Ein Puzzle selbst zu entwerfen? Ist so einfach gemacht wie ein Fotoalbum. Bild hochladen, abschicken, vier Tage später sind die 1.000 Teilchen da. Nur fürs Puzzeln braucht es mehr Zeit. Zwölf Stunden hat das Zusammensetzen des RONDO-Covers gedauert, der Kollege hat sich während der Weihnachtstage in Geduld geübt. Kein Wunder, je abstrakter das Motiv, desto komplizierter das Stecken.

Puzzle-Spiele gelten seit der Corona-Pandemie als Form der Selbstfürsorge.
Foto: Lukas Friesenbichler, Hersteller

Die Qualitäten des Puzzles, sie liegen auf der Hand: Was ist meditativer, als in bewegten Zeiten wie diesen Pappteilchen zu sortieren und Stück für Stück zusammenzusetzen? Wie lassen sich Geduld, Konzentration und Durchhaltevermögen beiläufiger trainieren? Wie bringt man gemeinsam mit Freunden oder Familie besser die Zeit herum? Lange wurde das Puzzeln als verschnarchtes Hobby stubenhockender Langweiler abgetan. Nun hat sich der Wind gedreht. Neuerdings heißt es hier wie dort: Puzzeln ist das neue Yoga, Puzzeln ist Selfcare. Ja wieso denn auch nicht?

Pandemie-Puzzle für Erwachsene

Microsoft-Gründer Bill Gates ist schon lange Fan der Puzzelei, doch seit rund zwei Jahren erlebt die Liebhaberei einen echten Boom, plötzlich puzzelten Fußballspieler oder Influencerinnen wie Kylie Jenner um die Wette. Bei den Spieleherstellern explodierte die Nachfrage während der Pandemie geradezu. Der Erfolg des Geduldsspiels lässt sich an den Umsätzen der Platzhirsche auf dem Markt ablesen. 2020 verkaufte Ravensburger, immerhin seit 1891 aktiv im Puzzle-Game, in Österreich um 50 Prozent mehr Steckspiele. Erstaunlich ist, dass nicht die Kinder für diesen Höhenflug verantwortlich waren. Bei 73 Prozent der verkauften Steckspiele handelte es sich um Puzzles für Erwachsene. Schon vor der Pandemie habe das Geduldsspiel einen Aufwärtstrend erlebt, heißt es vonseiten des Unternehmens. Seither ist das Interesse, und hier wird es interessant, einigermaßen stabil geblieben.

Auch das RONDO-Team widmet sich gerne der Geduldsübung in Form des Steckspiels.
Foto: Lukas Friesenbichler, Hersteller

Statt die Spieleschachteln verschämt in Hobbykellern neben der Modelleisenbahn zu parken, puzzelt man jetzt nicht nur am 29. Jänner, der 1955 zum internationalen Puzzletag erklärt wurde, sondern das gesamte Jahr über. Gemeinsam auf dem Wohnzimmertisch und mancher vielleicht auch alleine, um lange und langweilige Zoom-Sitzungen zu überleben.

Neue Motive

Die gestiegene Nachfrage hat auch die Gestaltung der Spiele verändert. Bei Ravensburger gehören zwar nach wie vor Motive wie die "Großglockner Hochalpenstraße" zu den Bestsellern, doch moderne Puzzles setzen immer seltener auf Winnetou-, Pferde- und Welpenmotive. Oft sehen die zusammengefügten 1.000-Teiler nun wie bunte Poster aus, die gestanzten Kunstwerke sind auf der Social-Media-Plattform Instagram omnipräsent.

Das hat seine Gründe. Im Gegensatz zu den "Postkartenfotografien", dem Klassiker der Puzzlemotive, könne man mit Illustration "freier und individueller eine Stimmung im aktuellen Zeitgeist schaffen und mit Metaphern Geschichten in Bildern erzählen", erklärt Grafikdesigner Erwin Bauer. Und: Seien noch vor einiger Zeit "saubere" Linearts angesagt gewesen, gehe der Trend jetzt ganz stark zum "handgezeichneten, organischen und nicht-perfekten, manchmal trashigen Illustrationsstil". Die neuen Bilderwelten werden allerdings weniger von Puzzle-Experten wie Ravensburger oder Piatnik als von kleinen, einfallsreichen Herstellern entworfen. So wie vom französischen Unternehmen Jour Férié, das 2020 von Laetitia Godillot und der Illustratorin Céline Ibanez gegründet wurde. Die beiden setzen auf dekorative Frühstücksstillleben mit Kaffeekanne, Croissants und Zitronen – das kommt an. 14.000 Instagram-Accounts folgen der Pariser Puzzlemarke heute.

Die neue Puzzle-Generation: Exemplare von den jungen Marken Sundays, Printworks und Jour Férié (von links nach rechts).
Foto: Hersteller

Ähnlich positioniert sich der arty Steckspielhersteller Sundays, vor einem halben Jahr von den Berlinerinnen Mary Scherpe und Ruth Bartlett gegründet. Letztere ist für die bunten Illustrationen zuständig. Gefertigt werden die Puzzles in Süddeutschland – und zwar erst auf Bestellung. Am erfolgreichsten, sagt Scherpe, sei lange das Blumenmotiv "Floreality" gewesen, über Weihnachten habe "Picky Bits", eine Mischung aus Käse, Shrimps, Eingelegtem und Mortadella, ihm den Rang abgelaufen. Den bunten Stillleben gemein ist: Sie verbreiten gute Laune. "Wir wollen, dass unsere Käufer das Puzzle gern auf dem Tisch liegen oder an der Wand hängen haben", erklärt die Unternehmerin.

Steckspiel aus Holz

Mit dem Urtypus des Puzzles haben die erschwinglichen Exemplare aus gestanzter Pappe übrigens nur wenig gemein: 1766 hatte der britische Kartenhändler John Spilsbury eine Landkarte von Großbritannien noch auf ein Holzbrett geklebt, es entlang der Grenzlinien der Grafschaften zersägt, fertig war das erste überlieferte Steckspiel, das als didaktisches Instrument in der Schule eingesetzt wurde. Einen pädagogischen Anspruch haben die angesagten Papp-Puzzles von heute nicht, der dekorative Charakter überwiegt. Die illustrierten Stillleben von heute fügen sich passgenau in junge, aufgeräumte Insta-Wohnwelten ein: Große Puzzles funktionieren ähnlich wie Wandteppiche oder Coffeetablebooks als Einrichtungsgegenstand, mit dem Geschmack bewiesen wird.

Logisch, dass sich nun nicht mehr nur Spielwarenabteilungen, sondern auch Concept-Stores, Modemarken und Museen berufen fühlen, Steckspiele zu verkaufen: Das deutsche Label Closed bietet neben Körperöl und Kuscheldecke ein Puzzle der Künstlerin Jill Senft an, Neuzugang im Shop des New Yorker Museum of Modern Art (Moma) war im vergangenen Jahr ein Puzzle eines Bildes der afroamerikanischen Künstlerin Faith Ringgold. Auch im Store des Wiener Museums für Moderne Kunst (Mumok) werden neben Postern, Postkarten und Designstücken seit einiger Zeit Steckspiele verkauft, thematisch abgestimmt auf die laufenden Ausstellungen: Zum Beispiel ein Burgerpuzzle des Londoner Designstudios Pikkii oder eine abstrakte Abenddämmerung, bestehend aus 500 Teilchen, gestaltet vom Stockholmer Label Printworks. Geschickt zusammengesteckt, hängt das Motiv sicher noch vor Beginn der Dämmerung an an der Wand. (RONDO, Anne Feldkamp, 21.1.2023)