Monika Maron (81) zeigt erneut, welch fabelhafte Autorin sie ist.

Foto: Vivian J. Rheinheimer

Im Jahr 2020 hatte Monika Maron sich auf glattes Gegenwartsterrain gewagt. Zuerst mit dem Buch Artur Lanz, für dessen Stoßrichtung zu Genderfragen und Zuwanderung sie islamophob und antiemanzipatorisch genannt wurde. Dann mit einem Büchlein, das sie in einem der neurechten Öffentlichkeit zugerechneten Verlag publizierte. Ihr Stammverlag S. Fischer warf sie dafür nach 40 Jahren raus.

Zuflucht fand sie bei Hoffmann und Campe. Maron bedankte sich erst mit dem keinerlei Anstoß erregenden Hundebuch Bonnie Propeller und dann mit einer Sammlung von Essays aus vier Jahrzehnten. Nun ist dort ein neues Buch der heute 81-Jährigen erschienen: die Erzählung Herr Aurich. Ging es in den Aufsätzen in Was ist eigentlich los? viel um die DDR, so nimmt Maron in Herr Aurich erneut mit auf dieses Terrain.

Dramatik und schmunzeln

Es ist nicht nur ein für sie sicheres, weil es fernab aktueller gesellschaftspolitischer Debatten liegt, sondern auch eines, das sie eindrucksvoll darzustellen weiß. Mit der Dramatik der Weltgeschichte im Rücken lässt Maron schmunzeln. Biederer kann man sich die DDR um 1980 kaum vorstellen als in Form des Ehepaars Aurich. Erich Aurich hat seit ein paar Wochen Herzrhythmusstörungen, farblos sieht er aber vielleicht auch wegen des Wetters aus. Man weiß es nicht genau, als er die Hühnerbrühe, die ihm seine Frau zum Abendessen hingestellt hat, kaum anrührt. Hilde jedenfalls ist das nicht unrecht: Wenn er jetzt schlafen ginge, könnte sie in Ruhe den Heinz-Rühmann-Film schauen.

Es wird, so ist kurz darauf klar, ein Herzinfarkt gewesen sein und Herr Aurich ins "einzige Krankenhaus für verdiente Personen" nach Berlin überstellt. Bisher Chef eines Betriebs in der Provinz, schließt er aus diesem Aufwand, dass man mit ihm noch Großes vorhabe. Auch wenn beide scheinen, als wären sie über 70: Er ist erst 57, Hilde noch jünger.

Herzensbrecherin DDR

Doch er irrt. Er wird in die Pension entlassen, und die Welt, in der er seiner Meinung nach bisher oben zu finden war, stürzt ein. Maron macht daraus ein famoses Kammerspiel. Nicht nur wegen pointierter Sätze wie diesem: Er ist bloß noch einer "im Kreis der Namenlosen, Stimmlosen, denen niemand untergeben war außer der eigenen Ehefrau".

Mit dem eigenen Bedeutungsverlust wird Aurich egal, wer auf Fotos in der Zeitung näher neben dem Führer steht. Er wendet sich beglückt den Sonnenflecken auf dem Teppichboden zu oder mit Missgunst den Nachbarn, die er beobachtet. Man meint fiebrig, Maron, die einst als dissidentische Autorin in der DDR nicht publizieren durfte, was sie verlegerisch in den Westen führte, lässt Aurich angesichts der neuen Freiheit zum Verbündeten reifen.

Weit gefehlt! Keine Alternative denken könnend oder wollend, steigert sich Aurich in einen wortlosen Kleinkrieg mit der Gattin um zähes Fleisch und Witwenpension hinein. Nie wird er indes an der DDR kratzen. Sie wird dem Beharrenden das Herz brechen. Welch tolle, tragische, kluge und gewitzte späte Abrechnung. (Michael Wurmitzer, 2.2.2023)