestätigte. In einer vorläufigen künstlerischen Bilanz seiner kurzen Ära gab es nur wenige Highlights. Dazu zählen beispielsweise die auf der Diskurshöhe der Zeit befindliche Schnitzler-Neudichtung "Die Ärztin" in der Regie von Robert Icke. Oder Barbara Freys "Automatenbüffet", das zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde.

Einzelleistungen wie diese zählen aber nicht viel. Theaterhäuser befinden sich im ganzen deutschsprachigen Raum in einem Transformationsprozess, weil sie um Relevanz und damit um Publikum kämpfen, weil sie mit Repräsentationsfragen ringen und sich einfach zu träge mit den von ihnen mitgetragenen Ausschließungsmechanismen befassen. Das kann keine Einzelperson lösen. Offensichtlich setzt aber auch die Kunststaatssekretärin in diesen Belangen kein Vertrauen in Kušej. Die Kluft, die sich zwischen ihm und den führungstechnischen Ansprüchen heute auftut, scheint einfach zu groß zu sein. (Margarete Affenzeller, 20.12.2022)