Sabine Pollak, Architektin und Professorin an der Kunstuniversität Linz, ärgert sich in ihrem Gastkommentar über die städtebauliche Planung beim Naschmarkt.

Nach der Aufregung um die Neugestaltung des Flohmarkts ist es vergleichsweise still um den "Bauernmarkt neu". Passt das Konzept?
Foto: Robert Newald

Im Jahr 1976 präsentierte Alfred Pauser, Brückenbauer und Professor an der TU Wien, ein Projekt für eine sechsspurige Stadtautobahn über dem Wienfluss. Zum Glück formierte sich Widerstand, und die Trasse wurde nicht gebaut. Ein halbes Jahrhundert später baut Wien an anderer Stelle trotz Widerstandes eine Stadtautobahn und plant über dem Wienfluss eine Markthalle. Die Stadt hat jedoch dazugelernt. Als sich gegen die Markthalle Protest formierte, organisierte man flink eine Bürgerinnenbefragung und einen Ideenwettbewerb. Daraus wurde ein Masterplan geboren, Basis für einen nun laufenden Wettbewerb. Und bald wird die Stadträtin für Innovation, Stadtplanung und Mobilität den neuen Naschmarkt eröffnen, hurra!

Doch halt, da war noch etwas, ach ja, die Markthalle. Halle ist ein negativ konnotierter Begriff. Er impliziert weitgespannte Konstruktionen und große Dachflächen. Eine Markthalle würde bestehende Strukturen und das Jugendstilensemble zerstören, befand die Initiative Freiraum Naschmarkt. Die Stadt lenkte ein, die Markthalle sei kein Thema mehr. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Halle nicht gebaut wird. 1000 Quadratmeter verbaute Fläche, 8,5 Meter Bauhöhe und die Möglichkeit für Galerien sind nun vom Flohmarktareal auf das des Bauernmarkts gerutscht. Vor allem wird sie nicht mehr Markthalle genannt (böses Wort), sondern intelligente Überdachung, attraktives Entree, Tor und architektonischer Auftakt für den Naschmarkt. Wie klug die Stadt doch ist.

Typische Scheinbeteiligung

Auf der Webseite von "Wien wird Wow" liest man, der Masterplan sei partizipativ entstanden. Diese Ausstellungsplattform für Bürgerinnenbeteiligung ist prinzipiell eine gute Sache. Planung erfolgt nicht in Magistratsabteilungen, sondern kommt auf die Straße, zu den Bürgerinnen und Bürgern. Nur kommen hier keine wichtigen politischen Entscheidungen mehr an, die sind längst vorab gefallen. Auch beim Naschmarkt. Was dem Wettbewerb voranging, war eine typische Scheinbeteiligung. Partizipation sieht anders aus.

"Das Gros des Naschmarkts orientiert sich an einem touristischen Image."

Johannes Bodenseer ist Sozial- und Wirtschaftswissenschafter und Biobauer. Er baut am Rand von Wien Lavendel und Mischgemüse an und hält Schafe. Samstags bietet er am Naschmarkt-Bauernmarkt seine Waren an. Er kennt viele gute Bauernmärkte, etwa jene in Klagenfurt, Graz oder Znaim. Mit viel Enthusiasmus beschreibt er das Leben auf diesen Märkten, die regionalen Waren und das Essen, das Bauern selbst produzieren. Auch für den Bauernmarkt am Naschmarkt hätte er Visionen, wie man diesen retten könnte. Denn Rettung wäre dringend notwendig.

Die wenigen verbliebenen Bäuerinnen und Bauern fühlen sich an den Rand gedrängt. Das Gros des Naschmarkts orientiert sich an einem touristischen Image. Leider hat niemand mit Bodenseer oder den anderen geredet. Eine Überbauung des Bauernmarkts wird den ohnehin schon zerstörten Naschmarkt nicht retten. Ein guter Bauernmarkt würde dies hingegen schon. Dafür bräuchte es minimale Infrastruktur wie Schirme mit guter Verankerung, Brunnen, Sitzmöglichkeiten, klappbare Tische und Podeste und etwas Grün. Und ein gutes Konzept für Kooperationen mit Schulen, Künstlerinnen und Künstlern, Studierenden, Anrainerinnen und Anrainern. Sie könnten dafür sorgen, dass der Platz auch unter der Woche belebt ist.

"Wenn Wien so dringend eine Markthalle braucht, warum hat man jene in Wien Mitte abgerissen?"

Das Verfahren rund um den Naschmarkt zeigt die ungleichen Machtverhältnisse von Stadtverwaltung und Bürgerinnen und Bürgern. Daran ändert auch die Befragung nichts, im Gegenteil, sie macht Ungleichheiten nur sichtbar. Ein Beteiligungsverfahren, das anonym Haushalte anschreibt, ist selektiv und richtet sich an bestimmte Nutzerinnen- und Nutzerschichten. Ja, eine Partizipation aller Beteiligten wäre herausfordernd. Sie würde länger dauern (warum die Eile?), und wie bei einem guten Forschungsprojekt wüsste man vorab nicht, wie sie ausgehen würde. Dafür würden Ideen jener einfließen, die samstags am Bauernmarkt stehen. Hat sich die Stadt nie gefragt, warum abseits des Bauernmarkts nur Touristinnen und Touristen den Naschmarkt besuchen? Wenn Wien so dringend eine Markthalle braucht, warum hat man jene in Wien Mitte abgerissen? Entsprach sie nicht dem gewünschten Londoner Flair?

Wiener Flair: Blick auf den Naschmarkt.
Foto: Robert Newald

Krönender Abschluss

Öffentlicher Raum gehört allen und ist nicht wirtschaftlich orientiert. Guter öffentlicher Raum ist Aneignungs- und Aushandlungsraum. Architektur produziert keine Öffentlichkeit, das schafft erst das Handeln in diesem Raum. Das geht nicht ohne Konflikte ab, und das ist auch gut so. Sie sind oft eine erfrischende Katharsis. Scheinbeteiligungen hingegen ersticken Konflikte, bevor sie entstehen. Dem Raum fehlt dann etwas, es ist wie eine Geburt ohne Schwangerschaft.

Wir könnten konstruktiv, emotional oder divenhaft beleidigt über die zukünftige Programmierung des Naschmarkts debattieren. Es wäre eine anstrengende, aber gute Debatte. Doch die Stadt will das nicht. Sie setzt auf Befriedigung durch Konsum. Das lebhafte Lokal in ungezwungener Naschmarktatmosphäre soll darüber hinwegtrösten, dass der Raum eigentlich uns allen gehört. Wir könnten ihn nutzen, auch ohne dafür zu bezahlen. Aber so essen wir lieber unser Hummus und trinken Prosecco auf die Harmonie. Die Gastronomisierung zwischen Sezession und Flohmarkt erwartet nun ein krönender Abschluss. Der Markt ist tot, es lebe das Entree! (Sabine Pollak, 25.3.2023)