Im Gastblog stellt Peter Reischer eine Kirche vor, die von einem Architekturbüro umfunktioniert wurde.

Die Beneluxländer sind Staaten, in denen das Profanieren oder weltliche Weiterverwenden von Kirchengebäuden eher an der Tagesordnung ist als in Österreich. Während bei uns Kirchen – vor allem auf dem Land – still vor sich hin verfallen, werden sie in Belgien einfach um- und weitergenutzt. Aber selbst vielen nichtchristlichen Personen wird unbehaglich, wenn aus einer Kirche eine Diskothek oder ein Gourmettempel wird, in dem die Gäste zwischen gotischen Bögen, Säulen und Kirchenfenstern logieren und speisen. Da ist ein schummriges Gefühl, dass doch irgendwas dran sei an einem Gotteshaus, etwas Heiliges vielleicht? Oder ist es die Empfindung der Vergänglichkeit dessen, was für die Ewigkeit erbaut schien?

Die Kapelle als Büro

Architekten und Architektinnen, die sich an ein derartiges Projekt wagen, legen sich immer eine Strategie zurecht, mit der sie den Schritt in eine neue Realität rechtfertigen können. Das ist auch gut so, denn es fördert das Denken – aber können Bilder und Ergebnisse eines perfekten Designs über ein gewisses Gefühl der Unrichtigkeit hinweghelfen?

Klaarchitectuur, ein belgisches Architektenteam, nutzt für sich selbst eine profanisierte Kapelle als Büro, aber auch als Mehrzweckraum für öffentliche Belange der urbanen Nachbarschaft. Seit über sechs Jahren arbeiten sie bereits in ihrem neuen "Büro" (Fertigstellung 2016). Das Projekt mit dem Namen "De Waterhond" (The Waterdog) ist ein State-of-the-Art-Beispiel eines Arbeitsraumes.

Ein freistehender Kubus inmitten der Kapelle.
Foto: Valerie Clarysse – Flos

In dieser ehemals katholischen Kapelle wird Arbeiten fast zu einem spirituellen Erlebnis. Es ist sicherlich kein einfältiges oder uninteressantes Office. Es ist ein inspirierender Raum, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenfließen und untrennbar miteinander verbunden sind.

Die Substanz erhalten

Ein Grundkriterium für das Projekt war, dass der denkmalgeschützte Bau der Kapelle erhalten bleiben musste, sein historischer Charakter und Ausdruck sollte unangetastet bleiben. Trotz verfallender Mauern, abbröckelnder Farben, abgeblätterter Wandmalereien und der gigantischen (mit heutigen Maßstäben betrachteten) Weite des Kirchenschiffes wollte man keinerlei Veränderungen an der Substanz vornehmen. Jegliche Nachbesserungen hätten mehr Schaden als Nutzen erzielt und eine Minderung der reichen Vergangenheit bedeutet.

Ziel war es, an der Substanz entlang zu arbeiten.
Foto: Toon Grobet

Also stellte man eine völlig neue, von der Kirchenhülle unabhängige Konstruktion ins Innere. Diese steht in einem starken Kontrast mit den alten Wänden, die noch immer die Geschichte der Vergangenheit erzählen. Diese Entscheidung traf man trotz all der Schäden, welche die Zeit bereits angerichtet hatte. Indem nun eine Serie verschiedenster Büroblöcke, Raumkuben und Ebenen in den unterschiedlichsten Höhen übereinandergestapelt wurde, wurde ein Arbeitsbereich geschaffen, der ständig einen Eindruck von Dynamik vermittelt. Dieses Konglomerat spielt sich eher im hinteren Teil des Kirchenschiffes ab. Vorne – dort wo einst der Altar stand – ist ein glänzender, kubischer Nirosta-Block mit Abwasch als Küche positioniert. Und in einem kreuzförmigen Behältnis am Ende des Chors: Mikrowelle und Backrohr.

Mikrowelle und Backrohr finden sich beim ehemaligen Altar.
Foto: Valerie Clarysse – Flos

Bis zur Decke und weiter

Der Einbau steht frei in der Kirche, er lehnt sich nur an die Rückwand an. Die tragende Konstruktion besteht aus Stahlträgern, Fußböden sind trittschallgedämmt, die Wände der einzelnen Boxen isoliert, natürlich nicht in dem Ausmaß, das zustande käme, stünden sie im Außenraum. Geheizt oder gekühlt wird in den einzelnen Boxen mittels Klimaanlage – was man heute sicher nicht mehr so machen würde. Der große Freibereich hat eine Fußbodenheizung. Die Stirnseiten der allesamt weißen Boxen sind mit raumhohen Glasscheiben verschlossen. Durch sie kann man entweder den Innenraum der Kapelle oder die außen liegenden Erschließungstreppen erblicken.

Ein Kubus ragt aus dem Kirchendach heraus.
Foto: Toon Grobet

Es dominieren insgesamt die Farben Schwarz und Weiß, Lichtbänder in den rechteckigen Arbeitsräumen, und in den Nassräumen und WCs sind alle Gegenstände kubisch. Einzig auf der obersten Ebene durchschneiden die Balken des Kirchendachstuhls die Kuben. Man fühlt sich wie in einem Dachausbau mit freiliegendem Gebälk. Hier tritt auch ein Kubus aus dem Dach der Kirche ins Freie hinaus, er ist ebenfalls mit einer Glaswand abgeschlossen und bildet im Außenraum ein Symbol, ein Signal für das innere Geschehen. Auch diese Durchdringung des Kirchendaches wurde von den Behörden anstandslos genehmigt.

Kirche als sozialer Ort

Das Öffnen des historischen Raumes für die Öffentlichkeit war ein wichtiger Ausgangspunkt zu Beginn des Entwurfsprozesses. Das Team von Klaarchitectuur erhebt den Anspruch, mit dieser Öffnung als vielfältig nutzbaren Raum darin auch Events zu veranstalten und so einen Beitrag zur Entwicklung, Verbesserung der Stadt zu erzielen.

Die offenen Räume sollen nicht nur einer Aufgabe dienen.
Foto: Valerie Clarysse – Flos

Sicherlich kann man argumentieren, dass die Kirche in der Vergangenheit eine große Rolle im Leben vieler Menschen in der Stadt gespielt hat und es durch die neuen, in ihr implementierten Funktionen auch weiterhin tun wird. So wird die Architektur der Öffentlichkeit dienen. Und die Philosophie oder der Auftrag eines Architekturbüros ist es schließlich, in den Projekten immer ein akzeptables Ergebnis für den Kunden oder die Kundin – sei es Wohnraum, Büro oder Verkaufslokal – zu realisieren. (Peter Reischer, 23.3.2023)