Die Mehrheitsverhältnisse im US-Kongress haben sich verändert – aber nicht so stark wie von der Republikanischen Partei erhofft.

Foto: AP Photo/Matt Rourke

Bei den Midterm-Wahlen haben die Republikaner noch mit einem Erdrutschsieg gerechnet, nun steht die Partei vor dem Scherbenhaufen: Am Dienstag um 18 Uhr (MEZ) kommt der neue US-Kongress zusammen, im Senat geben weiterhin die Demokraten den Ton an, im Repräsentantenhaus verfügen die Republikaner nur über eine knappe Mehrheit. Geschlossenheit wäre also angesagt, wenn die Partei Vorhaben durchbringen möchte. Doch zuletzt demonstrierte sie alles andere als Zusammenhalt. Das liegt vor allem an ultrarechten, extremen neuen Abgeordneten. Ein Überblick, wer im neuen Repräsentantenhaus die Fäden ziehen könnte:

Eigentlich den Ton angeben will Kevin McCarthy, er soll neuer Sprecher des Repräsentantenhauses werden und damit das Amt von der Demokratin Nancy Pelosi übernehmen. Doch bereits bei der Nominierung McCarthys für den Posten des Parlamentschefs in der Fraktion zeigte sich die Uneinigkeit der Republikaner: 31 Abgeordnete stimmten Mitte November für McCarthys ultrarechten Gegenkandidaten Andy Biggs.

Ob Kevin McCarthy sich eine Mehrheit im Repräsentantenhaus sichern kann, war bis zuletzt unklar.
Foto: AP Photo/J. Scott Applewhite

Die Republikanische Partei hält 222 Sitze im Repräsentantenhaus, bei der Wahl am Dienstag kann sich McCarthy also nur vier abweichende Stimmen leisten, wenn alle anwesend sind. Sollte er im ersten Wahlgang tatsächlich die Mehrheit von 218 der derzeit 434 Stimmen verfehlen, wird so lange weitergewählt, bis ein Kandidat die Mehrheit erzielt, vorher kann das Repräsentantenhaus seine Arbeit nicht aufnehmen. Da Biggs keine Chancen auf eine Mehrheit eingeräumt werden, wurde zuletzt über einen Kompromisskandidaten spekuliert.

Radikale

Teil des ultrarechten Flügels der Republikaner, die McCarthy die Beförderung ruinieren könnten, ist unter anderem der Abgeordnete Matt Gaetz (Florida). Er kündigte bereits im November an, nicht für McCarthy stimmen zu wollen, und zeigte sich überzeugt: "Wir haben die Stimmen, um eine Änderung zu forcieren."

Gaetz ist einer von vielen rechten republikanischen Abgeordneten, die die Lüge der "gestohlenen Wahl" verbreiten, dass Donald Trump gegen Joe Biden im November 2020 eigentlich gewonnen hätte. Gaetz behauptet zudem, unter anderem gemeinsam mit seiner Parteikollegin Marjorie Taylor Greene, dass Behörden wie das FBI beim Sturm auf das Kapitol involviert gewesen sein könnten. 2020 wurden gegen Gaetz Untersuchungen im Rahmen von Ermittlungen gegen seinen Anwaltspartner Joel Greenberg wegen des Verdachts auf Menschenhandel zur Prostitution Minderjähriger eingeleitet. Mittlerweile scheint aber unwahrscheinlich, dass gegen Gaetz selbst Anklage erhoben wird.

Gaetz gehört auch zu jenen Mitgliedern der Republikanischen Partei, die bei Ukraine-Hilfen einen restriktiveren Kurs fordern. Er und Lauren Boebert (Colorado) standen als Einzige nicht auf, als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einem historischen Besuch vor knapp zwei Wochen im Kongress begrüßt wurde.

Matt Gaetz (links) und Lauren Boebert (rechts) gehören zum ultrarechten Trump-Flügel.
Foto: APA/AFP/MANDEL NGAN

Boebert ist eine Trump-Anhängerin und Verfechterin lockerer Waffengesetze, die gegen Corona-Maßnahmen, Abtreibungen, die Ehe für alle und erneuerbare Energie wettert. Sie begrüßte Elon Musks Twitter-Übernahme und betrieb das Shooters-Grill-Restaurant in Rifle, Colorado, wo die Kellnerinnen Revolver trugen und die Gäste zum offenen Waffentragen ermuntert wurden.

Wichtige Ausschüsse

James Comer (Kentucky) und Jim Jordan (Ohio) gehören zu jenen Republikanern, die bisher noch nicht so stark im Rampenlicht standen, die aber in den kommenden Monaten noch eine größere Rolle spielen könnten. Comer wird als Vorsitzender des Ausschusses "Oversight and Government Reform" gehandelt, der jede Bundesbehörde, Person oder Unternehmen unter die Lupe nehmen kann. Die Republikaner kündigten bereits an, Untersuchungen gegen Joe Biden und seinen Sohn Hunter einleiten zu wollen. Der Familie Biden werfen sie vor, sich mit Wissen und Beteiligung des US-Präsidenten durch fragwürdige internationale Geschäfte bereichert zu haben.

Bild nicht mehr verfügbar.

Jim Jordan (links) und James Comer (rechts) werden Leitungsfunktionen in wichtigen Ausschüssen übernehmen.
Foto: APA/AFP/GETTY IMAGES/CHIP SOMODE

Jim Jordan soll den Justizausschuss des Repräsentantenhauses leiten, der weitreichende Kompetenzen hat, von der Kontrolle über das US-Rechtssystem bis zum Schutz der Bürgerrechte. Außerdem ist er jenes Gremium des Kongresses, das Anhörungen über eine Amtsenthebung durchführt und etwaige Anklagepunkte entwirft, bevor das Plenum der Kammer über ein mögliches Impeachment abstimmen kann.

Erwartet wird unter anderem, dass Jordan Untersuchungen gegen das Justizministerium im Zusammenhang mit der Razzia in Donald Trumps Anwesen in Mar-a-Lago einleitet. Hintergrund der Ermittlungen, die im August zu der FBI-Hausdurchsuchung geführt hatten, war der wachsende Verdacht, dass Trump nach seiner Amtszeit der Geheimhaltung unterliegende Dokumente bei sich behalten und nicht fachgerecht gelagert habe.

Historische Neuzugänge

Historisch gelten einige neue Abgeordnete im Repräsentantenhaus auf demokratischer Seite: Mit Mary Peltola wird Alaska im Kongress erstmals durch eine indigene Frau vertreten. Becca Balint ist die erste Frau und die erste offen homosexuelle Abgeordnete, die für den Bundesstaat Vermont im Repräsentantenhaus sitzen wird. Summer Lee ist die erste schwarze Frau, die Pennsylvania vertritt. Und mit dem 25-jährigen Maxwell Frost übernimmt erstmals ein Mitglied der Gen Z ein Mandat.

Historisch auf republikanischer Seite sind die Enthüllungen rund um den neuen Abgeordneten George Santos (New York): Er gestand vergangene Woche, seinen Lebenslauf erheblich gefälscht zu haben. Er habe, anders als behauptet, nie bei den Banken Goldman Sachs und Citigroup gearbeitet und nie einen Hochschulabschluss erworben. Er besitzt außerdem keine 13 Immobilien und ist Katholik und nicht Jude. Trotz aller Aufdeckungen will Santos seinen Amtseid am Dienstag ablegen. (maa, 3.1.2023)