Fleischmann arbeitet seit 20 Jahren für die ÖVP, er begleitete Sebastian Kurz auf allen Stationen, nun sitzt er in der türkisen Parteizentrale.
Foto: Christian Fischer

Der Mythos, der sich um Gerald Fleischmann rankt, beginnt mit dem ersten Tag seines Lebens: Es ist unklar, wann er geboren wurde. So zumindest erzählt er es. Fleischmann, der berüchtigtste Mann der österreichischen Medienbranche, sitzt an einem Tisch in einem Wiener Kaffeehaus, rahmenlose Brille, freundliches Lächeln. Vor ihm steht eine Tasse heiße Schokolade, daneben liegt sein neues Buch Message Control. Auf 300 Seiten beschreibt er Mechanismen, wie die Politik Berichterstattung beeinflussen kann. "In meiner Geburtsurkunde steht, dass ich am 23. Oktober zur Welt kam", sagt er. "Aber meine Eltern sind sich sicher, dass es sich dabei um einen Fehler handelt." Sie seien überzeugt, dass ihr Kind am 24. Oktober 1973 entbunden worden sei – und dass die Ärzte das Datum falsch notiert hätten.

Anerkannt und verachtet

Unklar ist somit auch, welches Sternzeichen Fleischmann zugerechnet wird. Der Wechsel zwischen Waage und Skorpion findet genau zwischen diesen beiden Tagen statt. "Ich kann beide Horoskope lesen und mir das bessere aussuchen", sagt er und lacht. "Aber natürlich glaube ich daran nicht."

Gerald Fleischmann ist in der Medienszene anerkannt und verachtet zugleich. Er war der Exekutor der türkisen Message-Control, jener enge Vertraute des damaligen Kanzlers Sebastian Kurz, der die Botschaften der ÖVP entwickelte, sie zuspitzte und in die Medien peitschte. Gelang das nicht so, wie er wollte, war sein Mittel die Intervention. Dann rief er in den Redaktionen an – bevorzugt gleich direkt bei ranghohen Redakteuren – und baute Druck auf. "Steuern über Angst", nennt jemand, der früher mit ihm gearbeitet hat, Fleischmanns Erfolgsrezept. Der Chefkommunikator von Kurz galt als talentiert, rastlos, gut vernetzt und ungehalten.

Ein Auszug aus dem Buch:

"Man kann natürlich auch aus eigener Kraft ein Momentum kreieren. Die Agenda wird zwar in der Regel von den Medien gesetzt, aber es können auch die Akteure selbst aktives Agenda-Setting betreiben, indem man die eigentliche Funktion der Medien aushebelt und durch aktive Kommunikation die Agenda bestimmt." Gerald Fleischmann, "Message Control"

Zu dem Termin im Kaffeehaus hat er einen DIN-A4-großen Zettel mitgenommen, den er gefaltet in der Innentasche seines Sakkos verwahrt. Regelmäßig zieht er ihn hervor, faltet ihn gemächlich auf und verliest seine eigenen Notizen. Fleischmann hat sich aufgeschrieben, was er jedenfalls sagen möchte – und wozu er sich nicht äußern will. In der Inseratenaffäre, die Kurz zu Fall brachte, wird auch Fleischmann als Beschuldigter geführt. Einvernommen sei er noch nicht worden – und bloß einer von vielen Beschuldigten. Zettel raus, leider, mehr könne er dazu nicht sagen.

Ein weiterer Buchausschnitt:

"(...) Im Englischen wird das ‚question dodging‘ genannt. Hier gibt es sechs Stufen, wie man einer Frage möglichst elegant ausweichen kann, ohne peinlich zu wirken. Erstens: Die Frage komplett ignorieren. Das ist freilich sehr plump. Könnte vielleicht doch peinlich wirken. (...) Fünftens: Greifen Sie den Fragesteller an, weil er unfair ist: ‚Es ist wieder typisch, dass ausgerechnet Sie diese Frage stellen."

Während der Pandemie führte Fleischmann als Moderator durch viele Pressekonferenzen – auf dem Bild mit Nehammer (damals Innenminister), Kanzler Kurz und Gesundheitsminister Rudolf Anschober.
Foto: Matthias Cremer

Zurück in der Parteizentrale

Fleischmann hat aber auch eine andere Seite. Innerhalb der ÖVP können sich viele kaum erklären, warum er so umstritten ist. Er sei ein angenehmer, netter und auch lustiger Kollege. "Eigentlich so ein Typ Bär", sagt eine Türkise. Nach dem Abgang von Kurz wechselt Fleischmann zuerst in den Parlamentsklub der ÖVP. Vergangenen November holt ihn Kanzler Karl Nehammer als Kommunikationschef in die Parteizentrale zurück. "Comeback der Message-Control im Kanzleramt", lautete eine der Schlagzeilen zu seiner Bestellung. Aber: Stimmt das?

"Seit November habe ich kein einziges Mal interveniert", beteuert Fleischmann jedenfalls selbst, fast stolz. Heute, mit Abstand, sehe er so manches anders. "Es ist bestimmt nicht immer alles richtig gelaufen", sagt er.

Man fragt sich: Wer ist der Mann? Wie tickt Fleischmann, der nicht nur zum engsten Beraterstab von Kurz, sondern nun auch zu jenem von Kanzler Nehammer gehört? Oder hat er auch seine eigene Rolle bloß geschickt vermarktet?

In seinem Buch schreibt er:

"Jeder oder zumindest viele haben eine Leiche im Keller. (...) Ab und zu passiert es aber, dass man weiß, dass es rauskommen wird. (...) Wenn man den Zeitpunkt selbst noch in der Hand hat, dann empfiehlt sich eine ‚kontrollierte Sprengung‘. Das heißt, man veröffentlicht den Mist selbst, aber kontrolliert. Nämlich in einem Medium oder mit einem Journalisten, dem man vertraut und von dem man weiß, dass er die Story nicht als riesige Sensation bringen wird. Und auch mit dem richtigen Spin, damit es nicht ganz so schlimm ausfällt."


Kurz und der Mann an seiner Seite: Fleischmann (links).
Foto: Heribert Corn

Fleischmann wächst im Burgenland auf, wo seit Mitte der 1960er-Jahre die Sozialdemokraten den Landeshauptmann stellen. "Ich wurde bürgerlich erzogen", erzählt er. Die Großeltern mütterlicherseits seien Bauern gewesen, väterlicherseits "ein Universitätsprofessor und eine Lehrerin". Politisch interessiert sei er schon immer gewesen, sagt Fleischmann. Karriere hatte er aber eine ganz andere im Kopf: Er war Musiker, der Leadsänger einer Band. "Mir war eigentlich klar, dass ich irgendwann ein internationaler Rockstar werde. So wie U2 oder Nirvana." Er lacht, dann nimmt er noch einen Schluck Kakao.

Die Bühne anzünden

"Think big!" heißt ein Kapitel seines Buchs. Er beschreibt darin szenisch, wie Nehammer einst haderte, ob es wirklich vernünftig sei, nach dem Angriff auf die Ukraine nach Moskau zu reisen, um Russlands Präsidenten Wladimir Putin zu treffen. Den Besuch trat Nehammer im April 2022 an. Er wurde kontrovers besprochen, diplomatisch betrachtet, war er ergebnislos.

Einst hat Fleischmann bei einem Auftritt eine ganze Bühne in Brand gesteckt. Er wollte sein Mikrofon anzünden – wie Jimi Hendrix seine Gitarre. In eine Flasche für Küchenreiniger füllte er Benzin und übergoss das Equipment. Seine Hose fing Feuer, dann auch anderes Bühnenmaterial. "Eine ziemliche doofe Aktion", sagt Fleischmann heute.

Er studierte Politik- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien, machte ein Praktikum beim STANDARD, wurde freiberuflicher Journalist. Dann wechselte er die Seite: 2003 dockte Fleischmann bei der ÖVP Niederösterreich an. "Das war ziemlich Bootcamp-mäßig damals", sagt er. Es sei viel gearbeitet und verlangt geworden, aber dann auch gefeiert. So wuchs er in die Volkspartei, wurde Bundesparteisprecher, 2011 beorderte ihn der damalige ÖVP-Chef Michael Spindelegger zu Kurz ins Integrationsstaatssekretariat. "Ich war der Mann für schwierige Fälle", sagt Fleischmann – und Kurz damals der jüngste Staatssekretär der österreichischen Geschichte, dem zu Beginn nicht viel zugetraut wurde.

Noch ein Auszug aus dem Buch:

"Das Stilmittel der Empörung wird bewusst eingesetzt, um ein Thema, das einem Mitbewerber schadet, hochzupushen. Je mehr Empörung das für den Gegner schädliche Thema auslöst, ob authentisch oder künstlich, desto mehr Aufmerksamkeit erhält es und desto mehr Schaden richtet es für den Mitbewerber an. Daraus hat sich auch eine eigene Dienstleistung entwickelt: Zur Bewerbung eines für den Gegner schädlichen Themas werden Leute dafür bezahlt, die sich künstlich empören und aufgeregte Postings und Tweets absetzen. Das nennt man ‚Trolling‘."

Fleischmann hatte zuerst wenig Interesse an dem Job bei Kurz, wurde aber schnell zu einem von dessen engsten Mitarbeitern. "Sebastian Kurz war extrem überzeugungs- und durchsetzungsstark", sagt er. Als Sprecher wechselte Fleischmann mit ihm ins Außenministerium, er gilt als eines der Masterminds hinter Kurz’ Übernahme der ÖVP. 2017 zog sein Chef ins Kanzleramt ein, er wurde stellvertretender Kabinettschef und Leiter der neu geschaffenen Stelle für strategische Kommunikation.

Nehammer hat Fleischmann wieder in die ÖVP-Zentrale geholt.
Foto: APA/Neubauer

Slogans und Bilder

Die Rolle Fleischmanns werde überschätzt, sagen manche, die mit ihm zu tun hatten. Für politische Strategien und Inhalte seien im Team von Kurz andere zuständig gewesen: Stefan Steiner, Bernhard Bonelli. Fleischmanns Aufgabe war es, Slogans zu entwickeln und damit Bilder in den Köpfen der Menschen zu zeichnen, die hängen bleiben. "Das Beste aus beiden Welten" – den vielzitierten Spruch nach der Bildung der türkis-grünen Koalition hält Fleischmann selbst für eine seiner besten Kreationen. Die "Message-Control", behauptet er, sei aber weniger Teil eines großen Plans gewesen. "Das ist entstanden", sagt Fleischmann.

Insbesondere in der Zeit der Pandemie hat die ÖVP durch bewusste Leaks während innerkoalitionärer Verhandlungen versucht, deren Ergebnisse zu beeinflussen. Davon sind jedenfalls viele Grüne überzeugt. Der Kern der türkisen Message-Control betraf aber die Außenwelt: Durch das gezielte Streuen von Informationshappen an gewisse Medien sollten in der Ära Kurz Botschaften mit dem richtigen Spin in die Welt gesetzt werden.

An einer Stelle wird in dem Buch eine offenbar gängige politische Ablenkungstaktik durch das Streuen von "Unsinn" beschrieben:

"(...) Das führte dazu, dass sich im Regierungsteam der Begriff ‚SNU‘ (‚strategisch notwendiger Unsinn‘, Anm.) einbürgerte – als Bezeichnung für die Taktik, wöchentlich neue SNU-Themen zu suchen und zu setzen. Oft funktionierte das nicht, aber ab und zu. Dazu gehörten vor allem Themen im Bereich Klima- und Umweltpolitik, wie etwa ein Streit zwischen den Regierungsparteien darüber, ob der Klimaschutz eher durch Fortschritt oder durch Verzicht umgesetzt werden würde."
Gerald Fleischmann, "Message Control. Was Sie schon immer über Politik und Medien wissen wollten".€ 26,– / 300 S. Edition A, Wien 2023
Foto: Verlag

Im gedanklichen Bunker

Heute gibt sich Fleischmann reflektiert: "Fast alle Politiker und ihre engsten Mitarbeiter enden irgendwann im gedanklichen Bunker", sagt er. "Auch wir" – damit meint er Kurz, sich und die anderen. "Irgendwann wird man dünnhäutig, bekommt das Gefühl, dass alle gegen einen sind", sagt Fleischmann. Die Ermittlungen, Kurz’ tiefer Fall, das alles habe ihn verändert, sagen manche, die ihn kennen. Nehammer fährt eine weniger aggressive Kommunikationsstrategie – und mit ihm eben der Auftragstäter Fleischmann, glauben die anderen.

In vielen türkisen Ministerien wird Fleischmann, der auch weiterhin Kontakt zu Kurz pflegt, geschätzt: Die Kommunikation der ÖVP sei durch ihn professioneller, die Koordination zwischen den Ressorts besser geworden. In Umfragen liegt die ÖVP derzeit auf Platz drei – hinter der FPÖ und der SPÖ.

Am Ende des Gesprächs holt Fleischmann noch einmal seinen Zettel hervor. "Eigentlich sollte das Buch letztes Jahr im Dezember erscheinen", sagt er – es hätte der Startschuss für eine neue Karriere fern der Volkspartei werden sollen. Dann wurde er überraschend in die Parteizentrale befördert. So habe das Buch etwas warten müssen.

"Keep enemies closer"

Im Kanzleramt geht Fleischmann inzwischen wieder regelmäßig ein und aus. Bei wichtigen Strategiesitzungen ist er dabei. Fleischmann soll helfen, dass die ÖVP unter Nehammer wieder Profil gewinnt. Manche – auch innerhalb der Volkspartei – vermuten, dass Nehammer Fleischmann auch deshalb geholt habe, um das verbliebene türkise Lager rund um Kurz unter Kontrolle zu halten. "Keep your friends close, but your enemies closer" heißt eine Strategie, die Fleischmann in seinem Buch beschreibt.

Er ist nicht der einzige Stratege in der Volkspartei. (Katharina Mittelstaedt, 11.2.2023)