Welche Medikamente sind im Rettungswagen vorhanden? Laut einem anonymen Rettungssanitäter, der einen offenen Brief verfasst hat, zu wenige.
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Es sind Vorwürfe, die am Mittwoch für Aufregung im Rettungswesen sorgten: Die Ausbildung der Sanitäterinnen und Sanitäter sei im internationalen Vergleich minderwertig. Viele Sanitäter, die sich weiter zum Notfallsanitäter ausbilden möchten, könnten dies nicht, da es häufig von den Bezirksstellen verhindert würde. Und, so der dritte Kritikpunkt, die Rettungswägen seien zu schlecht ausgestattet. Es fehlten Medikamente, sodass Notfallsanitäterinnen in einer Notlage oft nicht angemessen helfen könnten. Das kritisiert ein Sanitäter aus der Steiermark in einem offenen Brief, der dem STANDARD vorliegt.

Die Gesundheit von Menschen würde riskiert, resümiert der anonyme Verfasser. Dem widerspricht Peter Hansak, Landesrettungskommandant des steirischen Roten Kreuzes, im STANDARD-Gespräch vehement. Die Vorwürfe seien für ihn vielfach "unverständlich und entsprechen nicht den Tatsachen". Notfallmedizinexperte Gerhard Prause, der bis zu seinem Ruhestand im Vorjahr an der Med-Uni Graz tätig war, sowie unter anderem in der Arbeitsgemeinschaft für Notfallmedizin in der Steiermark ist, "würde nicht unterstreichen, dass Patienten zu Schaden kommen, denn zu den meisten Notfällen fährt sowieso ein Notarzt".

Doch was ist dran an den anderen Vorwürfen? Und wie sieht die Ausbildung wirklich aus? Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten – denn das Rettungswesen in Österreich ist ein komplexes Gebilde. Jedes Bundesland regelt den Rettungsdienst selbst, die Ausbildung ist aber bundesweit durch das Sanitätergesetz geregelt. Die einzelnen Rettungsorganisationen wie Rotes Kreuz oder Arbeiter-Samariterbund sind dann für die Ausbildung zuständig. In der Basisausbildung ist das dieselbe – geht es jedoch um die Ausbildung im Hinblick auf Notfallkompetenzen, dürfen die Organisationen selbst entscheiden, welche Aufgaben ihre Notfallkräfte übernehmen dürfen.

Sammelsurium an Notfallsanitätern

Das führt dazu, dass mitunter ein Notfallsanitäter des Roten Kreuzes andere Hilfsmittel einsetzen darf als einer vom Grünen Kreuz. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Sanitätern dürfen Notfallsanitäterinnen beispielsweise gewisse Medikamente verabreichen – sie stehen quasi zwischen Sanitäter und Notärztin. Doch sie sind in der Minderheit. Wien und Tirol gelten als Bundesländer mit dem höchsten Anteil an Notfallsanitätern. Einen genauen Überblick gibt es allerdings nicht, in den Ballungszentren ist ihr Anteil jedenfalls höher.

Das System stand bereits im Spätsommer zur Debatte. Damals gerieten das steirische Rettungswesen und die Sanitätsausbildung in die öffentliche Diskussion, nachdem zwei Notfälle mit Todesfolge bekannt geworden waren. Es war auch die Rede davon, dass Sanitäter immer wieder in Situationen geraten, denen sie nicht gewachsen seien. Denn in ländlichen Regionen müssten sie lange allein Patienten versorgen, bis eine Notfallmedizinerin an Ort und Stelle sei. Manchmal trifft es zwei Zivildiener mit wenig Erfahrung.

Im August schrie in Niederösterreich die Ärztekammer auf, es herrsche ein "eklatanter Notarztmangel". Und Andreas Huss, ArbeitnehmerInnen-Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse, kritisierte die kurze Ausbildungszeit für Sanitäterinnen und Sanitäter.

Ausbildung weiterentwickeln

"Es stimmt, dass die Ausbildung zu wünschen übrig lässt. Es gibt viel Verbesserungspotenzial", sagt Gerhard Prause von der Med-Uni Graz zum STANDARD. Verglichen mit anderen EU-Ländern sei Österreich Schlusslicht. Demnach hätten alle europäischen Länder eine zwei- bis dreijährige Ausbildung für Rettungssanitäter, die Hälfte mit akademischem Abschluss. Wer hierzulande Sanitäterin werden will, muss insgesamt 260 Stunden Basisausbildung absolvieren. Das Sanitätergesetz – das zuletzt 2002 überarbeitet wurde – schreibt vor, dass Sanitäter sich alle zwei Jahre mindestens 16 Stunden weiterbilden müssen.

Je nach Ausbildungsgrad dürfen Notfallsanitäter unterschiedliche Hilfe leisten. Das Sammelsurium an Notfallkräften soll sich ändern, wenn es nach dem Roten Kreuz und Notfallmedizinexperten geht.
Foto: APA/Florian Wieser

Wer sich zum Notfallsanitäter ausbilden will, muss weitere 480 Stunden Theorie und Praxis hinter sich bringen. Obendrauf kann man noch Zusatzmodule belegen: Arzneimittellehre, Venenzugang und Infusion oder Beatmung und Intubation. Die gängigsten Zusatzmodule sind die ersten beiden, womit diese Notfallsanitäter umgerechnet etwa fünf Monate ausgebildet werden. Allerdings kritisiert Experte Prause, dass nur vierzig Stunden Praxis im Krankenhaus geleistet werden: "Ein Notfallsanitäter sieht in der Ausbildung nur wenige Notfälle." Die gesetzlichen Vorgaben seien hier zu gering, um eine gute Ausbildung zu gewährleisten, weshalb Bundesländer wie Niederösterreich oder Wien eine höhere Ausbildung als vorgesehen anböten. Auch Hansak sagt, das Rote Kreuz Steiermark würde mehr Stunden unterrichten als letztlich im Zeugnis stehen.

Der Experte sowie der Landesrettungskommandant fordern eine bundesweit einheitliche Ausbildung für Notfallsanitäter. "Diese Aufteilung in Module ist nicht mehr zeitgemäß, weil wir nun das Problem haben, dass Notfallsanitäter verschiedene Kompetenzen haben: Der eine darf einen Venenzugang legen, der andere nur Medikamente verabreichen, der dritte keines von beidem", sagt Hansak. In Zukunft solle es nur einen Notfallsanitäter geben, der über alle Kompetenzen verfügt. Bereits seit 2017 arbeite man an einer Verbesserung der Ausbildung. Dann kam die Pandemie, und auf der Prioritätenliste rutschte die Reform immer weiter nach unten. Seit Jänner werden in der Steiermark alle Notfallsanitäter mit den Kompetenzen Venenzugang und Arzneimittellehre ausgebildet – die bereits ausgebildeten Notfallsanitäter werden entsprechend nachgeschult. Auch moderne Inhalte wie Telemedizin sollten in die Ausbildung einfließen.

Ist es ein Notfall?

Als wichtigste Stellschraube erachtet Notfallmedizinexperte Prause, dass die Sanitäter besser darin geschult werden, die Lage der Patienten einzuschätzen. "Liegt ein lebensgefährlicher Notfall vor, der sofort versorgt werden muss? Ist eine ärztliche Versorgung von einem Hausarzt ausreichend? Ist ein Transport ins Krankenhaus notwendig?" So könnten einerseits die Belastungen der Kliniken reduziert werden, wo häufig Patienten eingeliefert werden, die eigentlich auch von einer Allgemeinmedizinerin in einer Ordination behandelt werden könnten.

Andererseits könnten so die Fehleinsätze von Notärzten reduziert werden: "Die Ärzte sind frustriert, weil sie in 50 Prozent der Fälle an Ort und Stelle fahren, wo sie eigentlich gar nicht gebraucht werden. Ein Drittel der angeforderten Notarztfälle wird storniert", sagt Prause. Ein Problem, vor allem wenn es ohnehin in manchen Regionen einen Mangel an Notärzten gibt. Geht es nach dem Experten, der für das Land Steiermark an einem Konzept zur Notfallversorgung mitgearbeitet hat, sollten Notfallsanitäter hier auf einer Zwischenstufe Abhilfe schaffen. Er fordert, dass es in jedem steirischen Bezirk zumindest einen Notfallwagen mit speziell ausgebildeten Notfallsanitätern und entsprechendem Equipment gibt.

Darin sieht Hansak kein Problem. Solange es ein gutes Notarztsystem gebe, baue man auch darauf. Erst wenn der Notarzt nicht kommen könne, komme ein Notfallsanitäter. Ohnehin seien die wirklichen Notfälle eine Ausnahme: Ein bis drei Einsätze mit einem Notarzt gebe es in der Steiermark im Schnitt innerhalb von 24 Stunden.

Pro Bezirk soll es in der Steiermark zumindest einen Notfallwagen mit speziell ausgebildeten Notfallsanitätern und entsprechendem Equipment geben, fordert Notfallmedizinexperte Prause.
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Fehlende Medikamente

Dafür ein eigenes System nur mit Notfallsanitätern aufzubauen, eine sogenannte Paramedics-Struktur, wie sie in vielen angloamerikanischen Ländern besteht, erachtet Hansak vom Roten Kreuz als nicht sinnvoll. Im Jahr werden in der Steiermark 50 Notfallsanitäter in zwei Lehrgängen ausgebildet. Jeder Bezirk habe ein fixes Kontingent an Ausbildungsplätzen – je nach Größe. "Es kann aber nicht jeder, der will, in die Ausbildung gehen, sondern die Leute werden gereiht nach Notwendigkeit", sagt Hansak. Er widerspricht dem Vorwurf, dass das Rote Kreuz aus Kostengründen weniger Sanitäter ausbildet, wie in dem offenen Brief kritisiert wird: Die Ausbildungskosten würden vom Land getragen.

Prause könnte sich vorstellen, dass es an der Haftung liegt, dass nicht alle Dienststellen Notfallsanitäter ausbilden lassen. Wenn ein Wagen mit allen Notfallmedikamenten ausgestattet ist, aber nicht alle Sanitäter diese einsetzen dürften, könnte ein Gutachter bei einem Todesfall fragen, wieso das lebensrettende Medikament nicht verabreicht wurde, und die Organisation haften. Da gehe man womöglich lieber auf Nummer sicher.

Damit kann Hansak vom Roten Kreuz wenig anfangen. "Wir halten die Vorgaben der Bundes- und Landes-Gesetzgeber ein." Damit spielt er auf den anonymen Briefschreiber an, der davon berichtet, dass er einem Patienten mit allergischem Schock nicht helfen konnte, weil es keinen Epipen im Rettungswagen gab. Seit dem Vorjahr setze man laut Hansak die von Chefärzten des Österreichischen Roten Kreuzes vorgegebene Arzneimittelliste um, ergänze die Ausrüstung und schule Mitarbeiterinnen. Dass in der Liste vor allem Medikamente für besonders häufige Fälle vorhanden sind, kann natürlich dazu führen, dass in einem seltenen Notfall das passende Medikament nicht im Rettungswagen ist.

Bis Ende 2023 werden im Gesundheitsministerium die Kompetenzen und die Ausbildung der Sanitäter evaluiert. Der Prozess dazu soll laut Anfrage im ersten Quartal beginnen, Ziel ist eine Novelle des Sanitätergesetzes. Laut dem Zuständigen im Ministerium werde diese realistischerweise nicht mehr dieses Jahr umgesetzt, außer die vielen Prozessbeteiligten einigen sich rasch auf eine Lösung. (Selina Thaler, 13.1.2023)