Österreich sei durch die vielen Korruptionsfälle in einer demokratiepolitisch schwierigen Phase, warnen die Proponenten des Rechtsstaat- und Antikorruptionsvolksbegehrens Walter Geyer, Michael Ikrath, Martin Kreutner und Oliver Scheiber im Gastkommentar. Verantwortungsbewusste Politik müsse WKStA und Justiz unbeeinflusst und ruhig arbeiten lassen.

Justizreformen in Sicht? Alma Zadić verhandelt mit dem Koalitionspartner ÖVP eine Generalstaatsanwaltschaft, auch einen höheren Kostenersatz bei Freisprüchen kann sich die grüne Ministerin vorstellen.
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Das Strafrecht ist ein besonders sensibler Bereich. Mit gutem Grund haben alle Parteien es jahrzehntelang konsensual weiterentwickelt und aus tagespolitischen Diskussionen weitgehend herausgehalten. Schlussfolgerungen aus einzelnen öffentlichkeitswirksamen Strafverfahren sind verlockend, führen bei näherer Betrachtung aber meist in die Irre. Das zeigen auch die jüngsten Diskussionen nach Freisprüchen in großen Korruptionsverfahren.

Unverzichtbare Behörden

Wirtschaftskriminalität und Korruption verursachen europaweit jährlich Schäden im zumindest dreistelligen Milliardenbereich, die fast immer zulasten der Allgemeinheit gehen. Europarat, Europäische Union und Uno haben deshalb Standards zur Korruptionsbekämpfung entwickelt. Spezialbehörden sind global gefordert und anerkannt. In Österreich sind dies innerhalb der Justiz die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) und bei der Polizei das Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK). Diese Behörden sind unverzichtbar; ihre Leistungen international anerkannt. Ihre Arbeit ist keinesfalls ein österreichisches Unikum.

Auch in anderen Staaten gibt es Verfahren wegen politischer Absprachen, wegen Spenden im politiknahen Bereich, wegen Geschenken an Politikerinnen und Politiker. Antikorruptionsbehörden müssen so auch im Umfeld der Politik ermitteln, das ist Teil ihrer genuinen Aufgabe und ihres Zwecks. Sind Antikorruptionsbehörden erfolgreich, ist das für die Politik oftmals unangenehm – erfolgreiche Ermittlungen bedeuten Anklagen und Verurteilungen von Politikerinnen und Politikern.

Unabhängigkeit stärken

Antikorruptionsbehörden sehen sich bei solchen Ermittlungen deshalb regelmäßig Angriffen aus der Politik gegenüber; das ist nicht nur in Österreich so, sondern in allen Staaten, in denen größere Korruptionsverfahren laufen, etwa in Frankreich, Israel, Slowenien, Malaysia, den USA. Umso wichtiger ist es demokratiepolitisch, WKStA und BAK ohne politische Interventionen arbeiten zu lassen und ihre Unabhängigkeit zu stärken.

"Es ist strafrechtliche Normalität, dass ein Teil der Anklagen mit Freisprüchen endet."

Zentrale Aufgabe der unabhängigen Gerichte ist es, strafrechtlich fragwürdige Vorgänge zu beurteilen. Das können sie nur, wenn die Staatsanwaltschaften solche Vorgänge vor Gericht bringen. Der gesetzliche Maßstab ist dabei ein unterschiedlicher: Die Staatsanwaltschaften müssen anklagen, wenn eine entsprechende Verdachtslage das nahelegt und eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Bei den Gerichten ist der Maßstab ein viel strengerer: Gerichte dürfen nur dann verurteilen, wenn für sie ein Tatbestand unzweifelhaft erfüllt ist. In dubio pro reo – bei auch kleinem Zweifel erfolgt ein Freispruch. Es ist deshalb strafrechtliche Normalität, dass ein Teil der Anklagen mit Freisprüchen endet.

688 Verfahren führte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft 2022.

Im Licht der medialen Aufmerksamkeit stehen ganz wenige prominente Korruptionsfälle. Deren Verlauf verstellt oft den Blick auf die Gesamtleistung der WKStA. Allein im Vorjahr führte die WKStA laut öffentlich zugänglichen Daten 688 Verfahren gegen insgesamt 2291 namentlich bekannte Verdächtige, dazu 260 Verfahren gegen unbekannte Täterinnen oder Täter. In 134 Verfahren unterstützte sie ausländische Ermittlungsbehörden in Rechtshilfesachen. Wie bei allen anderen Staatsanwaltschaften führt auch bei der WKStA nur ein geringer Teil von Ermittlungen zu Anklagen. So konnte sie im Jahr 2022 in 229 Fällen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens absehen. Zu 926 beschuldigten Personen wurde das Verfahren eingestellt. Mit 42 Anklageschriften wurden 170 Beschuldigte von der WKStA angeklagt. Im Jahr 2022 erfolgten in den von der WKStA angeklagten Verfahren 47 Schuldsprüche durch ein Gericht, in 45 Fällen gab es Freisprüche oder Teilfreisprüche. Zu 102 Personen wurde das Verfahren mit alternativen Maßnahmen, der sogenannten Diversion, beendet.

"Nötige justizinterne Kontrolle und auch eine (auszubauende) Fehlerkultur obliegen den ordentlichen Gerichten und einer konsequenten Dienst- und Fachaufsicht – nicht jedoch der Politik."

Die meisten Verfahren laufen sehr zügig ab. Ein wesentlicher Grund dafür, dass gerade die sehr öffentlichkeitswirksamen Verfahren lange dauern, sind das Berichtswesen und die Qualitätssicherung. Wie ließe sich Letztere verbessern? Ein Vorbild könnte das Modell der neuen Europäischen Staatsanwaltschaft sein. Dort gibt es ein internes Prüfsystem durch Kammern aus drei Staatsanwältinnen und Staatsanwälten – das garantiert effiziente Qualitätskontrolle innerhalb der Behörde und gleichzeitig schnelle Verfahren. Nicht zuletzt ein zentraler Grund, warum das Rechtsstaat- und Antikorruptionsvolksbegehren so wie auch die interministerielle Arbeitsgruppe die zeitnahe Einrichtung einer unabhängigen Bundesstaatsanwaltschaft mit Kollegialcharakter ("Senaten") urgieren.

Schwierige Phase

Österreich befindet sich – die wiederholten Mahnungen des Bundespräsidenten unterstreichen es – in einer durch die vielen Korruptionsfälle demokratiepolitisch schwierigen Phase. Im globalen Korruptionsindex von Transparency International flog Österreich zum ersten Mal seit 2014 aus den Top 20. Aufgabe aller verantwortungsbewussten politischen Kräfte muss es sein, WKStA und Justiz unbeeinflusst und ruhig arbeiten zu lassen. Nötige justizinterne Kontrolle und auch eine (auszubauende) Fehlerkultur obliegen dabei den ordentlichen Gerichten und einer konsequenten Dienst- und Fachaufsicht – nicht jedoch, im Sinne der Gewaltenteilung als Grundbaustein der Bundesverfassung, der Politik. Und es gilt auch schon an die kommende Legislaturperiode zu denken: Ausländische Beispiele mahnen uns, dass politische Einflussnahmen auf Ermittlungsbehörden Rechtsstaat und Demokratie gefährden.

Was es braucht, ist daher ein allgemeiner politischer Konsens: Das Justizressort soll in dieser politisch sensiblen Phase künftig einer über den Parteien stehenden anerkannten Persönlichkeit des Rechtslebens anvertraut werden. (Walter Geyer, Michael Ikrath, Martin Kreutner, Oliver Scheiber, 2.2.2023)