Laut Andricks "Erfolgsleere" zählt in der Arbeitswelt vor allem Ehrgeiz.
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Ein Text wie ein Donnerschlag. Ehrgeiz, verstanden als Orientierung an der Aufmerksamkeit anderer Menschen, ist im Arbeitsleben alles – und führt in die Leere. Das ist die zentrale These dieses lehrreichen und unglaublich gut geschriebenen Buches Erfolgsleere. Philosophie für die Arbeitswelt von Michael Andrick. Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll mit dem Lob glasklarer Gedanken. Beginnen wir also mit Kritik.

Erstens: Es irritiert, dass Georg Francks Ökonomie der Aufmerksamkeit nicht berücksichtigt wird. Der Wiener Ökonom und Architekt hat in diesem bahnbrechenden Werk schon 1998 beschrieben, wie Aufmerksamkeit zur zentralen Währung des gesellschaftlichen Zusammenlebens geworden ist. Es wäre höchst angebracht gewesen, Francks Pionierarbeit zu berücksichtigen, zumal bei einem offensichtlich so belesenen Autor wie Andrick. Zweitens: Das Buch kommt mit einem unverhohlenen Absolutheitsanspruch daher. Beim Lesen spürt man, dass Andrick sich seiner Sache sehr, sehr sicher ist.

Dass der Autor sehr genau zu wissen glaubt, was unsere Gesellschaft ausmacht, wie unser Berufsleben funktioniert und was es für ein gelingendes Leben braucht, kann verwundern, trägt aber gleichzeitig wesentlich zur Klarheit der Argumentation bei. Auch wenn man Andricks Analyse nicht teilt: Die kompromisslose Infragestellung der Arbeitswelt ist stets inspirierend und spornt zum Denken an.

Erwartungen erfüllen

Andrick hat eine Art Zwei-Welten-Theorie: hier die Arbeitswelt, die nur ein Teil der Welt ist, sich aber als das Ganze ausgibt – und dort das Leben, das nach ganz anderen Regeln funktioniert. Leben sei "Handwerk" und die Arbeit an sich selbst. Während es dabei auf Dinge wie Nachdenklichkeit, Vertrauen und Maß ankommt, zählt im Berufsleben nur eines: Ehrgeiz. Er ist, so Andrick, "das planvolle und eifrige Ringen um Anpassung an externe Erwartungen, also an das, was die anderen (angeblich oder vermutlich oder tatsächlich) von mir wollen, bevor sie bereit sein werden, mir den Erfolg zuzugestehen, den sie zu verteilen haben." Ehrgeiz richtet sich an die Ehre, und die ist das, was andere von uns halten.

Weil die Reputation (ein Begriff, den Andrick nicht verwendet) im Arbeitsleben buchstäblich alles ist, sind wir laut Andrick pausenlos damit beschäftigt, die Erwartungen der anderen zu lesen und uns entsprechend zu verhalten. All das ist nach Andricks Analyse so selbstverständlich und fundamental, dass wir in der Regel gar nicht darauf kommen, die Sache zu hinterfragen. Die "Navigation des Einzelnen im Geflecht der vermuteten Ansichten der anderen" ist aus dieser Perspektive ein fundamentales Charakteristikum unserer Gesellschaft. Die Arbeitswelt ist von lauter Funktionären bewohnt, und die sind "Leute von gedankenloser Eindeutigkeit und Gradlinigkeit". Im Dauerbezug auf andere liegt eine tiefe Leere, die man mit dem Buchtitel als "Erfolgsleere" bezeichnen kann: "Am Grunde der Leere des Selbst eines eifrigen Funktionärs liegt die moralische Leere der äußeren Ehre – des Ansehens, des Kredits und des Status in den Augen anderer." Diese Diagnose leuchtet Andrick aus und scheut dabei kein klares Urteil, wenn er vom "Wahnsinn des Ehrgeizes" schreibt oder feststellt: "Innere Ödnis im Erfolg sagt die ganze Wahrheit über die Industriegesellschaft." Diese Gesellschaft riskiert bekanntlich gerade ihre Zukunft.

Deshalb ist allüberall von Zeitenwende, Innovation und Transformation die Rede. Wenn man Andrick folgt, sind die Voraussetzungen dafür nicht eben gut, denn: "Der Ehrgeizige ist unfähig zur Gestaltung der Verhältnisse, aber optimal zu ihrem Betrieb geeignet. Er ist Funktionär." Das erinnert an Joseph Schumpeters Unterscheidung zwischen dem dynamischen Unternehmer, der Innovationen in die Welt bringt, und dem statischen Wirt, der letztlich nur Verwalter ist. Überhaupt findet Andrick, dass das auf Ehrgeiz, Konkurrenz und Anpassung gepolte Wirtschaftsleben für dynamischen Wandel keine guten Voraussetzungen mitbringt: "Innovation entsteht, wenn Leute vernünftig und ungezwungen nachdenken und solidarisch zusammen handeln dürfen, und nicht, wenn sie in einem Überbietungskampf der Äußerlichkeiten aufeinandergehetzt werden." Das ist gut gesagt – gleichzeitig ist die Frage, ob das nicht eher eine Wunschvorstellung als eine plausible Realitätsbeschreibung ist. Wenn man sich die digitale Wirtschaft anschaut, haben Innovationen aktuell vielleicht doch mehr mit Kampf als mit Solidarität zu tun.

Führung als Krisentätigkeit

Aber eine echte Transformation braucht sicher mehr, und da hat Andrick wieder einen guten Punkt, wenn er seine Ehrgeizthese auf das große Ganze bezieht: "Die Leere des ehrgeizigen Arbeitens, seine moralische Nichtigkeit, ist der entscheidende Grund des gewohnten Gangs der Dinge überall." Wenn dieser Gang der Dinge ins Stocken gerät, ist Führung gefragt. Sie ist, folgt man Andrick, "die Arbeit, als notwendig erkannte Veränderungen herbeizuführen. Deshalb ist es aufschlussreich, sich Führung als eine Krisentätigkeit vorzustellen." Führung ist überhaupt nur notwendig, wenn sich Dinge ändern müssen, alles andere ist für Andrick höchstens Management, also Verwaltung. "Führen heißt, professionell die etablierte Professionalität durchbrechen und sie neu ordnen."

Diese etablierte Professionalität unterzieht Andrick einer scharfen Kritik. Sie steht bei ihm nicht für Können und Kompetenz, sondern für "strukturierte Gedankenlosigkeit zum Erhalt des industriellen Systems". Hier kommt die resolute Vehemenz des Buches an seine Grenzen: Ganz offensichtlich gibt es auch Menschen, die nicht als aufmerksamkeitsgeile, gedankenlose und opportunistische Schafe durch ihr Berufsleben stolpern, sondern mit Expertise, Engagement und Verantwortungsbewusstsein den Begriff der Professionalität positiv mit Leben füllen. Das Buch lädt zur Selbstbefragung ein, ob man eher Funktionär oder Anführerin ist. Egal, wie die Antwort ausfällt: Von diesem wuchtigen Text können alle etwas lernen. "Erfolgsleere" macht im Sinne des Wortes nachdenklich. (Fred Luks, 17.1.2023)