Ein Jahr vor der Nationalratswahl stellt sich die Frage, wer die SPÖ an der Spitze vertritt. Einigkeit in der Partei gibt es nicht.

Foto: Imago/ APA (3)

Jede Partei hat ihr Thema: Umweltschutz wird mit den Grünen verbunden. Migration mit den Freiheitlichen. Die SPÖ würde ihre Themenführerschaft aber gerne loswerden: Sie ist für ihre Vorsitzdebatte bekannt. Kaum ein Interview mit rotem Politikpersonal kommt ohne die Frage aus, ob Parteichefin Pamela Rendi-Wagner die Sozialdemokratie auch in die nächste Nationalratswahl führen soll.

Im Wahlkampf ist das besonders unangenehm. Das spürt derzeit Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser. Der hatte in einem verzweifelten Versuch, die Debatte zu beruhigen, ein rotes Schattenkabinett ins Spiel gebracht. Verstanden wurde das als Plädoyer für eine Doppelspitze aus Rendi-Wagner und dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil – also Rendi-Wagners größtem Widersacher, der die Chefinnendebatte am Köcheln hält. Kaiser wies die Interpretation zurück. Aber spätestens 2024 wird ein neuer Nationalrat gewählt – und die SPÖ braucht eine Person, die sie wieder in die Regierung führen könnte. Bloß: Wer?

Pamela Rendi-Wagner hat in der Zeit ihres Vorsitzes vor allem Durchhaltevermögen bewiesen.
Foto: Imago / Michael Indra

Pamela Rendi-Wagner

Seit 2018 führt Pamela Rendi-Wagner die SPÖ durch viele Tiefen. Bei der Nationalratswahl 2019 stürzten die Sozialdemokraten auf 21 Prozent ab. Es war das schlechteste Ergebnis in der roten Geschichte. Rendi-Wagner wurde seither etliche Male politisch totgesagt und beinahe abgesägt. Doch sie hielt sich konsequent.

An ihrer Seite stand stets die mächtige Wiener Landespartei – allen voran Bürgermeister Michael Ludwig und die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures. Diese Allianz einzugehen war die strategisch klügste Entscheidung der studierten Medizinerin und politischen Quereinsteigerin: Jener Zirkel der SPÖ, der sich einst um Kanzler Werner Faymann scharte, suchte den Weg zurück an die innerparteiliche Macht – und fand in Rendi-Wagner, die nach dem Abgang von Christian Kern überraschend Parteichefin wurde, eine Verbündete.

Bis zuletzt hatte es schon fast so ausgesehen, als hätte Rendi-Wagner – allen Unkenrufen zum Trotz – das Ruder herumgerissen. Ende 2021 stieg die SPÖ in Umfragen auf und führte sie viele Monate an. Rendi-Wagner und ihr Team fühlten sich endlich bestätigt. Doch dann trat die FPÖ ihren Feldzug an. Und spätestens seit der Landtagswahl in Niederösterreich Ende Jänner ist klar: Die Freiheitlichen können wieder Wahlen gewinnen. Die FPÖ wurde hinter der ÖVP Zweite – mit einem Plus von fast zehn Prozentpunkten, während die niederösterreichische SPÖ viele Stimmen verlor.

Das liege auch an der schwachen Führung der Bundespartei, urteilten viele. Seitdem hat Rendi-Wagner – wieder mal – ein Problem. Die meisten Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten rechnen damit, dass spätestens wenn die Landtagswahlen in Kärnten und Salzburg geschlagen sind, der rote Machtkampf in seine letzte Runde geht. Kärnten wählt am 5. März, Salzburg am 23. April.

Doch eines schreiben Rendi-Wagner selbst ihre Gegner zu: Sie besitzt ein Durchhaltevermögen, man kann auch sagen: eine Leidensfähigkeit, wie sonst kaum jemand in der österreichischen Spitzenpolitik. Sie wird sich auch in Zukunft nicht einfach zur Seite räumen lassen.

Dass der Wiener Bürgermeister an Rendi-Wagner als SPÖ-Chefin festhält, liegt wohl auch daran, dass er den Job nicht machen will – auch wenn er von manchen bekniet würde. Und immer wieder ins Spiel gebrachte Kandidaten aus seinem Regierungsteam kommen nicht infrage: Finanzstadtrat Peter Hanke hat sich mit dem Wien-Energie-Skandal beschädigt; Sozialstadtrat Peter Hacker gilt als unkontrollierbar.

Hans Peter Doskozil macht keinen Hehl daraus, dass er gerne mehr wäre als Landeshauptmann des Burgenlands.
Foto: APA / Hans Klaus Techt

Hans Peter Doskozil

Hans Peter Doskozil will Spitzenkandidat bei der kommenden Nationalratswahl werden – und er ist überzeugt davon, dass er das auch kann. Er hat konkrete Vorstellungen, wie er die Partei in eine Wahlauseinandersetzung führen würde, wie Politik zu machen sei und wie eine Regierung aussehen sollte. Anders als die jetzige Parteispitze, die sich fast alle Optionen offenhält, macht Doskozil keinen Hehl daraus, dass er eine Koalition mit Grünen und Neos anstreben würde.

Die ÖVP kommt für ihn als Koalitionspartner nicht infrage, mit den Freiheitlichen wäre es jedenfalls schwierig. Auf Landesebene hat er zwar gute Erfahrungen mit der FPÖ gemacht, auf Bundesebene und mit Herbert Kickl sei die Situation aber doch eine andere, ist aus dem Burgenland zu hören.

Doskozils Streben nach der Macht ist auch von einer Abneigung gegenüber Rendi-Wagner getragen. Er hält sie für ungeeignet, die SPÖ anzuführen. Und viele Unterstützer, die ihn umgeben, sehen das ähnlich: zu viele leere Luftblasen, zu wenig inhaltliches Engagement – und zu Wien-zentriert sei sie.

Mit dem Anspruch, auch den Bundesländern wieder mehr Gewicht in der Bundespartei zu verleihen, versucht Doskozil, Unterstützer in den Ländern dazu zu bringen, offen an seine Seite zu treten. Doskozils Umfeld ist überzeugt, dass er im Fall einer internen Kampfabstimmung eine Mehrheit hätte. Derzeit würden sich viele, die ihn insgeheim längst stützen, einfach noch nicht aus der Deckung wagen.

Die Freiheitlichen räumen in Niederösterreich bei Menschen ohne Matura und bei den Einkommensschwachen ab. Warum schaffen es SPÖ und Grüne nicht, diese Gruppen anzusprechen? Eine Expertenrunde diskutiert.
DER STANDARD

Wie eine Abstimmung im Parteivorstand tatsächlich ausfallen würde, lässt sich schwer abschätzen. Aus derzeitiger Sicht ist eine Mehrheit für Doskozil schwer vorstellbar, bei vielen führenden Parteifunktionären steht er im Verdacht, wenig zuverlässig und zu emotionsgetrieben zu sein. Doskozil selbst hat bereits eine Mitgliederbefragung in den Raum gestellt – offenbar rechnet er sich bei einer breiteren Basis größere Chancen aus als im Funktionärszirkel der SPÖ.

Sein größtes Handicap ist die mächtige Wiener Landesorganisation, die ihm skeptisch bis ablehnend gegenübersteht. Bürgermeister Ludwig hat sich unlängst erneut demonstrativ hinter Rendi-Wagner gestellt. Diese Achse zwischen Wiener Rathaus und Bundesparteizentrale ist die politische Lebensversicherung der SPÖ-Chefin – die jedoch auch aufgekündigt werden könnte. Sollten Ludwig und Doskozil zusammenfinden, dann wäre Rendi-Wagner Geschichte. Nicht auszuschließen ist aber auch, dass sich die Parteigranden auf eine dritte Person einigen. Damit wären etwa Christian Kern, Doris Bures oder neuerdings auch Alexander Wrabetz im Spiel.

Christian Kern war schon einmal roter Kanzler und schließt nicht aus, es noch einmal zu probieren.

Foto: APA / Roland Schlager

Christian Kern

Ex-Kanzler Christian Kern schließt nichts aus – weder ein neuerliches Engagement in der SPÖ noch ein Engagement bei einer unabhängigen Initiative, die das bisherige Parteiensystem aufbrechen würde, wie er sagt. Aber er strebe beides nicht an und halte beides für nicht sehr wahrscheinlich. Fakt sei aber, dass ihn immer wieder Anfragen erreichen. Aus der SPÖ oder aus "Teilen der SPÖ", wie er es formuliert – und auch von Initiativen außerhalb der SPÖ. Er habe gelernt, niemals "Nie wieder" zu sagen.

Doch so wie auch er selbst es einschätzt, sei er in der SPÖ nicht mehrheitsfähig. Es gebe zu viele Funktionäre, die ihn nicht mehr wollen, und auch in den Führungszirkeln der SPÖ sei er nicht bei jedem gut angeschrieben. Ein wenig mag das auf Gegenseitigkeit beruhen.

Seinen holprigen Rückzug als Vorsitzender der SPÖ im September 2018 halten ihm einige bis heute vor. Die Partei war auf seinen Rücktritt nicht vorbereitet, die Suche nach einem Nachfolger verlief chaotisch. Rendi-Wagner, seine Nachfolgerin, hatte er als Gesundheitsministerin in die Politik geholt. Mittlerweile steht Kern RendiWagner jedoch skeptisch gegenüber. Die SPÖ müsse eine glaubhafte Führungsfigur finden, sagt Kern, er würde einen Machtwechsel in der Partei unterstützen. Doskozil halte er für eine gute Wahl, allerdings ist sich Kern nicht sicher, ob es Doskozil gelingen würde, die Widerstände gegen ihn in der Partei zu überwinden.

Ein Engagement außerhalb der Partei hält Kern für ein interessantes Projekt. Dass der Politik derzeit nicht zugetraut werde, Probleme zu lösen, und dass noch niemand eine Antwort gefunden habe, wie man mit den Freiheitlichen umgehen könne, seien entscheidende Themen. Darüber habe er auch mit Leuten aus anderen Parteien geplaudert. Einen konkreten Plan oder entsprechende Treffen habe es aber nicht gegeben.

Alexander Wrabetz taktierte schon im ORF.
Foto: APA / Axel Halada

Alexander Wrabetz

Wenn Alexander Wrabetz tatsächlich Ambitionen auf den SPÖ-Vorsitz hat, dann weiß er sie geschickt zu verbergen. Ein neuer Job als Parteichef sei derzeit wirklich "kein Thema", sagt Wrabetz dem STANDARD: Er sei als Rapid-Präsident vollkommen ausgelastet und halte Rendi-Wagner auch für die richtige Parteivorsitzende und Spitzenkandidatin.

Dass ihn mehrere Medien zuletzt als möglichen Nachfolger Rendi-Wagners ins Spiel gebracht haben, scheint dem bekennenden Sozialdemokraten fast unangenehm zu sein – wiewohl es als offenes Geheimnis gilt, dass Wrabetz im Fall einer roten Regierungsbeteiligung Anwärter für ein Ministeramt wäre. Der langjährige ORF-Generaldirektor ist erst 2021 von einer rechten Mehrheit im Stiftungsrat abgewählt worden. Dass das Präsidentenamt im Fußballverein der letzte Job des 62-Jährigen bleibt, ist unwahrscheinlich.

Ihm wohlgesonnene Genossen argumentieren: Wrabetz hat es 2006 im ORF-Stiftungsrat geschafft, rote, blaue, grüne und orange Stimmen auf sich zu vereinen. Das zeuge von politischem Geschick – und der Fähigkeit, auch eine Partei wie die SPÖ zu einigen.

Gleichzeitig gilt Wrabetz nicht als Strahlemann. Jemand, der ihn kennt, stellt auch infrage, ob Wrabetz den Job überhaupt will: Vor einer Wahl in die Bierzelte zu müssen oder sich mit Herbert Kickl in eine Fernsehschlammschlacht zu begeben, das sei wohl nichts für ihn.

Dass der Ex-ORF-General als ernstzunehmender Kandidat gilt, zeigen die Reaktionen auf die Gerüchte um ihn: Der Krone steckten angebliche "rote ORF-Insider" Informationen zu Wrabetz’ "Luxuspension". Das griff die ÖVP gerne auf – offenbar hält man es dort für eine gute Idee, einem möglichen Konkurrenten besser schon vorsorglich ein gewisses Image zu verpassen. (Sebastian Fellner, Katharina Mittelstaedt, Michael Völker, 11.2.2023)