Der SPÖ droht die Situation vollends zu entgleiten. Die Idee mit der Mitgliederbefragung ist grundsätzlich gut. Basisdemokratie ist zwar anstrengend, dann aber lohnend, wenn man den Beteiligten das Gefühl geben kann, gemeinsam eine Entscheidung zu treffen. Die Einbindung der Parteimitglieder kommt ohnedies zu selten vor, und bei der Frage der Führung mitreden zu dürfen kann sehr motivierend sein: Die Verantwortung tragen am Ende alle, nicht bloß ein paar Delegierte.

Längst nicht mehr die Einzigen, die um den SPÖ-Vorsitz rittern: Parteichefin Pamela Rendi-Wagner und der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil.
Foto: Heribert Corn

So wie das in der SPÖ allerdings läuft, wird das ein Kasperltheater, bei dem sich alle lächerlich machen und die Parteichefin, die jetzige, heruntergemacht wird. Offenbar gibt es ein Dutzend Anwärter, die sich um die Parteispitze bewerben, ein paar in vollem Ernst, ein paar verstehen das als symbolischen Akt. Und dann gibt es wohl ein paar Spaßkandidaten, denen die destruktive Kraft ihres Vorhabens nicht bewusst ist.

Weil Andreas Babler kandidiert, zieht sich Nikolaus Kowall zurück
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Rendi-Wagner in der Mitte

Über Wochen werden die Kandidatinnen und Kandidaten erklären, warum sie sich bewerben. Das richtet sich in erster Linie gegen die amtierende Parteichefin. Wenn etwa Andreas Babler, der sich ernsthaft Chancen ausrechnet, damit argumentiert, dass er für die Menschen da ist, sich nicht kaufen lässt und der SPÖ ihre Kraft und Würde zurückgeben will, dann spricht er Pamela Rendi-Wagner all dies ab. Der eine Kandidat ist zu rechts, der andere zu links, da positioniert sich Rendi-Wagner in der Mitte – und kriegt von rechts und links die Watschen. Sie wird in jedem Fall beschädigt, selbst wenn sie als Erste aus dieser Befragung hervorgehen sollte.

Wird es jemand überhaupt auf mehr als fünfzig Prozent schaffen? Oder tritt ein Gewinner dieser Mitgliederbefragung mit einem dürren Ergebnis von 30 Prozent vor die Delegierten des Sonderparteitags, um sich dort den Segen abzuholen? Übt sich Christian Kern nur jetzt in nobler Zurückhaltung, um die Mitgliederbefragung abzuwarten und sich dann erst recht beim Parteitag als Alternativkandidat zu präsentieren?

Vorgezogene Neuwahlen

Das schaut nicht gut aus, das gefällt in erster Linie der politischen Konkurrenz. Die ist schon am Überlegen: Ist es aus Sicht der ÖVP nicht schlau, in vorgezogene Neuwahlen zu gehen? Viel besser wird es nicht. Je früher gewählt wird, umso geringer stehen die Chancen, dass die SPÖ auf die Beine kommt und ihre volle Schlagkraft entwickelt. Wenn Kanzler Karl Nehammer will, findet er locker einen Grund, die ohnedies angespannte Situation in der Koalition mit den Grünen eskalieren und die Regierung platzen zu lassen. Das wird vor dem Sommer nicht sinnvoll sein, das könnte im Herbst passieren, gewählt würde dann im Frühjahr.

Die ÖVP hat eine realistische Chance, die SPÖ auf den dritten Platz zu verdrängen. Ob SPÖ oder ÖVP in der Lage sein werden, die FPÖ, die derzeit in allen Umfragen vorne liegt, zu verdrängen, ist ohnehin unklar. Derzeit scheinen weder die SPÖ noch die ÖVP dem etwas entgegensetzen zu können. Also erscheint es als eine realistische Variante, mit der FPÖ eine Koalition einzugehen, was der ÖVP nicht schwerfallen würde – oder gegen die FPÖ eine Koalition zu bilden.

Dass Nehammer noch einen Dreh findet, die ÖVP auf Platz eins zu hieven, erscheint als unwahrscheinlich. Bei der SPÖ müsste schon ein Phönix aus der Asche steigen, um die rote Depression in eine Aufbruchsdynamik zu drehen. Im Augenblick schaut es mehr nach Asche als nach Phönix aus. (Michael Völker, 24.3.2023)