Das Mikrobiom des Menschen ist in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der Wissenschaft gerückt. Es zeigte sich, dass der Darm als Organ nur im Wechselspiel mit einer riesigen Anzahl von dort lebenden Bakterien funktioniert. Dieses reiche Ökosystem aus Milliarden Kleinstlebewesen im Menschen wird Mikrobiom genannt und hat nicht nur große Auswirkungen auf die Verdauung, sondern auch auf unser Immunsystem oder die Gemütslage. Viele "probiotische" Lebensmittel sollen sich positiv auf das Darmmikrobiom auswirken, doch wissenschaftlich ist das eher nicht haltbar. Außer Zweifel steht der negative Effekt von antibiotischen Medikamenten auf das Mikrobiom.

Doch wie kommen Menschen überhaupt an die wichtigen Bakterien? Lange Zeit ging die Wissenschaft davon aus, dass Babys im Mutterleib über kein eigenes Mikrobiom verfügen. Kinder mussten also, einem guten Sauerteig gleich, mit den in ihrer Lebensumgebung beheimateten Bakterien in Kontakt kommen.

Babys kommen bei der Geburt erstmals in Kontakt mit Mikroorganismen. Studien, die etwas anderes nahelegten, dürften fehlerhaft gewesen sein.
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Doch ab 2010 ließen mehrere Studien aufhorchen: In Proben der Plazenta und des Fruchtwassers habe man Bakterien entdeckt. 2014 etwa berichtete ein Team aus Houston in den USA, bei über 300 Frauen mit gentechnischen Methoden Rückstände von Bakterien entdeckt zu haben, die jenen in der Mundhöhle ähnelten. Sie seien mit dem Blut der Mutter dorthin gelangt, so die Vermutung.

Nun publizierte ein Team von 46 Expertinnen und Experten eine Analyse im Fachjournal "Nature", die diesen Ergebnissen widerspricht. Mit dabei war auch Thomas Rattei, Leiter der Forschungsabteilung für computergestützte Systembiologie am Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien.

Geringe Konzentrationen als Problem

"Die spezielle Problematik bei diesen Mikrobiomen besteht in den sehr kleinen Konzentrationen der anwesenden Bakterien", erklärt Rattei das Problem. "Daher müssen auch in Spuren vorhandene Spezies sicher erkannt und von Kontaminationen unterschieden werden." Rattei untersuchte Aussagen zur Datenanalyse und Bioinformatik in den Studien, die Mikroben bei Babys gefunden hatten. Das Team kam zum Schluss, dass es bei der vaginalen Entbindung, bei klinischen Verfahren oder bei der Laboranalyse zu einer Verunreinigung der Proben gekommen sein muss.

Außergewöhnlich ist dabei, dass die Erkenntnis nicht durch Wiederholen der Experimente, sondern nur durch die Analyse der alten Daten gewonnen wurde. Die nun veröffentlichte Arbeit enthält überdies einen genauen Leitfaden für künftige Experimente, der mögliche Risiken auflistet. Besonders für Proben, die möglicherweise komplett steril sind, etwa Krebsgewebe, Hirngewebe oder eben Gewebe aus dem Umfeld von Embryonen, sei das Risiko einer Kontamination extrem hoch, analysiert das Team. Bevor mit der Sequenzierung von Erbgut begonnen werden kann, müssten hochgenaue Vergleichsmethoden angewandt werden, um eine Kontamination auszuschließen.

Mikroben leben an vielen Stellen des menschlichen Körpers, jene im Darm sind aber von besonderer Bedeutung.
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Besiedelung beginnt mit Geburt

Was das Mikrobiom von Babys angeht, bleibt also alles beim Alten. In einer gesunden Schwangerschaft sind der Fötus und seine Umgebung steril. Die Babys kommen erstmals bei der Geburt in Kontakt mit Bakterien und beginnen, ihr Mikrobiom aufzubauen. Dabei macht es übrigens einen Unterschied, ob Babys bei einer Spontangeburt über den Geburtskanal mit Mikroorganismen der Mutter in Berührung kommen oder ob sie per Kaiserschnitt auf die Welt kommen, wie eine Studie aus den Niederlanden kürzlich bestätigte. Kaiserschnittbabys zeigen etwa eine schwächere Immunantwort auf bestimmte Impfungen und sind offenbar anfälliger für Infektionen.

"Das Wissen, dass sich der Fötus in einer sterilen Umgebung befindet, bestätigt, dass die Besiedlung mit Bakterien während der Geburt und in der frühen postnatalen Phase stattfindet", sagt Studienleiter Jens Walter vom University College Cork in Irland. "Die Frage, wann und wie sich das Mikrobiom des Menschen nach der Geburt entwickelt, hat einen bleibenden Einfluss auf das spätere Leben und die Gesundheit." Das Team fordert in Zukunft interdisziplinäre Zugänge ein, um solche Fehler zu vermeiden. (Reinhard Kleindl, 25.1.2023)