Susanne Kalss öffnet den Aufsichtsratstag für Studentinnen: "Ich will den älteren Herren zeigen: Es gibt sie, die gut qualifizierten Frauen."

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Susanne Kalss, Vorständin des Instituts für Unternehmensrecht an der Wirtschaftsuni Wien (WU) und Doyenne, wenn es um Expertise für Aufsichtsgremien geht, ruft heuer zum 13. Mal zum Aufsichtsratstag an die WU. Ihr besonderes Anliegen: Studentinnen sollen kommen und vor Ort Kontakte knüpfen, Entscheider treffen, sich früh ins Spiel bringen und sich Karrierepfade in die Aufsichtsgremien bahnen.

STANDARD: Bei Ihnen am Aufsichtsratstag bleibt die Elite nicht unter sich. Sie öffnen das Fachforum für junge Frauen der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Was bezwecken Sie?

Kalss: Einerseits möchte ich jungen Frauen zeigen: Es ist spannend, es ist interessant, Engagement lohnt sich. Andererseits will ich den älteren Herren zeigen: Es gibt sie, die gut qualifizierten, engagierten Frauen für die Aufsichtsräte. Es sind ja viele CEOs und Aufsichtsräte vor Ort – also eine gute Gelegenheit, Leute kennenzulernen, die wirklich auch Mandate vergeben!

STANDARD: Spätestens seit Österreich die Frauenquote für große Unternehmen im Aufsichtsrat hat, gibt es eine Menge Kurse, Seminare, Weiterbildungen für Frauen, um für ein solches Mandat fit zu werden. Allerdings: Abgesehen von Quotenerfüllung im staatsnahen Bereich – wo sind denn tatsächlich die Positionen?

Kalss: Die Erwartung, dass ich einen Kurs mache und die Welt schon auf mich gewartet hat – das ist natürlich nicht so. Es ist schwierig, in die Zirkel zu kommen, deswegen sage ich ja: Zwischen 25 und 35 müssen Frauen beginnen, konsequent entsprechende Leute kennenzulernen, im Gespräch zu sein.

STANDARD: Sollte frau da nicht besser Executive Searcher, also Personalberater, die Mandate besetzen, kennenlernen?

Kalss: Im Aufsichtsbereich machen das noch nicht alle Unternehmen – aber natürlich, es sind viele Wege zu gehen. Frauen müssen sich mehr anstrengen als Männer, das ist so. Ich musste auch mehr Bücher schreiben, mehr Veranstaltungen machen. Wir Frauen müssen mehr leisten, wir sollten aber wirklich auch unsere Leistungen stärker hervorstreichen.

STANDARD: Fördern Frauen andere Frauen, wenn sie als Kapitalvertreterinnen in Aufsichtsräten sitzen?

Kalss: Ja, ich glaube schon. Ich mache das selbstverständlich. Da geht es auch darum, Frauen konsequent einzuladen. Zu empfehlen, auch still zu fördern.

STANDARD: Leisten Frauennetzwerke – es gibt ja gefühlt täglich neue – da gute Dienste?

Kalss: Ich würde mich nicht auf reine Frauennetzwerke verlassen, ich finde gemischte Netzwerke immer besser.

STANDARD: Was hat sich denn in den vergangenen Jahren verändert? US-Medien waren während der Pandemiezeit voller Nachrichten, wonach Frauen reihenweise ihre Sessel geräumt hätten ...

Kalss: Die Seilschaften der Männer funktionieren auch hier wieder recht geschlossen. Was ich beobachte, ist so etwas wie ein wirklich neuer Konkurrenzkampf: Es sind nicht die älteren Männer, die Frauen als Konkurrenz sehen, es sind die gleichaltrigen, so in der Altersgruppe um die 40.

STANDARD: Wieso ist das so?
Kalss: Weil es mittlerweile auch aufgrund der Regulatorien in Sachen Geschlechtergerechtigkeit deutlich über die Dekorfrau hinausgeht. Der Wettbewerbsdruck ist gestiegen.

STANDARD: Hat sich in Sachen Image der Abnicker im Kontrollgremium etwas verändert?

Kalss: Das Image der früher gerne als Frühstücksdirektoren bezeichneten Aufsichtsräte hat sich verbessert. Es geht ja längst nicht mehr nur um vier Sitzungen. Neben Haftungsfragen hat der Aufsichtsrat in vielen Unternehmen neue, stärkere perspektivische Rollen – als Ermutiger, als Bremser. Die Zahlen müssen natürlich immer stimmen.

STANDARD: Apropos: Das deutsche Familienministerium meldet aktuell, dass die Umsetzung der EU-Richtlinie für eine Frauenquote im operativen Bereich zu großen Sprüngen geführt habe. Im Börsenindex DAX liegt nach einem Jahr die Frauenquote in den Vorständen bei 23 Prozent, lediglich drei Unternehmen – Linde, Porsche und Sartorius – haben keine Frau im operativen Führungsgremium. Demnächst müssen auch wir diese EU-Richtlinie umsetzen. Es werden allerdings nur sehr wenige Unternehmen betroffen sein. Erwarten Sie davon etwas?

Kalss: Ja, in ein, zwei Jahren werden wir das auch umsetzen. Es handelt sich um eine Symbolregelung, das stimmt schon, es wird wenig Betroffenheit sein. Aber es ist ein Signal.

STANDARD: Ist es wirklich so, dass Frauen in Scharen in die Chefsessel der Wirtschaft streben? Eigentlich haben wir gegenteilige Befunde: Sie gehen eher raus, sie wollen nicht ihr gesamtes Leben einer Karriere "opfern" ...

Kalss: Ich kann das bestätigen. Es hat zugenommen, dass bestens qualifizierte Frauen diesen Kampf nicht mehr auf sich nehmen wollen. Wo verlieren wir sie? Überwiegend vor dem zweiten beruflichen Schritt. Etwa nach der Anwaltsprüfung. Zwischen 28 und 38 gehen sie dann einen Schritt zurück, in einen weniger exponierten Bereich oder in einen, der weniger Intensität fordert, in dem weniger Konkurrenz herrscht. Dennoch: Es gibt auch Fortschritte – allerdings weniger, als ich mir erhofft hatte. Um wirklich voranzukommen, auch beim Aufsichtsrätinnen-Thema, brauchen wir einfach größere Kohorten, eine entsprechend kritische Masse.

STANDARD: Es gibt allerdings auch Bereiche – gerade in Ihrem Feld –, in denen kaum Fortschritte zu bemerken sind. Mergers & Acquisition-Deals werden nicht von Frauen begleitet. Partner in Kanzleien sind überwiegend Männer. Also die Pipeline ist offenbar ziemlich löchrig ...

Kalss: Ja, stimmt. Im Unternehmensrecht beispielsweise haben wir in den vergangenen 20 Jahren keine Frauen dazugewonnen, oder fast keine. Da hat sich fast nichts geändert, da schauen die Männer, dass ihnen der Platz bleibt. Im Familienrecht, im Arbeitsrecht dagegen sind sehr viele Kolleginnen dazugekommen.

STANDARD: Nach all den vielen Jahren, die auch der Frauenförderung gehört haben: Kann Sie überhaupt noch etwas enttäuschen?

Kalss: Sicher. Wenn Frauen belächelt werden. Wenn Frauen marginalisiert werden. (Karin Bauer, 8.2.2022)