Der frühere Finanzminister Karl-Heinz Grasser vor Gericht.

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Vor 19 Jahren wurden die Bundeswohnungen (Buwog und Co) in der Ära von Finanzminister Karl-Heinz Grasser privatisiert – und nun löst das Thema Spannungen in der schwarz-grünen Koalition und hitzige Debatten unter Juristen aus. Denn der Verfassungsgerichtshof (VfGH) wird sich mit der Frage beschäftigen, wie lange Verjährungen durch Ermittlungen und Gerichtsverfahren gehemmt werden können. Während die ÖVP hier Reformen fordert, verteidigt Justizministerin Alma Zadić (Grüne) die aktuelle Regelung, die bei laufenden Ermittlungen keine Verjährungen vorsieht. Auch die Staatsanwältevereinigung will keine Änderungen.

Wie es zu der Debatte kam: Die Beschuldigten in der Causa Buwog rund um Grasser, etwa der Ex-Lobbyist Walter Meischberger oder ein Wirtschaftsprüfer, haben ja wie berichtet Rechtsmittel gegen ihre erstinstanzliche Verurteilung eingebracht und dabei auch den VfGH angerufen.

Sie wehren sich in ihrem Parteienantrag unter anderem gegen eine Verordnung der Justizministerin, durch die in der Corona-Zeit bestimmte Fristen im Prozess unterbrochen wurden, und argumentieren, dass diese verfassungswidrig sei. Zudem wollen sie Bestimmungen rund um die Verjährung von Delikten gekippt wissen. Das Strafgesetzbuch (StGB) sieht vor, dass die Verjährungsfrist zum Beispiel ab dem Zeitpunkt nicht mehr läuft, ab dem ein Beschuldigter erstmals vernommen wurde (Paragraf 58 Absatz 3 Z2).

Deutschland als Vorbild

Am Beispiel des genannten Wirtschaftsprüfers: Er wurde 2010 erstmals als Beschuldigter wegen des Vorwurfs der Beweismittelfälschung einvernommen, dieses Delikt verjährt nach fünf Jahren. Der Strafprozess begann dann erst Ende 2017, und das schriftliche Urteil erging im Jänner 2022 – und damit rund dreizehn Jahre nachdem der Berater Hauptangeklagten im Jahr 2009 mit seinen Steuertipps zur Seite gesprungen war. Ohne Ermittlungsschritte wäre die Sache also 2014 verjährt gewesen und damit strafrechtlich ohne Folgen geblieben.

Dass es eben ganz anders gekommen ist, darin sieht der Anwalt des Wirtschaftsprüfers, Oliver Scherbaum, einen Verstoß gegen das in der Menschenrechtskonvention (EMRK) verankerte Recht auf ein faires Verfahren: "Es muss eine absolute Verjährung geben. Es kann nicht sein, dass ein Verfahren ewig weitergeht, wenn jemand einmal vernommen wurde." Er bezieht sich dabei auch auf die deutsche Regelung: Dort tritt die absolute Verjährung dann ein, wenn es bis zum Ablauf der doppelten Verjährungsfrist zu keiner Verurteilung gekommen ist. Notabene: Bei manchen Delikten wie Mord gibt es freilich keine Verjährung.

Sollte der VfGH auch dieser Rechtsansicht sein, wären die Folgen massiv. Die Gesetzesbestimmung im StGB müsste gekippt werden – und der Oberste Gerichtshof (OGH), den Grasser und Co auch angerufen haben, müsste jedenfalls die Antragsteller wie den genannten Wirtschaftsprüfer freisprechen.

Justizministerium gegen Verfassungsministerium

Und wie kommt nun die Politik ins Spiel? Der VfGH holt bei derartigen Verfahren eine Stellungnahme der Bundesregierung ein. Die kann, muss aber nicht antworten – und das hat sie bisher auch noch nicht getan. Genau das sorgt nun aber für innerkoalitionäre Irritation, wie zuerst der "Kurier" berichtet hat. Für das StGB ist das Justizministerium unter Alma Zadić (Grüne) zuständig, und dort wie im Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts gibt es auch schon vorbereitete Stellungnahmen, die die bestehende rechtliche Regelung quasi verteidigen. Die Fachexperten finden also, dass bei der Verjährung nichts geändert werden soll.

Bis jetzt wurden diese Stellungnahmen aber nicht an den VfGH übermittelt – und so, wie es aus dem Büro von Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) zu hören ist, wird es auch bis zum Ende der Äußerungsfrist am 28. Februar nicht dazu kommen. Denn es sei "nicht sinnvoll, die aktuelle Rechtslage zur Verjährungshemmung zu verteidigen", heißt es aus Edtstadlers Büro. Die Ministerin will ja mit Zadić das Strafverfahren reformieren und so für eine verkürzte Verfahrensdauer und die Stärkung von Beschuldigtenrechten sorgen. "Genau das ist ein Punkt, an dem eine breiter angelegte Reform anknüpfen könnte", meint ein Sprecher im Zusammenhang mit der Verjährungsfrist.

Reform "über die Hintertür"?

Im Justizministerium sorgt das – siehe oben – für Unruhe. Sollte der VfGH die Gesetzesbestimmung kippen und man sich nicht auf eine andere Regelung einigen, könnten auch andere prominente Fälle flugs verjähren – bei denen die Ermittlungen lange dauern, weil zum Beispiel aufwendige Datenauswertungen nötig sind. Statt politisch über eine Reform zu verhandeln, wolle die ÖVP eine Gesetzesänderung "über die Hintertür" erreichen, so die Kritik. (Renate Graber, Fabian Schmid, 22.2.2023)