Erinnern Sie sich, als vor ein paar Jahren Experten vorhersagten, dass in Kürze (also heute) selbstfahrende Autos gesteuert von künstlicher Intelligenz (KI) auf unseren Straßen unterwegs sein würden? Das ist (noch) nicht eingetreten: Autonomes Fahren ist um einiges komplizierter als gedacht. Vor allem im urbanen Verkehr erschweren die wortwörtlich unberechenbaren Fußgänger der KI den Weg.

Die Einschätzung der Entwicklungsgeschwindigkeit dieser Technologie war falsch. Ein Quantensprung geschieht dafür fast unbemerkt in einem anderen Anwendungsbereich der künstlichen Intelligenz: bei sprachbasierten Chatbots. Mit dem Programm Chat GPT der Firma Open AI wird dieser nun für die breite Allgemeinheit zugänglich. Haben Sie noch nicht selbst ausprobiert?

Bei Chat GPT ist auch ein kritisches Urteilsvermögen wichtig, denn nicht alles, was die KI schreibt und sich gut liest, stimmt auch.
Foto: Midjourney

Dann lassen Sie Chat GPT ein Gedicht mit ein paar persönlichen Elementen reimen, vielleicht im Stil von Rainer Maria Rilke oder Goethe, eine Werbekampagne entwerfen oder Ihren nächsten Newsletter schreiben. Das heißt, wenn die Server nicht gerade überlastet sind, denn Chat GPT benötigt enorme Rechnerkapazitäten.

Umbrüche im Bildungswesen

Das Bildungswesen ist von dieser schnell fortschreitenden Technologie am unmittelbarsten betroffen. Schülerinnen und Schüler können Aufsätze in Minutenschnelle erledigen, ohne sich Gedanken über Recherche und Schreibstil machen zu müssen. Sollten Sie Kinder haben und schon einmal an einer schriftlichen Arbeit "mitgewirkt" haben, können Sie das in Zukunft getrost Chat GPT überlassen. Für Lehrende an Schulen und Universitäten lässt sich ein KI-generierter Text nur schwer als solcher erkennen, außer vielleicht daran, dass dieser zu gut ist.

Was bedeutet das für den Prüfungsbetrieb, wenn qualitätsvolle Aufsätze aus dem Netz kommen, jeder davon einzigartig und nur für den jeweiligen Nutzer generiert? Universitäten in den USA beginnen bereits damit, Aufsätze von der Beurteilung auszuschließen. Mündliche Beurteilungen werden an Bedeutung gewinnen, denn nur über diese kann am Ende geklärt werden, inwieweit der Inhalt eines eingereichten Aufsatzes verstanden wurde.

Sinnvoller Umgang

Chatbots in Schulen zu verbieten ist nicht zielführend: Diese Technologie wird sich durchsetzen. In einem Universitätslehrgang im Frühjahr werde ich Studierende einladen, Chat GPT aktiv für ihre schriftliche Arbeit zu nutzen. Im Nachgang werden wir gemeinsam reflektieren, wann der Einsatz Sinn macht und wann korrigierend eingegriffen werden muss. Nach ihrem Studium werden die Absolventinnen und Absolventen in ihrer beruflichen Tätigkeit KI-Chatbots weiter nutzen. Ein sinnvoller Umgang mit der Technologie erfordert auf jeden Fall schon heute kritisches Urteilsvermögen, denn immer wird das Programm falsche Aussagen hinter perfekten Formulierungen verstecken. Nicht alles, was die KI schreibt und sich gut liest, stimmt auch.

Als ich Chat GPT einen Text zum Thema Bildung und KI schreiben ließ, empfahl das Programm Universitäten die Nutzung von Plagiatserkennungssoftware. Dabei ist diese aber gar nicht in der Lage, computergenerierte Texte zu identifizieren. Dafür braucht es eine andere Art von Spezialsoftware. Dass diese Kolumne nur von mir geschrieben wurde, können Sie mir glauben, aber Sie müssen es nicht. (Philippe Narval, 23.1.2023)