Ein Häuschen hier, ein Milliönchen da: Erbschaften würden die Ungleichheit verschärfen, heißt es oft. Die Erbschaftssteuer verheißt ausgleichende Gerechtigkeit.
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"Wir denken in Generationen, nicht in Quartalen." Das ist ein guter Satz, und Christof Kastner weiß das. Nicht zuletzt steht das so auch im Mission-Statement der Unternehmensgruppe, in der er geschäftsführender Gesellschafter ist. Die Kastner-Gruppe, die vor allem Einzelhändler und Gastronomen mit Lebensmitteln beliefert, ist seit 195 Jahren in Familienbesitz. Sie entstand aus einem kleinen Gemischtwarenladen und macht heute knapp 270 Millionen Euro Jahresumsatz. Hier in Zwettl lässt sich erahnen, wie es sich anfühlen muss, ein Unternehmen von seinen Eltern zu übernehmen, um es vielleicht einmal an seine Kinder weiterzugeben. Es sei eine große Verantwortung, sagt Kastner. "Eine Freude und Bürde zugleich."

In Österreich vererbt man recht günstig. Das Land hat seine Erbschafts- und Schenkungssteuern 2008 abgeschafft. Trotzdem wabern diese Abgaben seitdem wie ein Gespenst durch die Debatte. Die SPÖ fordert sie regelmäßig; zuletzt wagte auch Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) einen Vorstoß. ÖVP, FPÖ und Neos sind dagegen.

Mehrfach verplantes Geld

In der Bevölkerung ist die Erbschaftssteuer umstritten: Es gibt meist eine Mehrheit dafür, sie wird aber auch oft mit einer Vermögenssteuer verknüpft, die populärer ist. Auf den virtuellen Schultern der virtuellen Erbschaftssteuer ruht viel Hoffnung der politischen Linken. Die hat das Geld ist gefühlt schon dreimal verplant, bevor es ein fertiges Konzept gibt.

Kastner, der viel lacht und sichtlich Spaß an seinem Job hat, führt durch sein Lager und kommt auf die Politik zu sprechen. Zu Vermögens- und Erbschaftssteuern hat er, der auch stellvertretender Obmann der Sparte Handel in der Wirtschaftskammer ist, eine klare Meinung. "Substanzsteuern sind abzulehnen." Das ist ein häufig zu hörendes Argument: Erträge zu besteuern sei in Ordnung. Aber wer Erben belaste, die den Familienbetrieb übernehmen wollen, der schwäche Unternehmen in ihrer Substanz. Und mache Geschichten wie die der Kastners unwahrscheinlicher.

Es ist kein Zufall, dass die Erbschaftssteuer gerade in Österreich so diskutiert wird. Vermögen wird hierzulande kaum besteuert. 2020 kamen 2,1 Prozent der Gesamtabgaben aus vermögensbezogenen Steuern, im EU-Schnitt waren es 5,6 Prozent. Unter den 38 OECD-Staaten liegt Österreich bei dieser Art der Besteuerung auf Platz 32. Österreich verlässt sich also sehr stark auf Abgaben auf Arbeitseinkommen und Konsum – mit allen Vor- und Nachteilen.

Ideologische Fragen

Im Bezug auf die Erbschaftssteuer gibt es Fragen, die ideologisch sind. Das ist keine Beleidigung: Ob ich glaube, dass Vermögen einer Einzelperson oder einer Familie gehört, ob der Staat ein Einnahmen- oder Ausgabenproblem hat – das alles sind politische Fragen, auf die es nicht eine "richtige" Antwort gibt. Sie lassen sich nur bedingt wissenschaftlich und keinesfalls journalistisch lösen. Wer vermögensbezogene Steuern grundsätzlich ablehnt, der kann beruhigt weiterlesen: Es ist nicht das Ziel dieses Artikels, Menschen mit Biegen und Brechen vom Gegenteil zu überzeugen.

Im Bezug auf die Erbschaftssteuer gibt es aber auch Fragen, die weniger ideologisch sind. Zum Beispiel: Wie sollte eine mögliche Erbschaftssteuer ausschauen, damit sie bei minimalem Schaden genug einbringt? Und was würde solche eine Steuer überhaupt einbringen? Vor allem Letztere ist gar nicht so einfach zu beantworten. In Österreich ist die Datenlage bezüglich des Vermögens schlecht. Die einzige regelmäßige Erhebung ist der Household Finance and Consumption Survey (HFCS) der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB). Der leidet allerdings daran, dass er eine Umfrage ist. Eine Studie der OeNB, die die Ergebnisse des HFCS mit anderen Daten quer verglich, kam im Jänner 2022 zu dem Ergebnis, dass das oberste Prozent eher 50 Prozent des Vermögens besitzen könnte statt wie erwartet 25 Prozent.

Steigende Ungleichheit

Erbschaften werden in Österreich erfasst und sind für die Forschung zugänglich, sie sind allerdings mit Vorsicht zu genießen. "Wir können auf Schätzungen zurückgreifen", sagt Franziska Disslbacher, Ökonomin an der Università Roma Tre. Das oberste Prozent in Österreich erbe im Durchschnitt drei bis vier Millionen Euro, die obersten zehn Prozent durchschnittlich 700.000 bis 900.000 Euro. "In der unteren Hälfte geht es primär um Wertgegenstände wie ein Auto oder ein Restguthaben auf einem Sparbuch." Als Größenordnungen sind die Zahlen brauchbar. Rein statistisch gesehen können Erbschaften die Ungleichheit übrigens sogar verringern – eine Erbschaft von 5000 Euro ist für jemanden am unteren Ende der Vermögenspyramide relativ mehr wert als eine von 300.000 Euro am oberen –, sie zementieren aber eine gesellschaftliche Elite ein. "Große Vermögen werden in Österreich unangetastet an die Erben weitergegeben", sagt Disslbacher. "Wir wissen, dass die Vermögensungleichheit langfristig aufgrund dieses Mechanismus immer größer wird."

Die Wiener Studentin Marlene Engelhorn wird Millionen erben – und will 90 Prozent davon in Form von Steuern abgeben.
Foto: Heribert Corn

Auf der Vermögensleiter

Trotz der schlechten Datenlage wissen wir natürlich ein paar Dinge. Der Beitrag von Erbschaften zur Vermögensungleichheit ist in Österreich vergleichsweise groß: Eine Studie der ÖNB aus dem Jahr 2015 kam zu dem Schluss, dass es in Österreich extrem schwer sei, mit Einkommen die Vermögensleiter hinaufzusteigen. Um im Bild der Leiter zu bleiben: Bricht man diese auf 100 Stufen herunter, überspringt man in Österreich mit einer durchschnittlichen Erbschaft von 150.000 Euro 17 Stufen. In der Eurozone ist der Effekt nur noch in Deutschland ähnlich hoch.

In der öffentlichen Debatte spukt der Begriff der "Erbengeneration" herum. Die Babyboomer, die sich oft erhebliche Vermögen angespart haben, sterben zunehmend und vererben diese. In Österreich gibt es keine umfassenden Berechnungen, wie sich die Erbschaften entwickeln. Es wird aber tendenziell mehr. 2014 prognostizierte der Wissenschaftler Stefan Humer von der Wirtschaftsuniversität Wien (WU), dass das Erbschaftsvolumen zwischen 2010 und 2040 um das Zweieinhalbfache steigen wird. Das Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) kam 2022 in einer Berechnung für fünf EU-Länder ebenfalls zu dem Ergebnis, dass sich in den kommenden Jahrzehnten die Erbschaftsvolumina sehr dynamisch entwickeln werden. Hinzu kommt: Es wird nicht nur mehr Vermögen vererbt, sondern es fließt aufgrund demografischen Entwicklung an weniger Nachkommen. Die individuellen Erbschaften werden also größer.

Zweierlei Maß

Eine, die einmal eine solche große Erbschaft erhalten wird, ist Marlene Engelhorn. Die 31-Jährige ist bekannt dafür, als angehende Millionärin – sie ist mit Friedrich Engelhorn verwandt, Gründer des Chemiekonzerns BASF, und gehört damit zu einer der reichsten Familien weltweit – für eine einfache Forderung zu stehen: Sie möchte höher besteuert werden. "Ich habe ein riesiges Vermögen, auf das ich zugreifen kann, und ich zahle überhaupt keine Steuern dafür", sagt sie. Sie verstehe nicht, warum da mit zweierlei Maß gemessen werde. "Warum müssen Menschen, die arbeiten und das System erhalten, Steuern zahlen, und ich, die ich nur profitiere, nicht? Das hat in meinen Augen keinen Sinn. Und ich bin zum Glück auch unter Vermögenden nicht alleine mit dieser Ansicht."

Engelhorn engagiert sich in der Initiative "Tax me now", in der sich Vermögende versammeln, die einen Umbau des Steuersystems fordern. "Wir sind mittlerweile meilenweit von der Chancengleichheit entfernt, die wir uns auf die Fahnen schreiben", sagt Germanistikstudentin Engelhorn. "Ich frag mich ständig, wie wir das zulassen können."

Vermögen ist mehr als Geld

Lange Zeit wurde der Einfluss von Vermögen auf Chancengerechtigkeit in der Forschung eher stiefmütterlich behandelt. Der Fokus lag auf dem elterlichen Einkommen und der elterlichen Bildung. In den Zehnerjahren begann eine kleine Gruppe an Forschern, dem Einfluss von Vermögen auf den intergenerationalen Chancentransfer stärker zu erforschen. Ein wichtiger Name dabei: Fabian Pfeffer, ein deutscher Soziologe, der an der University of Michigan lehrt.

"Meine Forschung hat immer wieder gezeigt: Selbst wenn wir auf Einkommenseffekte kontrollieren, zeigen sich weiterhin eigenständige Vermögenseffekte", sagt Pfeffer. Der Einfluss sei groß, man dürfe ihn allerdings nicht überschätzen. "Die intergenerationale Stabilität von Vermögen ist nicht größer als die von Einkommen, von Beruf oder von Bildung. Aber die Dimension Vermögen ist, verglichen mit anderen, stark unterbelichtet." Was die Forschung auch zeigt: Vermögen ist mehr als Geld. Eine Studie aus Schweden kam zu dem Ergebnis, dass die Kinder von Lottogewinnern kaum Vorteile im Leben hatten. Weil mit dem Lottogewinn nicht automatisch die für die Aufnahme in elitäre Zirkel entscheidenden Titel oder Kontakte kommen.

Sicherheitsnetz für Erbende

Warum sich Erbschaften überhaupt auf die Lebenschancen der nachfolgenden Generationen auswirken, ist gar nicht so einfach zu beantworten. Durchschnittlich erbt man erst in seinen 50ern. Da sind alle wesentlichen Lebensentscheidungen getroffen. Warum bringt mir diese "cherry on top", wie Pfeffer späte Erbschaften auch nennt, etwas?

Für die USA leuchtet der Mechanismus ein: Für ein teueres Studium muss fast immer ein Kredit aufgenommen werden. Da tut man sich leichter, wenn das eigene Haus mehr wert ist. In stärker ausgebauten Sozialstaaten erschließt es sich nicht auf den ersten Blick. "Ich argumentiere, dass elterliches Vermögen zwei Funktionen erfüllt", sagt Pfeffer. Zum einen sei das die Kauffunktion: Vermögen werde für Bildung eingesetzt oder per Schenkung überlassen. Dazu hätten Erbschaften eine Versicherungsfunktion: Jede Bildungsentscheidung – soll ich studieren? – sei mit Risiken verbunden. Die Empirie zeige, dass sich Kinder vermögender Eltern bei diesen Entscheidungen anders verhielten und dadurch Vorteile im Leben hätten. So seien ihre Einkommenseinbußen bei Arbeitslosigkeit geringer. "Die erwartete Erbschaft wirkt hier wie ein privates Sicherheitsnetz, das zusätzlich zum staatlichen wirkt."

Christof Kastner, geschäftsführender Gesellschafter der Kastner-Gruppe, empfindet sein Erbe als Freude und Bürde zugleich. Substanzsteuern lehnt er ab.
Foto: Wolfgang Simlinger

Konkrete Ausgestaltung

Viele Länder in Europa haben eine Form von Erbschaftssteuer, einige haben sie aber auch abgeschafft. Darunter Schweden, was als Beispiel gelegentlich in Diskussionen auftaucht. Nach dem Motto: Wenn sogar eine egalitäre Gesellschaft wie Schweden diese Steuer abschafft, dann muss sie ungerecht sein. Nur ist der Fall Schweden, wie so oft, ein Stück komplizierter. "Die Erbschaftsteuer war eine verhasste Steuer", erklärt Daniel Waldenström von der Universität Uppsala. Das lag nicht nur daran, dass Erbschaften emotional behaftet sind, sondern auch an den Details der Steuer. Der Freibetrag lag bei nur etwa 7000 Euro, gleichzeitig wurden Betriebsvermögen ausgenommen, was viele Möglichkeiten für kreative Gestaltung ergab. "Letztlich zahlte diese Steuer nur der Mittelstand." Das kann nicht funktionieren. Dementsprechend wurde die Steuer 2004 abgeschafft.

Man muss klar sagen: Es gibt natürlich auch Sachargumente gegen eine Erbschaftssteuer. Sie birgt die Gefahr, dass man so viele Ausnahmen und Freibeträge einräumen muss, dass am Ende hauptsächlich Verwaltungsaufwand übrig bleibt. Es gibt die große Frage, wie man mit Betriebsvermögen umgeht. "Es ist ein Fortschritt, wenn wir Erbschaftssteuern nicht entlang eines starren Ja-Nein-Schemas diskutieren", sagt Sofie Waltl, Ökonomin an der WU. Es komme sehr stark auf die Ausgestaltung an. Für viele Probleme gebe es gute Lösungen wie etwa Stundungen. "Die Frage sollte also eher sein: Wenn wir uns für eine Erbschaftssteuer entscheiden, wie kann sie konkret ausschauen?"

Nicht mehr, sondern anders

Die Diskussion um Erbschaftssteuern ist eine der Debatten, wo das traditionelle Rechts-links-Schema noch passt. Menschen aus dem linken politischen Spektrum sehen Erbschaften meist als leistungsloses Einkommen und eine Steuer darauf als Beitrag zur Gerechtigkeit. Unter Bürgerlichen und in der FPÖ wird die Steuer mehrheitlich abgelehnt. Auch, weil man vielfach neue Steuern insgesamt ablehnt.

Selbst die meisten Ökonomen sagen eher: Es geht nicht um höhere, sondern um andere Steuern. "Österreichs Abgabensystem braucht große, aufkommensneutrale Strukturreformen", sagt Margit Schratzenstaller, Budgetexpertin am Wifo. Werde primär auf Steuererhöhungen gesetzt, reduziere das den Druck, diese Reformen umzusetzen. Einzelne Steuern wie umweltbezogene Steuern oder die Grund- und Erbschaftssteuer sollten durchaus erhöht beziehungsweise eingeführt werden. "Mit den zusätzlichen Einnahmen sollten aber die Abgaben auf Arbeit gesenkt werden." Also quasi den Mix verändern.

Wer sich versucht, dem Thema Erbschaftssteuer zu nähern, der kann viele Chancen und Vorteile, aber auch einige Gefahren entdecken. Nicht zuletzt die, diese – vom Umfang her verhältnismäßig kleine – Steuer mit Erwartungen zu überfrachten. "Wir wissen aus der Empirie, dass Erbschaftssteuern dem Wachstum und dem Kapitalaufbau verhältnismäßig wenig schaden", sagt Schratzenstaller. Sie warnt aber auch davor, sich in Einzelsteuern zu verbeißen. "Die Frage sollte sein, wie ich ein nachhaltiges Gesamtsteuersystem gestalte, das als gerecht empfunden wird. Darin kann eine Erbschaftssteuer ein Baustein sein." Nicht mehr, aber auch nicht weniger. (Jonas Vogt, 12.2.2023)