So mies war die Stimmung gegenüber Österreichs Politik und Politikern schon lange nicht mehr. Bei einer OGM-Umfrage vom November wies der sogenannte Vertrauensindex unter Bundespolitikern ganz überwiegend negative Werte auf: Kanzler Karl Nehammer etwas minus elf Prozent, SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner minus 13 Prozent, Umweltministerin Leonore Gewessler minus 30 Prozent. FPÖ-Chef Herbert Kickl minus 53 Prozent. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka minus 59 Prozent (!).

Ähnlich trostlos wurde die "Kanzlerfrage" im Dezember beantwortet. Laut einer Profil-Umfrage würden magere 18 Prozent Karl Nehammer direkt wählen (wenn das möglich wäre). Noch schlimmer: Pamela Rendi-Wagner kommt nur auf 15 Prozent, ebenso wie Herbert Kickl.

Wie ist die heimische Politik so relativ schwach und flach geworden?
Foto: Heribert Corn

In politischen Diskussionen und Alltagsgesprächen lautet der Tenor: So eine schwache Politik, so schwache Politiker und Politikerinnen wie jetzt hatten wir schon lange nicht. Und das in einer multiplen Krisensituation.

Reden wir Klartext: Kanzler Karl Nehammer ringt mit seiner Rolle, er ist ehrlich bemüht, kann sich aber

a) nur unvollständig vom verlotterten Erbe der Kurz-Clique lösen und flüchtet sich

b) in sinnlosen Populismus in der Migrationsfrage.

Er konnte noch kein schlüssiges Konzept einer christdemokratischen Partei unserer Zeit vorlegen.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner ringt mit ihrer Rolle, ist ehrlich bemüht, kann sich aber

a) nur unvollständig von den Cliquen in der SPÖ lösen und hat

b) einfach zu wenig politisches Gespür.

Sie konnte noch kein schlüssiges Konzept einer sozialdemokratischen Partei unserer Zeit vorlegen.

Werner Kogler von den Grünen gibt das gemütliche alte Haus, hat aber einen harten Kern. Beate Meinl-Reisinger von den Neos fürchtet sich vor niemandem. Beide haben aber zu wenig Power für echte Gestaltung.

Damit das auch gesagt ist: Herbert Kickl von der FPÖ ist sehr begabt. Ein begabter Krakeeler. Seine Partei wird wieder trotz aller Erfahrungen von rund 25 Prozent für regierungsfähig gehalten.

Die Ex-Neos-Abgeordnete und ehemalige Höchstrichterin Irmgard Griss sagte vor einem Jahr: "Es sind nicht selten Personen in politischen Ämtern, die diesen nicht gewachsen sind. Das kann an der Persönlichkeit liegen, an fehlender Integrität, an Feigheit, Opportunismus oder auch an mangelnder fachlicher Eignung."

Das muss nicht so sein. Darüber gleich mehr. Nur ein Gedanke vorweg: Im Grunde geht es in der demokratischen Politik nur um eines: Good Governance – gutes Regieren. Auf die bestmögliche, seriöseste, möglichst von Machtzynismus freie Weise möglichst vielen ein Leben in Freiheit und materieller Sicherheit ermöglichen. Wie wär’s mit etwas Ernsthaftigkeit ?

In letzter Zeit dominieren bemühte Handwerker ohne große Konzepte wie Karl Nehammer oder früher Werner Faymann. Oder Fachleute, die sich in der Politik schwertun: Bildungsminister Martin Polaschek, Ex-Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein, bis zu einem gewissen Grad auch Rendi-Wagner.

Oder Einzelkämpfer(innen) wie Leonore Gewessler, Alma Zadić, Finanzminister Magnus Brunner, Wirtschaftsminister Martin Kocher.

Und dann halt die smarten, hohlen Blender mit Neigung zum Abgang ins Finanzbusiness wie Sebastian Kurz oder Gernot Blümel. Bei Kurz ist das Charisma noch mit Verachtung für die liberale Demokratie und ihre Institutionen gepaart.

Wie ist die Politik so relativ schwach und flach geworden? Der Sozialwissenschafter Günther Ogris vom renommierten Sora-Institut nennt unter anderem die Dominanz der Kommunikationsbranche (siehe Kasten unten). Wer Selbstverkauf nicht kann, steigt nicht auf. Aber gerade beim Meister Sebastian Kurz zeigte sich, dass das nicht genügt, wenn die Substanz fehlt.

Die Auswahlverfahren für Politik sind veraltet. Ogris: "Der politische Nachwuchs ist zu wenig international vernetzt. Die Präsidien der Parteien bieten intellektuell nicht mehr das Umfeld, dass sich Politiker und Politikerinnen weiterentwickeln."

Noch ein Aspekt: Die Älteren (Kreisky, Raab, Figl) hatten dramatische Schicksale (Krieg, KZ, Emigration), auch Vranitzky und Schüssel erlebten noch eine harte Nachkriegszeit. Diese Schule fehlt.

Schließlich: Das Aufkommen des Rechtspopulismus hat die Sitten verdorben. Was früher an hetzerischen Lügen und betrügerischem Populismus für seriöse Politiker undenkbar war, sickerte spätestens seit dem Erfolg von Jörg Haider in die traditionellen Parteien ein (mit Ausnahme Grüne und Neos).

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Illustration: Der Standard

Früher war nicht alles gut. Es gab ebenfalls Blender (Karl-Heinz Grasser) und gefährliche Charismatiker (Jörg Haider). Aber dann gab es noch etwas: verantwortungsvolle Politiker wie Franz Vranitzky und Alois Mock, die gemeinsam große Projekte wie den EU-Beitritt angingen.

Damit sind wir wieder bei der Good Governance: Das scheint bei vielen nicht mehr das oberste Prinzip zu sein. Angestrebt werden kurzfristige und kurzsichtige Vorteile auf Kosten des anderen. Der provinzielle Egoismus der Landeshauptleute ist legendär. Dabei bringt eine seriöse, am Wohl des Landes orientierte Politik auch Erfolge. Natürlich spielen Populisten auf dem Emotionsklavier. Aber selbstbewusste demokratische Politik kann trotzdem das Richtige, Vernünftige, vielleicht sogar vordergründig Unpopuläre tun – muss es allerdings auch erklären können. Weder von Nehammer noch von Rendi-Wagner gibt es bisher große konzeptuelle Reden.

Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ) (2016/17) und sein Vize Reinhold Mitterlehner (ÖVP) haben im letzten Profil klug gemeinsam analysiert. Kern: "Die Politik erschöpft sich in einer Aneinanderreihung von Einzelmaßnahmen. Sie denkt zu stark im Rhythmus von Krone und Co." Mitterlehner: "Politik war lange darauf konditioniert, Benefits zu verteilen. Derzeit müsste sie auch Unpopuläres tun."

Vielleicht wären beide noch im Amt, hätten sie das selbst befolgt. (Hans Rauscher, 01.01.2023)