Jean (Michael Maertens) wartet auf seine temperamentvollen Geschwister.

Foto: Matthias Horn

Es war nur eine Frage der Zeit, bis Yasmina Rezas Roman Serge (2022) auch am Theater auftaucht. Die Romanfreudigkeit des Theaters ist bekannt, und zum anderen ist da eine Bestsellerautorin, die den Komödiendreh raushat. Eine ARD-Hörspielfassung existiert bereits, im März feiert das Düsseldorfer Schauspielhaus seine Premiere. Schneller war nur das Burgtheater, das seit Donnerstag mit der Uraufführung einer eigenen Bühnenfassung winken kann. Der Applaus war wohlwollend, gelungen ist die Inszenierung aber nicht.

Nicht alles, wo Yasmina Reza draufsteht, ist zwangsläufig theatertauglich. Die erfolgreiche Dramatikerin (Drei Mal Leben, Der Gott des Gemetzels) hat die tragikomischen Geschehnisse in einer impulsiven Pariser Familie aus guten Gründen in Prosaform verfasst. Drei Geschwister in den besten Jahren haben darin mit sich selbst und den verwandtschaftlichen Anforderungen über die Generationen hinweg zu kämpfen.

Höhepunkt der Eskalationen ist ein gemeinsamer, nicht für alle Beteiligten freiwilliger Besuch im Vernichtungslager Auschwitz. Joséphine (Lilith Häßle), Tochter der Titelfigur Serge (Roland Koch), hat ihn initiiert, um den dort ermordeten Verwandten Tribut zu zollen und sich der eigenen jüdischen Familiengeschichte zu stellen. Sonst hatte dies bisher keiner getan.

Omas Einäscherung

Vom Lebendighalten der Erinnerung und dem Darüberreden hielten die Großeltern nichts. Manch bitterböser Witz verbirgt sich in der Schilderung derselben. So hat Oma zum Entsetzen von Joséphine für ihr Ableben eine Einäscherung verfügt. Mit derlei Schachzügen wischt Reza, selbst Jüdin, der Betulichkeit von Gedenkkultur eins aus.

Wie aber davon am Theater erzählen? Weder die Bühnenfassung noch die Regie von Lily Sykes finden einen überzeugenden Weg. Ergeben die verzweigten Schilderungen der zum Teil bereits verstorbenen Familienmitglieder im Roman noch ein dynamisches Tableau, so kommen im Akademietheater die in einem Warteraum mit vielen Türen stationierten Figuren bei ihren Zeiten- und Schauplatzwechseln ins Straucheln. Erzähler Jean (Michael Maertens), seine Schwester Nana (Alexandra Henkel) und Serge (Koch) spielen sich umsonst die Hacken ab.

Die Erwartungen an den jägergrünen Wartesaal von Bühnenbildner Márton Ágh lösen sich nicht ein. Könnte man in ihm und seinen durchgesessenen Möbeln, sterbewilligen Pflanzen und kalten Snackautomatenlichtern doch die Unbehaustheit der Familienmitglieder gut veranschaulichen. Das gelingt kaum. Plump kommen Szenen gewissermaßen hereingeschoben, wie im Fall des kranken Onkels Maurice (Martin Schwab).

Gipfelnd in Auschwitz

Oder die Inszenierung versucht sich am Tür-auf-Tür-zu-Trick, um etwa in Marions (Häßle) Wohnung zu wechseln, Jeans Ex-Freundin, die er vermutlich weniger liebt als deren kleinen Sohn (bei der Premiere: Maximilian Kreuz) und deren Telefongespräche miteinander jenen unverbindlichen Ton anschlagen, den die Familie schmerzhaft kennzeichnet. Keiner möchte in die Ansprüche des anderen hineingezogen werden, gipfelnd in Auschwitz, das sich in einem gelungenen Szenenschnitt plötzlich als klaffendes schwarzes Loch auftut.

Die sonst bei Reza so wirkungsvolle Balance zwischen Tragik und Komik vermag diese Inszenierung nicht zu erzeugen, weil man schlichtweg weder das eine noch das andere auf der Bühne vorfindet. Sie verbleiben im erzählerischen Bereich verkapselt, in Telefonaten, in Imaginationen, Erinnerungen. Besonders die als Pointen gedachten Szenen, beispielsweise die ausagierten Kindheitserinnerungen mit Wikingerverkleidung, wirken schal.

Nur logisch, dass sich in diesem Gesellschaftsdrama ausgerechnet Jean (Maertens), der schon im Buch der gleichmütige Erzähler war, am wohlsten fühlt. Steht er doch zugleich auch souverän außerhalb dieser weitgehend gleichgültig lassenden Szenenabläufe. (Margarete Affenzeller, 24.2.2023)